Die Meinhardiner, Herzöge von Kärnten und Grafen von Tirol
Aus der politischen Neuordnung, welche König Rudolf I. nach dem Tod Přemysl Otakars II. im Ostalpenraum vornahm, ging neben dem aus Österreich und Steiermark gebildeten Länderverband noch ein weiterer vom Arlberg im Westen in weitem Bogen bis nach Krain sich erstreckender Territorialkomplex hervor. Der mit Rudolf eng verbündete Graf Meinhard II. von Görz-Tirol, der eigentliche Schöpfer des Landes Tirol, empfing vom römischen König nach einer mehrjährigen provisorischen Statthalterschaft 1286 das Herzogtum Kärnten als Reichslehen. Mit dem neu erwachsenen Land Tirol, das in den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts endgültig Gestalt angenommen hatte, dem Herzogtum Kärnten und einer auf Pfandrechte gegründeten Herrschaft in Krain gebot Herzog-Graf Meinhard zu Ende seines Lebens über eine territoriale Machtkonzentration, die der habsburgischen kaum nachzustehen schien. Die folgenden Jahrzehnte sollten allerdings sehr bald die Brüchigkeit der meinhardinischen Herrschaft offenbaren. Als Meinhard II. im Jahre 1295 starb, vermochten seine gemeinsam regierenden Söhne Otto, Ludwig und Heinrich zunächst wohl einige Erfolge zu verbuchen. Der Ausgleich mit dem Bischof von Trient, der damals zustande kam, bestimmte die Mündung des Avisio in die Etsch knapp nördlich der Bischofsstadt als Grenze zwischen der Grafschaft Tirol und dem Territorium des Bischofs, eine Grenze, die ein halbes Jahrtausend – bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts – in Geltung blieb. Rückhalt gab den Meinhardinern die enge politische Gefolgschaft zu den Habsburgern – in der Schlacht von Göllheim 1298 führte Herzog Heinrich seinem Schwager Albrecht ein Kontingent von mehr als 1000 Panzerreitern zu. Auch später engagierten sich die Tiroler Landesfürsten noch bisweilen aufseiten der Habsburger, etwa bei der Doppelwahl 1314, als Herzog Heinrich zu den Wählern seines Neffen Friedrich des Schönen zählte. Die von Meinhard II. gelegten finanziellen Fundamente der Görzer Macht waren verglichen mit anderen Territorialfürsten der Zeit überaus solide. Dennoch ließen übermäßige Repräsentationsausgaben der drei Brüder, die sich in einer verschwenderischen Hofhaltung förmlich überboten, die Meinhardiner zu Beginn des 14. Jahrhunderts in eine tiefe Krise schlittern. Zum Niedergang des Geschlechts trug maßgeblich bei, dass Herzog Heinrich sich mehrfach auf kostspielige politische Unternehmungen mit höchst unsicherem Ausgang einließ. Kläglich scheiterte der Versuch, aufgrund einer ehelichen Verbindung mit einer böhmischen Prinzessin die Königswürde in diesem Land zu erlangen. Dem Meinhardiner blieb nur der böhmische Königstitel, den er zeit seines Lebens führte. Als krasser Fehlschlag erwies sich auch das Engagement Heinrichs als Reichsvikar in Padua und Schutzherr von Treviso gegen den Veroneser Signore Cangrande della Scala in den 1320er Jahren. Infolge massiver Überschuldung war Heinrich zu großflächigen Verpfändungen gezwungen, was dem als Geldgeber begehrten Adel Tirols, dem Meinhard II. einst feste Zügel angelegt hatte, neue, ungewohnte Machtchancen eröffnete. Die territoriale Integrität des noch jungen Landes Tirol wurde durch diese krisenhafte Entwicklung indes, so scheint es, nicht substantiell gefährdet. Prekärer war die Situation allemal in Kärnten, das für Heinrich zusehends in die Rolle eines Nebenlandes geriet. In den Jahren 1307/08 gelang es dem österreichischen Herzog Friedrich dem Schönen im Zuge der habsburgisch-meinhardinischen Konkurrenz um die böhmische Königskrone fast mühelos, zentrale Teile des Landes in Besitz zu nehmen. Herzog Heinrich wollte oder konnte dem habsburgischen Vorstoß nach Kärnten kaum etwas entgegensetzen.
Die Formierung der österreichischen Erblande (1335–1365)
Die Jahrzehnte zwischen 1335 und 1365 stellen die entscheidende Phase für die Formierung der österreichischen Erblande dar. Es war der Zerfall des aus Tirol und Kärnten gebildeten meinhardinischen Länderverbundes, der den Weg freimachte für die Habsburger. Dass es diesen schlussendlich gelingen würde, das gesamte Erbe der Meinhardiner ihrer Hausmacht einzuverleiben, war freilich nicht abzusehen, als Herzog Heinrich von Kärnten am 2. April 1335 starb. Heinrich hatte drei Ehen geschlossen, ohne dass einer der Verbindungen ein Sohn entsprossen wäre, weshalb die Tochter Margarethe – die zweite Tochter Adelheid galt als unheilbar krank – als Erbin des meinhardinischen Länderkomplexes in den Mittelpunkt intensivster territorial- und dynastiepolitischer Operationen und Allianzen rückte. Die Anwartschaft auf die beiden Länder Tirol und Kärnten weckte Begehrlichkeiten bei allen drei Großdynastien des Reichs, den Luxemburgern, den Habsburgern und den Wittelsbachern. Wohl war das alte meinhardinisch-habsburgische Bündnis nicht gänzlich zerbrochen. Auf Vermittlung der Habsburger ging Heinrich 1328 mit Gräfin Beatrix von Savoyen (gest. 1331) eine dritte Ehe ein, und sicherlich nicht zufällig ließ der Meinhardiner um 1325 seine großzügige Klosterstiftung, die Kartause im Südtiroler Schnalstal, vom niederösterreichischen Mauerbach, der Stiftung Friedrichs des Schönen, besiedeln. Das Rennen um die Hand der Erbtochter Margarethe machten indes die böhmischen Luxemburger, die damals gerade an dem Aufbau eines eigenen Territoriums in Oberitalien arbeiteten. Große finanzielle Versprechungen des böhmischen Königs an Heinrich gaben den Ausschlag, dass die zwölfjährige Margarethe 1330 mit dem um vier Jahre jüngeren Prinzen Johann Heinrich, Bruder des nachmaligen Kaisers Karl IV., vermählt wurde.
Die Heirat der Tiroler Erbtochter Margarethe mit dem Luxemburger ließ Wittelsbacher und Habsburger zur Wahrung ihrer Interessen in der Kärnten-Tiroler Sukzessionsfrage zusammenrücken. Nachdem Friedrich der Schöne im Jänner 1330 gestorben war, vertraten dessen Brüder Albrecht II. und Otto (»der Fröhliche«), die letzten überlebenden Söhne König Albrechts I., die Interessen des habsburgischen Hauses. Der ältere der beiden, Albrecht (geb. 1298), war zunächst für den geistlichen Stand bestimmt gewesen, besaß auch bereits eine Passauer Domherrenpfründe, heiratete aber dann 1324 Johanna, die Erbtochter des Grafen Ulrich von Pfirt (im Oberelsass). In den Vordergrund rückte der politisch Begabte nach dem Tod des Bruders Leopold I. (1326). Doch schon 1330 sah sich Albrecht infolge einer schweren Erkrankung, die zu Lähmungserscheinungen an Armen und Beinen führte, an den Lehnstuhl gefesselt und in vielen Belangen auf die Hilfe des jüngeren Bruders Otto angewiesen. Dieser übernahm denn auch die Federführung bei der Annäherung zwischen Habsburgern und Wittelsbachern. Weil weder Albrecht II. noch Otto ernstlich an eine römisch-deutsche Thronkandidatur denken konnten, gelang der Ausgleich der beiden Häuser rasch, und die Verhandlungen mündeten im November 1330 sogar in ein geheimes Bündnis. Kaiser Ludwig versprach, die Habsburger Albrecht und Otto nach dem Tod des Meinhardiners Herzog Heinrich mit dem Herzogtum Kärnten zu belehnen. Im Sinne dieser habsburgisch-wittelsbachischen Absprache wurde Ludwig der Bayer sodann nach dem Tod Herzog Heinrichs tatsächlich aktiv. Mit dem Argument, dass beide Länder ohne legitimen Erben an das Reich heimgefallen seien, belehnte er die Habsburger Albrecht II. und Otto am 2. Mai 1335 in Linz mit dem Herzogtum Kärnten und dem südlichen Teil der Grafschaft Tirol, deren nördlichen Teil – jenseits von Franzensfeste im Pustertal, dem Jaufenpass und Finstermünz – er seinem, dem wittelsbachischen Haus zuzuwenden gedachte. Das war nun allerdings ein auf dem politischen Reißbrett gezirkeltes Programm. Die Pfandherrschaft Herzog Heinrichs in Krain kam gar nicht zur Sprache, dieses Land fiel scheinbar problemlos an die Habsburger, die seit 1282 nominell damit belehnt waren. In Kärnten hatten die Herzöge Albrecht und Otto einer Herrschaftsübernahme durch Vereinbarungen mit den im Herzogtum reich begüterten Kirchenfürsten von Salzburg und Bamberg erfolgreich vorgearbeitet. Und auch die bereits bestehenden engen personellen Verflechtungen des Kärntner Adels mit dem der benachbarten habsburgischen Steiermark erleichterten die Etablierung der neuen habsburgischen Herrschaft in Kärnten. Kluger politischer Respekt vor den wirkmächtigen Symboltraditionen des Herzogtums ließ es Otto geboten erscheinen, sich unverzüglich am 2. Juli 1335 den Zeremonien der Herzogseinsetzung am Kärntner Fürstenstein in Karnburg zu unterziehen, obgleich das eigenwillig archaische Ritual beim habsburgischen Gefolge Ottos hauptsächlich auf Unverständnis stieß.
Fand also die habsburgische Herrschaft in Kärnten rasche Zustimmung, so reagierte man in Tirol ganz anders auf die Entscheidungen Kaiser Ludwigs. Der Adel des Landes, der in diesen Jahren immer mehr in die Rolle des »Königsmachers« hineinwuchs, hielt zur Meinhardiner Erbin Margarethe und deren luxemburgischem Ehemann. Dem jungen Paar stand Markgraf Karl von Mähren, der ältere Bruder Johann Heinrichs, tatkräftig zur Seite, derart, dass Wittelsbacher und Habsburger nicht dazu kamen, ihre Ansprüche