ENTFÜHRT IN PARIS (Die Ritter des Vatikan 5). Rick Jones. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rick Jones
Издательство: Bookwire
Серия: Die Ritter des Vatikan
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958354517
Скачать книгу
zwei? Er hoffte inständig, dass diese genetische Disposition, mit der Teenager auf derart sarkastische Weise ins Erwachsenenleben gedrängt wurden, schnell vorbeigehen würde.

      »Komm schon, Steph«, sagte er. »Kannst du nicht wenigstens versuchen, dich zu amüsieren? Wenigstens ein bisschen?«

      Sie rollte mit den Augen und schnalzte mit der Zunge. Was auch immer …

      Mit einem schmalen Lächeln kramte Shari ihre Digitalkamera hervor und begann atemberaubende Bilder zu schießen.

      Doch im Laufe des Tages wurde auch sie müde. Als die Sonne sich anschickte unterzugehen und die alten Pariser Straßenlaternen zum Leben erwachten, kehrten sie, nachdem sie in einem Straßencafé zu Abend gegessen hatten, wieder in ihr Hotel zurück.

      Ihr Hotelzimmer war elegant eingerichtet, mit französischen Möbeln voller üppiger Details und Paisleymuster auf den Stoffen der Vorhänge und Bezüge. Fotografien und Aquarelle schmückten die Wände mit warmen Farben und verströmten ein Gefühl der Behaglichkeit. In der angrenzenden Mini-Suite – gegen die Stephanie lautstark Einspruch eingelegt hatte, weil sie allein sein wollte und es als lahm erachtete, sich ein Zimmer mit ihrer kleinen Schwester teilen zu müssen – stand eine kleine Badewanne mit allen Schikanen, um den Körper zu verwöhnen. Im Bruchteil einer Sekunde hatte sich Stephanie in das Zimmer verliebt.

       Wieso können wir so etwas nicht auch bei uns zuhause haben?

      Doch als die Tage vergingen, die Regeln weniger lahm erschienen und Gelächter an der Tagesordnung war, begann das Leben in Paris wundervoll zu werden. Die Kinder wurden wieder zu Kindern, taten so, als wären sie Französinnen, indem sie sich wichtigtuerisch aufführten und eine Fantasiesprache mit ausgedachten Worten sprachen, die sich französisch anhören sollte, mit ihren harten Konsonanten der Sprache aber nur sehr entfernt ähnelte. Doch am Ende lachten und kicherten sie wie die Schulkinder, die sie ja eigentlich noch waren. Und Gary hätte nicht glücklicher sein können.

      Alles war perfekt, dachte er.

      Alles war einfach perfekt.

      In den Augen von Jadran Božanović waren die Mädchen nur Vieh.

      Die Größere der beiden, die seiner Schätzung nach siebzehn oder achtzehn Jahre alt sein musste, ähnelte ihrer Mutter, die mit ihrer kupferfarbenen Haut und den zimtfarbenen Augen einen exotischen Eindruck vermittelte. Die Jüngere war aber ebenso gut aussehend und ähnelte zu gleichen Teilen ihrer Mutter und ihrem Vater. Ihr Haar war tiefschwarz, ihr Teint cremefarben, und ihre Arme und Beine waren lang und schlank, wie die ihres Vaters. Beide befanden sich an der Schwelle, erwachsene Frauen zu werden. Božanović schätzte bereits ihren Wert im Kopf und rechnete damit, auf einer Auktion für beide Amerikanerinnen zusammen etwa eine halbe Million Dollar erzielen zu können.

      Nach dem Debakel auf der Aleksandra vor zwei Monaten und dem zu erwartenden Verlust von etwa zwölf Millionen Dollar in Form von Menschenleben versuchte Božanović mit einem neuen Beutezug wieder auf die Beine zu kommen. Er hatte Teams in Italien, Mädchen hauptsächlich, die junge weibliche Opfer anwarben, indem sie ihnen Flausen über weit entfernte Ort voller unermesslicher Reichtümer in den Kopf setzten, sie mit falschen Hoffnungen lockten, das Unmögliche zu erreichen, unvorstellbar reich zu werden, nur um sie dann in eine dunkle Welt der Korruption zu treiben, wo sich ihre Träume als reale Albträume entpuppten, unvorstellbar und grauenhaft. Bis jetzt hatte er schon beinahe sechzig Mädchen aus Rom und etwa fünfzig französische Mädchen verschleppen können – leichte Beute für ihn, bestand die Welt doch aus lauter Träumern. Und auf gewisse Weise war Božanović einer von ihnen.

      Als Angehöriger der muslimischen Minderheit in Vukovar, zu einer Zeit, als Kroatien seine Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärte, war Božanović der Sohn eines wohlhabenden Anwalts gewesen. Er war verwöhnt und behütet herangewachsen, beides wahrscheinlich sogar in übertriebenem Maße. Und weil ihm ein nicht enden wollender Quell an finanziellen Ressourcen zur Verfügung stand, hielt er sich für den Mittelpunkt der Welt und allen Lebens. In seiner Vorstellung war Božanović, als er seinen siebzehnten Geburtstag erreichte, der einzige Mensch, der wirklich zählte – der Mann, der Mythos, die Legende. Doch jener Geburtstag war gleichzeitig der Tag gewesen, an dem die jugoslawische Volksarmee ihren abscheulichen Feldzug gegen die Stadt Vukovar und ihre Bewohner gestartet hatte.

      In der Ferne ertönten Mörserfeuer und Schüsse, gerade, als er die Kerzen seiner Geburtstagstorte ausblasen wollte. Obwohl die Geräusche weit entfernt schienen, waren sie doch nahe genug, um den Boden und die Wände erzittern zu lassen und die Kristalle des Kronleuchters wie bei einem kleinen Glockenspiel in Schwingungen zu versetzen.

      Als Menschen, die über ungeheuren Reichtum und Privilegien verfügten, zogen die Familienmitglieder es vor, die Vorgänge nicht weiter zu beachten, bis von ihrem Balkon aus mehrere schwarze Rauchsäulen zu sehen waren und aufgrund der Kämpfe schwarzgraue Wolken über dem Stadtzentrum aufstiegen.

      Die Serben, die Anstoß an Kroatiens Unabhängigkeitsbemühungen nahmen, hatten ihren politischen Gegner in einem brutalen ersten Schritt hin zu einem Bürgerkrieg angegriffen – etwas, das Jadrans Vater bereits geahnt hatte. Doch der Mann hatte geglaubt, oder glauben wollen, dass die politischen Kräfte die Uneinigkeiten friedlich beilegen würden.

      Siebenundachtzig Tage lang wurde die barocke Stadt belagert und fiel schließlich den Serben und paramilitärischen Kräften in die Hände, welche die tapfere Verteidigungsarmee der Kroatischen Nationalgarde schlussendlich besiegten. Die Stadt wurde zerstört, das Anwesen der Božanovićs in Schutt und Asche gelegt.

      Die sogenannten Ethnischen Säuberungen wurden in jenen Tagen zu einem vielbemühten Begriff, und so sah die internationale Staatengemeinschaft dabei zu, wie serbische Truppen unter Slobodan Milošević systematisch mehr als 31.000 Menschen in dieser Stadt abschlachten oder deportieren ließen.

      Als Božanović mit ansehen musste, wie sein bisheriges Leben ebenso schnell in sich zusammenfiel wie die Mauern seines Zuhauses, verlor er beinahe augenblicklich seine egozentrische Weltsicht. Sofort bewaffnete er sich und ein paar seiner Freunde, angestachelt von der ungeheuren Wut eines Heranwachsenden, dessen Leben sich in dunkles Leid verkehrt hatte. Als er das erste Mal das antiquierte Gewehr in seinen Händen hielt, spürte er eine unsagbare Macht. Die Waffe gab ihm die Möglichkeit, jedes Leben mit nur einem Fingerzucken auszulöschen. Er fühlte sich ermutigt, voller Ekstase über den Umstand, dass er nun wieder das Zentrum des Universums war; ein Mann, der über die Macht verfügte, zu entscheiden, wer leben durfte und wer sterben musste. Wer immer seinen Weg kreuzen würde, tat das auf Befehl einer höheren Macht hin, so schien es ihm. Und er war ein Gefäß, geschaffen um zu befehlen und zu herrschen.

      Gefangene wurden ihm zu Füßen gelegt, und der Akt allein ließ Božanović sich allmächtig und unfehlbar fühlen. Immer wieder legte er den Lauf seiner Waffe an die Schädel von Serben und drückte ab, spürte keinerlei Schuld dabei, und sein Handeln wurde beinahe zu einem Akt der Läuterung, wenn er sich wieder aufrichtete und dabei zusah, wie seine Opfer vor ihm verbluteten.

      Zusammen mit seinem Teamkameraden lebte er in Schmutz und Elend und stieg zu ihrem Anführer auf, während sie sich mutig den zahlenmäßig weit überlegenen Einheiten der Jugoslawischen Nationalarmee entgegenstellten. Doch am dreiundsiebzigsten Tag wurde seine Einheit umzingelt. Božanović fand sich selbst auf Knien vor einem serbischen Offizier wieder, in dessen Hand der glattpolierte Lauf einer Pistole glänzte.

      Sie starrten einander an. Keiner von beiden wollte den Blick abwenden, als Zeichen ihres eisernen Willens.

      Der Serbe steckte seine Pistole in ihr Holster zurück und zog sein Messer hervor, eine gefährlich scharf aussehende Waffe, die ebenso glänzte wie zuvor die Pistole. Er hielt die Klinge demonstrativ in die Luft, ohne den Blick von seinem Gegner abzuwenden.

      Dieses Messer hat viele von deiner Art getötet, ließ er Božanović wissen und drehte das Messer dabei hin und her. Und es wird noch mehr töten.

      Der Serbe legte dem jungen Kroaten die Klinge ans Gesicht, bis die Spitze Božanovićs Haut eindrückte, direkt unterhalb seines Auges. Božanović weigerte sich, den Augenkontakt