*
Dr. Daniels stille Hoffnung erfüllte sich nicht. Bereits nach den ersten Tagen zeichnete sich ab, daß eine Diät allein nicht ausreichte, um Brigitte Kleins Diabetes in den Griff zu bekommen. Wenigstens im Falle von Eva-Maria Neubert war Besserung in Sicht. Sie hatte sich recht gut erholt, und Dr. Daniel hatte zwischen ihr und ihren Eltern erfolgreich vermitteln können. Die Neuberts waren von jeher eine Familie gewesen, die eng zusammengehalten hatte, und daran änderte auch die Schwangerschaft ihrer Tochter, die so dramatisch verlaufen war, nichts.
»Was ist mit Fräulein Klein?«
Die Frage seiner Frau riß Dr. Daniel aus seinen Gedanken. Mit einem tiefen Seufzer blickte er von seinen Unterlagen auf.
»Wir müssen auf Insulin zurückgreifen«, erklärte er. Bekümmert schüttelte er den Kopf. »Wie soll ich ihr das nur beibringen? Sie ist im Moment ohnehin so labil.« Wieder seufzte er. »Wenn ich ihr wenigstens eine Lösung für die finanziellen Probleme anbieten könnte, die sie und ihr Verlobter haben.« Er fuhr sich mit einer Hand durch das dichte blonde Haar. »Sie muß ja den Eindruck haben, als würde ihre Lage immer schlimmer werden.«
»So ähnlich ist es ja leider auch«, meinte Manon. Sie schwieg kurz. »Weißt du, wie hoch ihre Schulden sind?«
Dr. Daniel nickte. »Herr Horvath hat es mir gesagt. Der Betrag ist zu hoch, als daß ich ihnen helfen könnte. Daran hatte ich nämlich im ersten Moment gedacht.«
»Und ihre Eltern? Können sie von dieser Seite keine Unterstützung bekommen?«
Dr. Daniel schüttelte den Kopf. Genau das hatte er Oliver Horvath auch gefragt, doch der junge Mann hatte keine Eltern mehr, und die Kleins hatten Mühe überhaupt mit der spärlichen Rente zu Rande zu kommen. An eine Unterstützung für ihre Tochter und den zukünftigen Schwiegersohn war nicht zu denken.
»Das sieht ja wirklich hoffnungslos aus«, urteilte Manon. »Wenn man nur…«
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür unterbrach sie.
»Ja, bitte!« rief Dr. Daniel.
Im nächsten Moment trat seine Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau ein.
»Ich weiß schon, das Wartezimmer ist brechend voll, und Sie wollen wissen, wann ich endlich mit der Sprechstunde beginnen werde«, vermutete Dr. Daniel und brachte dabei sogar ein leichtes Schmunzeln zustande.
Doch Sarina schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Doktor, deshalb bin ich nicht hier.« Sie lächelte. »Wobei ich allerdings zugeben will, daß im Wartezimmer tatsächlich schon ein paar Patientinnen sitzen.« Dann wurde sie wieder sehr ernst. »Gabi und ich machen uns große Sorgen um Brigitte. Wie geht es ihr denn?«
»Nicht sehr gut«, gab Dr. Daniel zu. »Die Schwangerschaft gestaltet sich schwierig, und dazu kommen leider auch noch private Probleme.«
Sarina erschrak. »Hat Oliver etwa mit ihr Schluß gemacht?«
»Sie scheinen ja außerordentlich gut Bescheid zu wissen«, stellte Dr. Daniel fest.
»Nun ja, seit Eröffnung der Gemeinschaftspraxis haben Brigitte, Gabi und ich uns angefreundet«, gestand Sarina. »Es ist nicht so, daß wir ständig zusammenstecken würden, aber wir verstehen uns gut und haben eben auch oft über private Dinge miteinander gesprochen.«
Dr. Daniel nickte. »Dann wissen Sie vermutlich auch, daß Fräulein Klein und ihr Verlobter in finanziellen Schwierigkeiten stecken.«
»Ja und nein. Brigitte hat nur erzählt, daß sie und Oliver bauen wollen, und natürlich sind Gabi und ich nicht so naiv zu denken, so etwas ließe sich aus dem Handgelenk schütteln.« Und dann begriff sie plötzlich. »Wenn Brigitte erst entbunden hat, fällt für eine ganze Weile ihr Verdienst weg.«
Dr. Daniel nickte. »Es sieht für die beiden im Moment wirklich ziemlich bitter aus.« Er seufzte. »Trotzdem müssen wir uns jetzt erst mal um die Sprechstunde kümmern.«
»Das gilt auch für mich«, fügte Manon hinzu, dann sah sie Sarina an. »Können Sie bei mir drüben auch ein bißchen nach dem Rechten sehen?«
»Das ist doch gar keine Frage, Frau Doktor«, entgegnete Sarina, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen. »Solange Brigitte ausfällt, übernehmen Gabi und ich selbstverständlich ihre Pflichten.«
»Danke, Fräulein Sarina. Das ist sehr lieb von Ihnen, und das werde ich bei Gelegenheit auch Ihrer Kollegin sagen.«
Manon verabschiedete sich mit einem zärtlichen Kuß von ihrem Mann, dann folgte sie der jungen Sprechstundenhilfe nach drau-ßen.
»Sehr lange müssen Sie diese Doppelbelastung aber nicht mehr ertragen«, versprach sie. »Ich werde mich demnächst um eine Nachfolgerin für Fräulein Klein kümmern.«
Sarina war sichtlich überrascht. »Kommt Brigitte denn vor der Entbindung nicht mehr in die Praxis?«
Manon zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, damit ist wohl kaum zu rechnen. Im Moment läßt das weder ihre körperliche noch ihre psychische Verfassung zu.«
Sarina war zutiefst betroffen.
»Stell dir vor, Gabi, Brigitte geht’s gar nicht gut«, erzählte sie ihrer Kollegin, kaum daß Manon in ihrem Teil der Praxis verschwunden war. »Sie kann vor der Entbindung wahrscheinlich gar nicht mehr arbeiten.«
»Das ist ja wirklich fürchterlich«, pflichtete Gabi ihr sofort bei.
»Ich werde sie heute noch besuchen«, beschloß Sarina spontan, dann blickte sie sinnend vor sich hin. »Frau Dr. Carisi…, ach nein, Frau Dr. Daniel wollte ich sagen…, also…, sie will sich demnächst um eine Nachfolgerin für Brigitte kümmern.«
Gabi nickte, hielt aber mitten in der Bewegung inne. »Das ist doch eigentlich nicht nötig – vor allem jetzt, wo Frau Dr. Daniel gar nicht mehr den ganzen Tag in der Praxis arbeitet.«
Sarina lächelte. »Genau das wollte ich von dir hören. Derselbe Gedanke ist mir nämlich auch schon gekommen, und…«
»Bekomme ich heute noch Arbeit oder nicht?«
Sarina und Gabi erschraken zutiefst, als hinter ihnen so unerwartet Dr. Daniels Stimme erklang.
»Na, Sie beide haben aber ein sehr schlechtes Gewissen«, urteilte er schmunzelnd, dann wurde er ernst. »Aber ich kann mir schon denken, daß die Sorge um Fräulein Klein Sie so abgelenkt hat.«
»Ja, das auch«, gab Sarina zu. »Allerdings haben Gabi und ich gerade über etwas anderes gesprochen. Wissen Sie, Ihre Frau sagte eben, sie würde sich um eine Nachfolgerin für Brigitte umsehen, aber… eigentlich ist das doch gar nicht nötig.«
Dr. Daniel runzelte die Stirn. »Ich finde es zwar sehr lobenswert, daß Sie die Arbeit Ihrer Kollegin so selbstlos übernehmen wollen, aber Sie beide kennen den Betrieb hier doch am allerbesten. Sowohl bei mir als auch bei meiner Frau geht es ja meistens zu wie auf dem Wochenmarkt. Sie würden also die meiste Zeit ganz erheblich im Streß stehen ohne eine weitere Kraft.«
Sarina und Gabi tauschten einen Blick.
»Wir schaffen das schon«, urteilte Gabi dann recht entschlossen.
»Also schön«, meinte Dr. Daniel. »Dann werden wir uns bei Gelegenheit mal zusammensetzen und die Einzelheiten besprechen. Aber jetzt sollten wir unsere Patienten wirklich nicht länger warten lassen.«
*
Eva-Maria verstand sich selbst kaum. Da war sie noch vor wenigen Tagen völlig niedergeschlagen gewesen, weil sie das Gefühl gehabt hatte, Tobi niemals vergessen zu können, und nun…
Die sich öffnende Tür unterbrach ihre Gedanken. Mit einem schüchternen Lächeln sah sie den jungen Mann an, der hereintrat. Sàndor hieß er, und allein