David Copperfield. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961183173
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Charakters fanden viel Nahrung an diesem Erzählen im Dunkeln; und in dieser Hinsicht war die Beschäftigung Wohl nicht sehr nützlich für mich. Aber der Umstand, daß ich in meiner Stube als eine Art Spielzeug gehätschelt wurde, und das Bewußtsein, daß meine Fertigkeit den übrigen Knaben zu Ohren kam und mir einiges Ansehen gab, obgleich ich der jüngste war, spornte mich an, mein Bestes zu leisten. In einer Schule, wo bloße brutale Strenge herrscht, wird schwerlich viel gelernt, mag an ihrer Spitze ein Dummkopf stehen oder nicht. Ich glaube, meine Kameraden waren im allgemeinen so unwissende Schüler, als es sie nur in einer Anstalt geben konnte; sie wurden viel zu sehr verprügelt und verschüchtert, um etwas lernen zu können; sie konnten dies ebensowenig mit Vorteil tun, als irgend wer etwas anderes in einem Leben von beständiger Mühsal und Plage mit Glück und Erfolg zu Ende führen kann. Aber ein bißchen Eitelkeit auf meiner Seite und Steerforths Hilfe auf der andern trieben mich an, und dieser Eifer machte mich, ohne mich von den Strafen zu befreien, zu einer Ausnahme von den übrigen, indem ich sicher wenigstens einige Brosamen von Kenntnissen auflas.

      Mr. Mell, der eine Teilnahme für mich an den Tag legte, für die ich ihm noch heute dankbar bin, unterstützte mich darin sehr. Ich bemerkte stets mit Schmerz, daß Steerforth ihn mit Geringschätzung behandelte, und selten eine Gelegenheit vorübergehen ließ, wo er seine Gefühle verletzen konnte. Dies beunruhigte mich einige Zeit um so mehr, als ich Steerforth, vor dem ich ein Geheimnis ebensowenig wie einen Kuchen oder einen andern greifbaren Gegenstand behalten konnte, von den beiden alten Frauen erzählt hatte, zu denen mich Mr. Mell gebracht hatte, und ich fürchtete immer, Steerforth werde es ausplaudern und den Lehrer gar damit necken.

      Wer von uns hätte gedacht, als ich an jenem ersten Morgen in London mein Frühstück aß und unter dem Schatten der drei Pfauenfedern beim Blasen der Flöte einschlief, was für Folgen die Einführung meiner kleinen Wenigkeit in dies Armenhaus haben würde? Doch dieser Besuch hatte seine unvorhergesehenen Folgen, und zwar recht ernste in ihrer Art.

      Eines Tages nämlich, als Mr. Creakle wegen Unpäßlichkeit das Zimmer hütete, was natürlich die lebhafteste Freude über die ganze Schule verbreitete, wurde schon während der Morgenstunde viel Lärm gemacht. Die Stimmung der Knaben war so übermütig, daß mit ihnen nur schwer auszukommen war, und obgleich der gefürchtete Tungay mit dem hölzernen Beine ein- oder zweimal hereingestelzt kam und die Namen der Hauptmissetäter aufschrieb, so machte dies doch wenig Eindruck, da alle wußten, sie würden morgen doch in Strafe kommen, mochten sie tun, was sie wollten, und es deshalb jedenfalls für das beste hielten, sich des heutigen Tages möglichst zu erfreuen.

      Es war eigentlich ein halber Feiertag, nämlich Sonnabend. Aber da der Lärm auf dem Spielplatze Mr. Creakle hätte stören können und das Wetter zum Spazierengehen nicht günstig war, so mußten wir nachmittags in der Klasse bleiben und einige leichtere Arbeiten verrichten. Es war der Tag in der Woche, wo Mr. Sharp ausging, um sich die Perücke kräuseln zu lassen, und so traf auf Mr. Mell, dem immer alle Plackereien zufielen, das Amt, für heute allein Schule zu halten.

      Wenn ich den Vergleich mit einem Stier oder Bären auf einen so sanften Menschen wie Mr. Mell anwenden könnte, so würde ich sagen, daß er an jenem Nachmittage, als der Tumult seinen Höhepunkt erreicht hatte, einem jener von tausend Hunden gehetzten Tiere glich. Ich sehe ihn seinen schmerzenden Kopf auf seine knochendürre Hand stützen, über das Buch auf seinem Pulte gebeugt, umsonst kläglich bemüht, sich mit seiner Aufgabe unter einem so rasenden Aufruhr abzufinden, daß er den Sprecher des Unterhauses betäubt hätte. Die Lümmels schossen hin und her, sprangen auf die Bänke und wieder hinunter, spielten Haschens miteinander, lachten, sangen, tanzten, johlten, scharrten mit den Füßen, drehten sich um ihn im Kreise, grinsten, schnitten Gesichter, äfften ihm hinter seinem Rücken nach und vor seinen Augen, verspotteten seine Armut, seine Stiefel, seinen Rock, seine Mutter, kurz alles, war nur irgend einen Bezug auf ihn haben konnte, aber was sie hätten achten und ehren sollen.

      »Ruhe!« rief Mr. Mell plötzlich aufspringend und mit dem Buche auf das Pult schlagend. »Was soll das heißen? Es ist nicht auszuhalten. Es ist zum Verrücktweiden. Wie könnt Ihr mir das antun, Jungens.«

      Es war mein Buch, mit dem er auf das Pult geschlagen hatte, und da ich neben ihm stand und seinem Auge, das im Zimmer umherflog, folgte, sah ich, wie alle Knaben schwiegen, einige aus plötzlicher Überraschung, manche aus halber Furcht, manche vielleicht aus Reue über ihr Betragen.

      Steerforths Platz war am untern Ende der langgestreckten Schulstube. Er hatte sich mit dem Rücken an die Wand gelehnt, die Hände in den Taschen, und sah Mr. Mell an, die Lippen gespitzt, als wollte er pfeifen.

      »Still, Mr. Steerforth!« sagte Mr. Mell.

      »Seien Sie selber still!« sagte Steerforth mit gerötetem Gesicht. »Zu wem sprechen Sie?«

      »Setzen Sie sich!« sagte Mr. Mell.

      »Setzen Sie sich selber!« sagte Steerforth, »und bekümmern Sie sich um Ihre Arbeit.«

      Ich hörte ein Kichern und hier und da leisen Beifall, aber Mr. Mell war so käsebleich, daß es fast augenblicklich wieder still wurde, und ein Knabe, der wieder aufgesprungen war und seine Mutter nachäffen wollte, besann sich anders und ließ sich die Feder schneiden.

      »Wenn Sie meinen, Steerforth,« sagte Mr. Mell, »es wäre mir nicht bekannt, welche Macht Sie hier über jedes Gemüt ausüben« – er legte dabei seine Hand wohl unbewußt auf meinen Kopf – »oder ich hätte nicht bemerkt, wie Sie Ihre jüngeren Mitschüler in jeder Weise aufmuntern, mich zu beleidigen, so irren Sie sich sehr.«

      »Ich gebe mir gar nicht die Mühe, an Sie zu denken,« sagte Steerforth kaltblütig, »also irre ich mich zufällig gar nicht.«

      »Und wenn Sie Ihre Stellung als Günstling hier benutzen, Sir,« fuhr Mr. Mell mit zuckenden Lippen fort, »einen Ehrenmann zu beleidigen –«

      »Was? Wo soll einer sein?« sagte Steerforth. Hier rief jemand: »Pfui, Steerforth! Das ist zu arg!« Es war Traddles, den Mr. Mell sofort damit abtrumpfte, daß er ihm Schweigen gebot.

      »Wenn Sie einen Mann beleidigen, dem es nicht so gut im Leben geht wie Ihnen, Sir, und der Sie niemals im mindesten beleidigt hat, und wenn Sie zugleich die vielen Gründe kennen, die Sie veranlassen sollten, ihn nicht zu beleidigen, Gründe, die zu kennen Sie alt und klug genug sind,« sagte Mr. Mell, und seine Lippen zitterten immer mehr, »so begehen Sie eine niedrige und schlechte Handlung. Sie können sich niedersetzen oder stehen bleiben, ganz wie Sie wollen, Sir! – Copperfield, weiter!«

      »Kleiner Copperfield,« sagte Steerforth und trat vor an das Pult; »warte einen Augenblick. – Ich will Ihnen was sagen. Mr. Mell, ein für allemal. Wenn Sie sich die Freiheit nehmen, mich niedrig oder schlecht zu nennen, oder einen ähnlichen Ausdruck gebrauchen, so sind Sie ein unverschämter Bettler. Sie sind von jeher ein Bettler gewesen, das wissen Sie ja; aber wenn Sie das tun, so sind Sie ein unverschämter Bettler.«

      Ich bin nicht recht klar darüber, ob er Mr. Mell oder ob Mr. Mell ihn schlagen wollte, oder ob überhaupt auf einer der beiden Seiten eine solche Absicht vorhanden war. Ich sah nur, daß die ganze Schule plötzlich wie versteinert geworden war, und auf einmal sah ich Mr. Creakle mitten unter uns stehen, neben ihm Tungay, und an der Türe Mrs. und Miß Creakle mit scheuen und erschrockenen Gesichtern. Mr. Mell, die Ellbogen auf das Pult gestützt und das Gesicht in die Hände gelegt, saß einige Augenblicke regungslos da.

      »Mr. Mell«, sagte Mr. Creakle und schüttelte ihn beim Arme, und sein Gekrächze war diesmal so laut, daß Tungay die Worte nicht zu wiederholen brauchte. »Sie haben sich doch nicht etwa vergessen?«

      »Nein, Sir! Nein, Sir!« erwiderte der Unterlehrer, der jetzt wieder sein Gesicht enthüllte und in großer Aufregung den Kopf schüttelte und die Hände rieb. »Nein, Sir! Nein, ich habe mich nicht vergessen – nein, Mr. Creakle, ich habe mich nicht vergessen. Ich – wünschte nur, Sie hätten mich auch nicht vergessen und etwas eher an mich gedacht – es – es – wäre gütiger gewesen und gerechter,