MIT ZÄHNEN UND KLAUEN. Craig DiLouie. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Craig DiLouie
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943408645
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sogar ihre eigenen Familienangehörigen. Man markiert sie stets mit Schwarz, und sie alle sterben in der Regel nach drei bis fünf Tagen.

       Dass die geringe Zahl der Tollwütigen den Kampf gegen eine ohnehin bereits fürchterliche Epidemie erschwert, ist jedoch ebenfalls nicht das eigentliche Problem.

       Die größte Herausforderung, vor der die Vereinigten Staaten stehen, besteht in der überwältigenden Zahl von Erkrankten, die nur noch bettlägerig sind und andauernde Fürsorge benötigen. Da das menschliche Immunsystem bislang nicht mit diesem Virus zu tun hatte, besitzt es keine natürlichen Abwehrkräfte, weshalb sich nahezu jeder anstecken kann. Folglich liegt die Zahl der betroffenen Bürger im achtstelligen Bereich, darunter auch viele der Behandelnden, Hüter der öffentlichen Ordnung, Hersteller und Lieferanten von Lebens- beziehungsweise Arzneimitteln, Handwerker und Arbeiter, die dafür sorgen, dass Wasser aus den Hähnen kommt, Licht und Klimaanlagen, Kühlschränke, Fahrstühle und Gasherde funktionieren. Amerika steht kurz vor dem Zusammenbruch.

       Ein Sprichwort besagt, die Nation stehe jederzeit nur drei Tage vor einer Revolution. Man verhänge einen Lieferstopp für Lebensmittel an Supermärkte und sehe zu, wie ein Land mit 300 Millionen Einwohnern, die glauben, hohe Ansprüche stellen zu dürfen und über 250 Millionen Feuerwaffen verfügen, darauf reagiert. So hat die Regierung den nationalen Notstand ausgerufen und seine Militäreinheiten aus Übersee abgezogen – um Amerika vor sich selbst zu schützen.

       »Bleib nahe bei mir, Mike«, bittet Bowman den Platoon Sergeant. »Ich ahne schon, was sie diesmal wollen.«

       Kemper nimmt seine Feldmütze ab und fährt sich mit einer Hand über den geschorenen Schädel. »Aber darauf vorbereiten konnten wir uns nicht. Wir sind nicht entsprechend ausgerüstet. Da heißt es Ausbildung an nicht-tödlichen Waffen, und jetzt, da wir welche einsetzen müssten, sind keine aufzutreiben«, rekapituliert er, während er seine Mütze wieder aufsetzt. »Das ganze Training für nichts und wieder nichts.«

       Linton, der sie bereits erwartet, schenkt sich das obligatorische Geplänkel, die Militärs freundlich zu begrüßen, die sein Krankenhaus bewachen, und kommt sofort zur Sache.

       »Lieutenant, wir haben keinen Platz mehr, um neue Patienten aufzunehmen – weder Betten, noch Personal. Die Handschuhe, Kittelschürzen und Atemmasken gehen uns aus. Wir schließen die Pforten und werden uns in nächster Zeit auf die vorliegenden Fälle konzentrieren.«

       »Verstehe«, antwortet Bowman.

       Der Krankenhausleiter hält ihm mit Gummihandschuhen ein Klemmbrett vor. »Ich habe die Adressen mehrerer alternativer Pflegestätten auflisten lassen. Soweit ich hörte, sind sie nach wie vor in Betrieb. Auch Sterbekliniken für die … Tollwütigen.« Der Arzt räuspert sich beim Gebrauch dieses geläufigen, aber politisch unkorrekten Begriffs. »Ich möchte Sie bitten, den Leuten da draußen zu sagen, sie sollen eine der anderen Einrichtungen aufsuchen.«

       Kemper nimmt das Klemmbrett entgegen, während Bowman sagt: »Wir kümmern uns darum.«

       Linton öffnet den Mund, schnappt ihn aber gleich wieder zu und sagt dann schlicht: »Danke sehr, Lieutenant.«

       Bowman beobachtet, wie die Männer zurück ins Gebäude gehen, und schüttelt den Kopf.

       Kemper nickt zustimmend. »Ein Haufen Arschlöcher, Sir, soviel ist sicher«, stellt er trocken fest.

       Bowman seufzt laut. »Ich muss Captain West darüber in Kenntnis setzen. Mike, gib mir das Funkgerät.«

       Plötzlich erklingt Maschinengewehrfeuer von Westen her tief aus der Innenstadt. Verwirrt wenden sich die Soldaten dem Lärm zu und wechseln dann kurze Blicke. Von Tag zu Tag, so scheint es, häufen sich die gewaltsamen Auseinandersetzungen. Dabei denken sie sich: Hier kracht es schon fast so wie in Bagdad. Und die Epidemie ist erst von wenigen Wochen ausgebrochen.

      Würdest du einen Hund abknallen, könntest du ihn nicht einmal essen

      Acht Tage zuvor hockte Kompanie Charlie 30 Stunden lang umgeben von ihrer Ausrüstung auf der Rollbahn der logistischen Unterstützungszone King Cobra im Irak, brütete tagsüber in der Hitze und fror bei Nacht, und wartete darauf, nach Hause zu kommen. King Cobra war praktisch eine Stadt aus mit Sandsäcken verstärkten Zelten und Betonbunkern, die sich, umgeben von Stacheldraht und Wachtürmen, über mehrere Meilen in alle Richtungen erstreckte. Der fortschreitende Abzug der Armee aus dem Land verlief insgesamt so zügig und geordnet, dass man nur staunen konnte. Nichtsdestotrotz hielt allmählich das Chaos auf dem Logistikstützpunkt King Cobra Einzug. Die allgemeine Verwirrung, Rebellenangriffe sowie die kontinuierliche Heidenarbeit, den Infizierten nach Möglichkeit Unterschlupf und ärztliche Hilfe zu gewähren, hinterließen ihre Spuren. Schätzungsweise 20 Prozent der Streitkräfte im Irak fingen sich Lyssa ein und litten in Quarantänezelten.

       Zu jener Zeit gingen die Kameraden davon aus, nach Florida versetzt zu werden, woraus sich ein Streitgespräch über die relativen Vorzüge von Girls aus Miami im Vergleich zu solchen aus allen anderen in der Kompanie vertretenen Bundesstaaten ergab. Sie mussten laut werden, um sich Gehör zu verschaffen, weil ein paar Dieselknechte – Soldaten der Fahrbereitschaft, also Kampfunterstützungstruppen – in der Nähe begonnen hatten, einander ihren guten Musikgeschmack zu beweisen; die einen mit Gangsta-Rap, die anderen mit Heavy-Metal-Klassikern.

       In der zweiten Nacht fingen die Jungs an, sich Sorgen zu machen. Niemand unter den Zuständigen schien zu wissen, dass sie dort warteten, zumal sie nichts mehr zu beißen hatten und hungrig waren. Der eine oder andere versuchte, Notrationen zu erbetteln oder zu stehlen und schaffte es nur mit Ach und Krach lebendig zurück. Man konnte nicht zur Latrine gehen, ohne von Wildhunden angefallen zu werden oder sich eine Kugel von nervösen Ersatzeinheiten einzufangen. Lyssa hatte sich auch auf die Köter übertragen, sodass man ein Gewehr mit auf den Donnerbalken nehmen musste, um sich vor Bissen zu schützen – und aus dem gleichen Grund konnte man die Tiere nicht essen, wenn man eins von ihnen niedergestreckt hatte, wie einer der Scharfschützen vom Dritten Platoon.

       Ein am Rand der Landebahn geparkter Geländewagen war von einer Panzerfaust getroffen worden und brannte, wobei die erhitzte Munition für Feuerwerk sorgte. Am dunklen Himmel surrten Marine-Cobras, die zu Luftangriffen aufbrachen. Mitten in einem dicht bevölkerten Lager, in dem überall Feuer brannten, waren Wärme- und Nachtsichtgeräte nutzlos, also schossen die Kameraden Leuchtraketen in die Luft und zielten ins Blaue. Als der brennende Geländewagen explodierte, flogen flammende Metallteile 20 Meter weit in die Höhe, was die Männer zu ausgelassenem Grölen veranlasste. Ein MG-Schütze des Zweiten Platoons tauchte lachend mit einer Flasche billigem Iraker Gin auf, die er irgendwelchen Kids am Rand des Lagers abgekauft hatte und nun zum Befeuchten ausgetrockneter Kehlen rundgehen ließ. Sie genossen das sich langsam ausbreitende Brennen in ihren Mägen.

       In der Ferne brach ein Feuergefecht los, dann ein zweites, und rote Leuchtspuren blitzten entlang des Stacheldrahts auf. Eine einzelne Mörsergranate sauste pfeifend mitten ins Lager und ließ Zeltteile durch die Gegend fliegen. Ein Trupp schwerbewaffneter Militärpolizisten trabte vorbei und wies jedermann an, sich zu ducken. Mit Soldaten voll besetzte Busse befuhren wie selbstverständlich die Landebahn. Ihre Scheinwerfer huschten über die ordentlich aufgereihten Zelte und Stryker-Radpanzer, während ein C130-Frachtflugzeug gefährlich nahe aufsetzte. Der Lichtkegel des Flugzeuges traf kurz auf zwei Soldaten, die einen Faustkampf vom Zaun gebrochen hatten, ehe er zur Seite schwenkte und sie wieder in Dunkelheit verschwanden. In den Quarantänezelten brüllte jemand. Weitere Schüsse fielen.

       Die Mannschaft lag zitternd in ihren Panzerwesten am Boden und verwendete die Helme als Kissen, auf welchen sie von verbotenen Freuden träumten: heiße Duschen, Riesenportionen Pommes frites … und natürlich Sex. Einige waren so fertig, dass sie vom Schlafen selbst träumten oder überhaupt nicht. Mitten in der Nacht wurden sie von Schüssen in der Nähe aufgeschreckt. Irakischer Sand klebte in ihren Ohren, Mündern und Nasenlöchern. Es stank nach ölhaltigem Qualm und heißen Abgasen.

       Nun ja, zu Hause wird es besser sein, dachte so mancher bei sich. Bald würde dieser Scheiß vorüber sein.

       Grüne Signalgeschosse aus russischen Gewehren erleuchteten den kalten Nachthimmel über Bagdad. Die Stadt schien sich selbst in Stücke zu reißen. Das Gerücht, Milizen richteten Lyssa-Opfer öffentlich hin, machte die Runde.