„Bauen Sie eine kleine Gemeinschaft von Menschen auf, die Sie lieben und von denen Sie geliebt werden.“
– Mitch Albom
Vergessen Sie die Bilder, die wir alle im Kopf haben: verzweifelte arbeitslose Menschen, die jede sichtbare Visitenkarte einstecken, während sie mit Feuereifer Geschäftskongresse und Jobmessen besuchen. Der große Mythos des „Networking“ besagt, dass man sich erst dann an andere Menschen wendet, wenn man zum Beispiel einen Job braucht. Die Menschen, die die meisten Kontakte, Mentoren und Freunde haben, wissen allerdings, dass man auf Menschen zugehen muss, lange bevor man überhaupt etwas braucht.
Nehmen wir einmal George, einen intelligenten jungen Mann in den Zwanzigern, den mir ein gemeinsamer Freund vorstellte. George arbeitete in New York im Werbegeschäft und wollte seine eigene Werbeagentur gründen. Er fragte mich, ob ich einmal mit ihm essen gehen würde, weil er Rat und Ermunterung suchte.
Zehn Minuten nachdem wir uns hingesetzt hatten, wusste ich, dass er auf dem falschen Dampfer war.
„Haben Sie schon versucht, mit potenziellen Kunden in Kontakt zu treten?“, fragte ich ihn.
„Nein“, sagte er, „ich gehe Schritt für Schritt vor. Ich habe vor, mich in meinem jetzigen Unternehmen bis zu dem Punkt hochzuarbeiten, wo ich es mir leisten kann, zu gehen. Dann gründe ich eine Gesellschaft, miete ein Büro und mache mich auf die Suche nach ersten Kunden. Ich will keine Termine mit potenziellen Kunden machen, bevor ich mich als glaubwürdiger Werbefachmann mit eigener Firma präsentieren kann.“
„Sie machen das völlig verkehrt“, sagt ich zu ihm. „Sie verurteilen sich zum Scheitern.“
Ich riet ihm, künftige Kunden schon heute zu suchen. Hatte er sich schon überlegt, auf welche Branche er sich spezialisieren wollte? Hatte er sich gefragt, wo sich die Spitzenleute dieser Branche aufhalten? Wenn er diese Fragen beantwortet hätte, wäre der nächste Schritt gewesen, sich in diesem neuen Kreis von Menschen zu bewegen.
„Das Wichtigste ist, dass man diese Menschen als Freunde und nicht als potenzielle Kunden kennenlernt“, sagte ich. „Mit einem haben Sie allerdings recht: Egal wie freundlich Sie sind, wenn die Menschen, an die Sie herantreten, auf ihrem Gebiet gut sind, engagieren sie Sie nicht vom Fleck weg für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Deshalb sollten Sie Ihre Dienste kostenlos anbieten – jedenfalls am Anfang. Sie könnten zum Beispiel ehrenamtlich für eine gemeinnützige Organisation arbeiten, mit der Sie zu tun haben, oder Sie könnten die Werbetrommel zur Geldbeschaffung für eine Schule rühren, in die Ihre Kinder gehen.“
„Aber wird sich mein Arbeitgeber nicht ärgern, wenn ich so viel Energie auf andere Dinge verwende?“, fragte George.
„Bei Ihrem Arbeitgeber gute Arbeit abzuliefern kommt an erster Stelle“, sagte ich ihm. „Es liegt in Ihrer Verantwortung, Zeit für Ihre sonstigen Aktivitäten zu finden. Konzentrieren Sie sich auf eine Branche, die Ihr derzeitiger Arbeitgeber nicht bedient. Denken Sie daran, dass Sie im Nullkommanichts wieder in Ihrem alten Job landen, wenn Sie bis zu dem Tag, an dem Sie beschließen, Ihre eigene Firma zu eröffnen, nicht die nötige Vorarbeit geleistet haben.“
„Ich soll also umsonst für diese Leute arbeiten?“
„Absolut“, sagte ich. „Bis jetzt haben Sie sich noch nicht die Sporen verdient und es ist schwer, da hineinzukommen. Aber irgendwann haben Sie einen wachsenden Kreis von Menschen, die Ihre Arbeit gesehen haben und die an Sie glauben. Man muss sich solche Connections beschaffen, wenn man ein Unternehmen eröffnen, die Stelle wechseln oder eine andere Laufbahn einschlagen will.
Versuchen Sie irgendwann, während Sie noch für Ihre jetzige Firma arbeiten, aus einem Ihrer Kontakte einen echten, zahlenden Kunden zu machen. Wenn Sie einmal einen festen Kunden haben, der Referenzen und Mundpropaganda liefert, haben Sie schon die halbe Miete. Dann – wirklich erst dann – können Sie mit Ihrer Firma reden und fragen, ob Sie nicht auf Teilzeitbasis weiterarbeiten könnten oder, was noch besser ist, sie zu Ihrem zweiten zahlenden Kunden machen könnten. Wenn Sie an diesem Punkt kündigen, haben Sie sich abgesichert. Sie haben dann eine Gruppe von Menschen, die Ihnen beim Übergang in eine neue Karriere helfen.“
Die letzte halbe Stunde unseres gemeinsamen Essens verbrachten wir damit, über Menschen aus seinem jetzigen Bekanntenkreis nachzudenken, die ihm am Anfang helfen könnten. Ich bot ihm den einen oder anderen Namen aus meinem eigenen Netz an und schon wuchs Georges Selbstbewusstsein. Ich bin zuversichtlich, dass seine Versuche, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen, jetzt nicht mehr von Hoffnungslosigkeit verdüstert werden. Er wird jetzt nach Möglichkeiten suchen, anderen zu helfen, und davon kann jeder ein kleines bisschen profitieren.
Die Gedanken, die man sich bei einer Unternehmensgründung machen muss, unterscheiden sich nicht von den Gedanken, die man sich machen muss, wenn man in seinem Unternehmen zum Überflieger werden will – von neuen Jobchancen und der Sicherung des Arbeitsplatzes ganz zu schweigen. Ich weiß, angesichts des aktuellen wirtschaftlichen Umfelds ist das schwer zu glauben. Auch wenn die Arbeitslosigkeit seit ihrem letzten Höhepunkt 2010 zurückgegangen ist, ist sie immer noch hart, besonders, wenn man noch sehr jung ist oder sich dem Ende des Erwerbslebens nähert. Frischgebackene Absolventen werden feststellen, dass viele Einstiegspositionen von unbezahlten oder gering bezahlten Praktikanten übernommen wurden. Die Arbeitssuchenden von heute müssen schon mehr tun, als Stellenanzeigen zu lesen oder Bewerbungen zu verschicken, um ihre nächste Stelle zu ergattern.
Nur allzu oft verrennen wir uns, weil wir im Endeffekt ineffiziente Dinge tun und uns ausschließlich auf die Arbeit konzentrieren, die uns über Wasser hält. Es geht ja nicht darum, sich gleich morgen ein anderes Umfeld zu suchen – sei es ein neuer Job oder ein neuer Wirtschaftszweig –, sondern beständig das Umfeld und die Gemeinschaft zu schaffen, die man haben will, komme, was wolle.
Die Schaffung einer solchen Gemeinschaft ist allerdings keine kurzfristige Lösung und keine einmalige Aktion, die man nur bei Bedarf durchführt. Der Aufbau einer Beziehung verläuft notwendigerweise in kleinen Schritten. Man kann das Vertrauen und das Engagement eines Menschen nur mit der Zeit und Stück für Stück erwerben.
Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie Sie genau jetzt anfangen können, die Art von Gemeinschaft zu schaffen, die Ihre Karriere fördert. Sie können erstens mit dem Segen Ihres Arbeitgebers ein Projekt starten, das Sie zum Erwerb neuer Fähigkeiten zwingt und Sie innerhalb Ihres Unternehmens mit neuen Menschen zusammenbringt. Sie können zweitens im Rahmen Ihrer Hobbys und bei sonstigen Organisationen, die Sie interessieren, Führungspositionen übernehmen. Sie können drittens in eine örtliche Organisation ehemaliger Studenten eintreten und Zeit mit den Menschen verbringen, die genau die Jobs haben, die Sie gern hätten. Sie können viertens an ihrer Volkshochschule einen Kurs belegen, der mit Ihrem jetzigen Job oder mit Ihrem gewünschten künftigen Job zu tun hat.
Alle genannten Vorschläge helfen Ihnen, Menschen kennenzulernen. Und nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit laufen Ihnen umso mehr Gelegenheiten über den Weg und Sie bekommen an entscheidenden Punkten Ihrer Karriere mehr Hilfe, je mehr Menschen Sie kennen.
Während meines ersten Jahrs auf der Business School fing ich an, zusammen mit meinem Freund Tad Smith Beraterjobs zu machen. Wir hatten nicht vor, eine dauerhafte Beraterfirma zu gründen, die wir nach dem Studium betreiben wollten. Stattdessen wollten wir unser Wissen und unser Arbeitsethos kleinen Firmen zu Spottpreisen zur Verfügung stellen. Im Gegenzug würden wir etwas über neue Branchen erfahren, praktische Fertigkeiten erwerben, bis zu unserem Abschluss eine Liste von Referenzen und Kontakten haben und dazu noch bares Geld verdienen.
In was für einer Welt leben Sie im Moment? Machen Sie das Beste aus den Beziehungen, die Sie schon haben?
Stellen Sie sich einmal vor, Ihre Familie, Ihre Freunde und Ihre Kollegen wären Teile eines Gartens. Machen Sie einen Spaziergang durch diesen Beziehungsgarten. Was sehen Sie?
Wenn Sie so sind wie die meisten Menschen, sehen Sie ein winziges, sauber gemähtes Rasenstück, das aus den üblichen Verdächtigen besteht – den 20 oder 30 Menschen,