Ich erinnere mich der Zeit, wo mich der Gedanke, wahnsinnig zu sein, mit einem solchen Entsetzen erfüllte, daß ich oft, wenn ich aus dem Schlafe ausfuhr, auf die Knie niederfiel und brünstig zu Gott flehte, er möchte mich mit dem Fluche meiner Familie verschonen. Daß ich den Anblick der Heiterkeit und des Glückes floh, um mich an einsamen Orten zu verbergen, und manche schleppende Stunde damit zubrachte, die Fortschritte des Fiebers zu beobachten, das mein Gehirn verzehrte. Ich wußte, daß der Wahnsinn meinem Blute beigemischt war und in dem Mark meiner Knochen steckte; daß zwar eine Generation von dieser Pest bewahrt geblieben, aber daß ich der erste sei, bei dem sie wieder ins Leben treten würde. Ich wußte, daß es so sein mußte, daß es immer so gewesen und daß es immer so sein würde; und wenn ich mich in einem vollen Saale in irgendeine dunkle Ecke zurückzog und die Leute flüstern, sich zuwinken und die Augen nach mir richten sah, so wußte ich, daß sie von dem zum Wahnsinn Verdammten sprachen, und schlich hinweg, um in der Einsamkeit meinen Träumereien nachzuhängen.
So währte es Jahre – lange, lange Jahre. Die Nächte hier sind hin und wieder auch lang – sehr lang; aber sie sind nichts gegen die qualvollen, ruhelosen Nächte und schrecklichen Träume, die mich damals heimsuchten. Ein Schauder überläuft mich, wenn ich nur daran denke. Große, düstere Gestalten mit tückischen, höhnenden Gesichtern drückten sich in die Ecken meines Schlafgemachs, und beugten sich des Nachts über mein Bett, um mich wahnsinnig zu machen. Sie erzählten mir in leisem Flüstern, der Boden des alten Hauses, in dem der Vater meines Vaters starb, sei von seinem Blute befleckt, das er in tollem Wahnsinne selber vergoß. Ich hielt mir die Ohren zu, aber es schrie in meinem Kopfe, bis das Zimmer widerdröhnte, daß zwar eine Generation vor ihm vor Wahnsinn bewahrt geblieben, daß aber sein Großvater Jahre lang an die Erde gefesselt gewesen wäre, damit er sich nicht selbst in Stücke risse. Ich wußte, daß sie mir die Wahrheit sagten – ich wußte es nur zu gut. Ich hatte es Jahre lang vorher schon herausgefunden, obgleich man es mir zu verbergen suchte. Ha, ha! Ich war ihnen zu schlau, obgleich sie mich für toll hielten.
Endlich kam der Wahnsinn zum Ausbruch, und nun nahm es mich wunder, wie ich mich je davor hatte fürchten können. Ich konnte jetzt unter die Leute gehen und mit ihnen lachen und schreien, so gut wie einer. Ich wußte, daß ich wahnsinnig war, aber sie hatten nicht die mindeste Ahnung davon. Wie entzückt war ich in meinem Innern über den Streich, den ich ihnen jetzt spielte – ihnen, die früher auf mich deuteten und nach mir blinzelten, als ich noch nicht toll war, sondern nur in der Furcht lebte, ich könnte es eines Tages werden! Und wie jauchzte ich vor Freude, wenn ich allein war und dachte, wie gut ich mein Geheimnis zu wahren wußte, und wie rasch meine Freunde von mir weichen würden, wenn sie die Wahrheit erführen. Ich hätte vor Lust laut aufschreien mögen, wenn ein lärmender Zechgenosse allein mit mir speiste und ich mir das Leichengesicht und die behenden Beine des Mannes vorstellte, wenn er gewußt hätte, daß der liebe Freund, der neben ihm saß und sein Messer schärfte, ein Toller wäre, der die Macht und halb auch den Willen hätte, das gefährliche Werkzeug in sein Herz zu stoßen. O, es war ein lustiges Leben!
Reichtümer flossen mir zu. Schätze ergossen sich in meine Kassen und ich schwelgte in Vergnügen, deren Genuß durch das Bewußtsein von meinem wohlverborgenen Geheimnis tausendfältigen Wert für mich bekam. Ich erbte weitläufige Besitzungen. Das Gesetz – sogar das adlerscharfe Gesetz ließ sich täuschen und spielte umstrittene Tausende in die Hand eines Wahnsinnigen. Wo war der Verstand der scharfsichtigen, sogenannten vernünftigen Leute? Wo die Gewandtheit der Rechtsgelehrten, die sonst so leicht Nichtigkeitsgründe aufzufinden wissen? Die Schlauheit des Tollen hatte sie alle überlistet.
Ich hatte Geld. Nie machte man mir den Hof! Ach verschwendete es. Nie wurde ich gepriesen! Wie sich jene drei stolzen, hochmütigen Brüder vor mir demütigten! Und auch der alte, grauköpfige Vater – welche Achtung – welche Ehrerbietigkeit – welche aufopfernde Freundschaft! – ja, er betete mich an. Der alte Mann hatte eine Tochter, die jungen Männer eine Schwester, und alle fünf waren arm. Ich war reich, und als ich das Mädchen heiratete, sah ich in dem triumphierenden Lächeln, das auf den Gesichtern ihrer dürftigen Verwandten spielte, daß sie sich über das Gelingen ihres wohlangelegten Planes und der schönen Beute freuten. Es war an mir, zu lächeln. Zu lächeln? Nein, laut hinaus zu brüllen, die Haare zu raufen und auf der Erde zu kugeln vor lauter Entzücken. Sie ließen sich's nicht träumen, die Tochter und Schwester an einen Wahnsinnigen verkuppelt zu haben.
Doch halt! Wenn sie es auch gewußt hätten, würden sie das Mädchen geschont haben? Das Glück einer Schwester gegen das Gold ihres Gatten – ist es mehr, als die leichteste Feder, die ich in die Luft blasen kann, im Vergleich zu der glänzenden Kette, die meinen Körper schmückt?
In einem Punkte wurde ich übrigens trotz meiner Schlauheit getäuscht. Wäre ich nicht wahnsinnig gewesen – denn obgleich die Tollen sonst gescheit genug sind, so stellt sich doch hin und wieder eine Verwirrung bei ihnen ein – so würde ich doch gewußt haben, daß das Mädchen weit lieber kalt und steif in einem bleiernen Sarge, denn als beneidete Braut in meinen Prunkgemächern wäre. Ich würde gewußt haben, daß ihr Herz einem schwarzäugigen Jungen gehörte, dessen Namen ich einmal in dem Flüstern ihres unruhigen Schlafes nennen hörte, wobei sie zugleich Andeutungen fallen ließ, sie sei mir geopfert worden, um den alten, weißköpfigen Mann und die hochmütigen Brüder der Armut zu entreißen.
Ich kann mich mancher Gestalten und Gesichter nicht mehr recht erinnern, aber ich weiß, daß das Mädchen schön war. Ich weiß das ganz gewiß; denn in hellen Mondnächten, wenn ich aus dem Schlafe aufschreckte, sehe ich still und regungslos in einem Winkel dieser Zelle eine leichte, welke Gestalt mit langen, schwarzen, über die Schultern fallenden Locken stehen, die sich von keinem irdischen Winde bewegen – die Augen starr auf mich geheftet, ohne je damit zu zucken oder sie zu schließen. Pst! das Blut strömt mir eiskalt zum Herzen, während ich dies niederschreibe. Es ist ihre Gestalt; das Gesicht ist sehr blaß und die Augen glänzen wie Glas? aber ich kenne sie wohl. Diese Gestalt bewegt sich nie, Verzicht nie die Stirn und den Mund, wie es die andern tun, die bisweilen diesen Ort erfüllen. Aber sie ist mir sogar noch schrecklicher, als die Gespenster, die mich vor Jahren zum Wahnsinn verlockten – sie kommt eben aus dem Grabe und hat ganz das Aussehen einer Leiche.
Fast ein Jahr lang sah ich dieses Gesicht immer blasser werden. Fast ein Jahr lang sah ich Tränen über die trauervollen Wangen rinnen, ohne daß ich den Grund kannte. Aber endlich kam ich doch darauf. Man konnte es mir nicht länger verbergen. Sie hatte mich nie geliebt, und ich glaubte auch nie, daß sie mich liebte. Sie verachtete meinen Reichtum und haßte den Glanz, der sie umgab; – das hatte ich nicht erwartet. Sie liebte einen andern. An eine solche Möglichkeit hatte ich nie gedacht. Seltsame Gefühle bemächtigten sich meiner, und irgendeine geheimnisvolle Macht flüsterte mir Gedanken zu, die in meinem Hirne wirbelten und tobten. Sie haßte ich nicht, wohl aber den Menschen, um den sie immer weinte. Ich beklagte – ja, ich beklagte – das elende Leben, zu dem sie von ihren kalten und selbstsüchtigen Verwandten verdammt worden war. Ich wußte, daß sie nicht lange leben konnte; aber der Gedanke, sie möchte vor ihrem Tode einem unglücklichen Geschöpf das Leben geben, das die Bestimmung trüge, den Wahnsinn auf seine Kinder wieder fortzupflanzen, gab den Ausschlag. Ich faßte den Entschluß, sie zu ermorden.
Viele Wochen lang trug ich mich mit dem Gedanken, sie zu vergiften, dann, sie zu ertränken und dann, sie zu verbrennen. Ein herrliches Schauspiel – das große Haus in Flammen,