Das Erscheinen des Werkes in Monatsheften – jedes nur zweiunddreißig Seiten stark – forderte, da die mannigfaltigen Begebenheiten einen möglichst genauen Zusammenhang haben mußten, um sich nicht als abgerissen und unmöglich zu geben, die Verfolgung eines möglichst einfachen Plans. Sollte die Erzählung doch nicht unter der getrennten und abspringenden Art einer Veröffentlichung leiden, die volle zwanzig Monate andauerte. Mit einem Wort, es war notwendig – oder es schien wenigstens dem Verfasser notwendig, daß jedes Heft gewissermaßen in sich selbst abgeschlossen wäre, und daß dann doch die zwanzig vollständigen Hefte ein leidliches, harmonisches Ganze bildeten, deren sich jedes durch einen gefälligen und nicht unnatürlichen Übergang an das andere anreihte.
Es versteht sich von selbst, daß man bei einem mit solchen Rücksichten veröffentlichten Werke billigerweise keinen kunstvoll gewebten oder geistreich entwickelten Plan erwarten kann. Der Verfasser schmeichelt sich indessen mit der Hoffnung, die Schwierigkeiten seines Unternehmens mit bestem Erfolg überwunden zu haben. Wenn man deü Pickwickpapieren den Vorwurf macht, daß sie eine bloße Reihe von Abenteuern sind, in denen die Szenen immer wechseln, und die Charaktere auftauchen und verschwinden, wie die Männer und Frauen, denen wir in der wirklichen Welt begegnen, so kann er sich nur mit dem Gedanken trösten, daß sie gar nichts anderes sein wollen, und daß man dieselbe Ausstellung an den Werken einiger der größten englischen Novellisten gemacht hat.
Die folgenden Blätter wurden von Zeit zu Zeit abgefaßt, je nachdem sich periodisch Gelegenheit dazu gab. Insofern sie größtenteils in der Gesellschaft eines sehr teuren jungen Freundes geschrieben wurden, der nicht mehr ist, hängen sie in der Seele des Verfassers zugleich mit der glücklichsten Periode seines Lebens und mit dem düstersten und schmerzlichsten Ereignis zusammen.
Die fast beispiellose Güte und Gunst, womit das Publikum dieses Werk aufnahm, werden dem Verfasser während seines ganzen Lebens eine nie versiegende Quelle der dankbarsten und heitersten Erinnerung sein. Hoffentlich wird man durch das ganze Buch hindurch auf keinen Vorfall und keinen Ausdruck stoßen, der auf der zartesten Wange eine Schamröte erwecken oder das Gefühl des Empfindlichsten beleidigen könnte. Wenn eine seiner unvollkommenen Schilderungen, während sie zur Unterhaltung gedient, auch nur einen einzigen Leser bewegen sollte, eine bessere Meinung von seinen Nebenmenschen zu fassen und seine Blicke auf die lichteren und freundlicheren Seiten der menschlichen Natur zu richten, so würde sich der Verfasser ob solchen Resultates stolz und glücklich fühlen.
Erstes Kapitel. Die Pickwickier.
Den ersten Lichtstrahl, der die Nacht erhellt und das Dunkel, in das die frühere Geschichte der öffentlichen Laufbahn des unsterblichen Pickwick eingehüllt scheint, in blendenden Glanz verwandelt, erhalten wir durch einen Blick in den nachstehenden Auszug aus den Verhandlungen des Pickwick-Klubs, den der Herausgeber dieser Papiere mit Vergnügen seinen Lesern zum offenkundigen Beweise vorlegt, mit welcher gewissenhaften Sorgfalt, unermüdlichen Beharrlichkeit und feinen Unterscheidungsgabe er die ihm anvertrauten zahlreichen und verschiedenartigen Dokumente durchforschte.
Mai 12, 1817. Unter Joseph Smiggers Esq.B.V.P. – P.K.M.1 Präsidium wurden folgende Entschließungen einstimmig angenommen:
»Daß die Gesellschaft mit den Gefühlen der vollkommensten Zufriedenheit und unbedingter Beistimmung die durch Samuel Pickwick, Esq. P. P. K. M.2, mitgeteilten, spekulativen Untersuchungen über die Quelle der Fischteiche von Hampstead3 nebst einigen Bemerkungen über die Theorie des Froschsprungs vorlesen hörte und dem besagten Samuel Pickwick, Esq.P.P.K.M., ihren wärmsten Dank dafür abstattet.«
»Doß die Gesellschaft innigst von den Vorteilen überzeugt ist, die der Wissenschaft aus obengenanntem Werk, sowie überhaupt aus den unermüdlichen Forschungen des Samuel Pickwick, Esq. P.P.K.M., in Hornsey, Highgate erwachsen müssen; und daß sie daher den unschätzbaren Gewinn nicht verkennen kann, der sich für die Fortschritte und Verbreitung des Wissens unausbleiblich ergeben muß, wenn dieser gelehrte Mann seine Spekulationen auf ein weiteres Feld ausdehnt, größere Reisen unternimmt und dadurch die Sphäre seiner Beobachtungen erweitert.«
»Daß die Gesellschaft in der obgedachten Absicht einen Vorschlag in ernste Erwägung gezogen, der von vorbesagtem Samuel Pickwick, Esq. P. P. K. M., und drei andern sogleich namhaft zu machenden Pickwickiern ausgegangen, um eine neue Abteilung der vereinten Pickwickier unter der Benennung der › korrespondierenden Gesellschaft‹ des Pickwick-Klubs zu bilden.«
»Daß der besagte Vorschlag die Billigung und Genehmigung der Gesellschaft erhalten habe.«
»Daß daher die korrespondierende Gesellschaft des Pickwick-Klubs hiermit konstituiert ist, und daß Samuel Pickwick, Esq. P. P. K. M., Tracy Tupman, Esq. P. K. M., Augustus Snodgraß, Esq. P. K. M., und Nathaniel Winkle, Esq. P. K. M., hierdurch zu Mitgliedern derselben ernannt und ersucht worden sind, von Zeit zu Zeit persönliche Berichte über ihre Reisen und Untersuchungen, Beobachtungen der Charaktere und Gebräuche, und alle ihre Abenteuer nebst den dazugehörigen Papieren und Dokumenten, zu denen Lokalszenen oder Ideenverbindungen Veranlassung geben könnten, an den in London residierenden Pickwick-Klub einzusenden.«
»Daß die Gesellschaft von ganzem Herzen den Grundsatz anerkennt, nach dem jedes Mitglied der korrespondierenden Abteilung seine Reisekosten selbst tragen soll, und daß sie nicht das geringste dagegen einzuwenden hat, wenn die Mitglieder der besagten Sektion in Voraussetzung der obigen Bedingung ihre Reisen und Untersuchungen solange fortsetzen, wie es ihnen beliebt.«
»Daß endlich die Mitglieder der vorbesagten korrespondierenden Gesellschaft hierdurch in Kenntnis gesetzt worden, wie der Klub ihren Vorschlag, das Porto für die von ihnen eingehenden Briefe und Pakete ihrerseits tragen zu wollen, in Erwägung gezogen und denselben der großen Geister, von denen er ausging, für völlig würdig gefunden, weshalb er sich hiermit vollkommen einverstanden erklärt.«
Ein zufälliger Beobachter, fügt der Sekretär hinzu, dessen Aufzeichnungen wir den hier folgenden Bericht verdanken, würde vielleicht nichts Außerordentliches an dem Kahlkopf und der großgläserigen Brille gefunden haben, die während der Ablesung obiger Entschließungen unverwandt auf sein (des Sekretärs) Gesicht gerichtet waren. Für solche aber, die wußten, daß unter dieser Glatze Pickwicks gigantisches Gehirn arbeitete, und daß die strahlenden Augen Pickwicks unter jenen Gläsern funkelten, hatte der Anblick in der Tat ein hohes Interesse. Da saß er, der Mann, der die Teiche von Hampstead bis zu ihren Quellen erforscht und durch seine Theorie des Froschsprungs die ganze gelehrte Welt in Alarm gesetzt hatte, so ruhig und unbeweglich wie die tiefen Wasser der ersteren an einem kalten Wintertage, oder wie ein einsames Exemplar der letzteren in dem geheimsten Winkel eines irdenen Krugs. Und um wieviel interessanter wurde das Schauspiel, als auf den einstimmigen Ruf » Pickwick!« der ausgezeichnete Mann langsam den stark gebauten Holzstuhl, auf dem er gesessen, bestieg und voll Feuer und Leben den von ihm selbst gegründeten Klub anredete! Welch eine Studie für einen Künstler bot diese Szene dar!
Der beredte Pickwick – da steht er, die eine Hand mit Grazie hinter seinem Rockschoß verbergend, während die andere die Lüfte zerteilt, um seine glühende Ansprache zu unterstützen: seine erhabene Stellung macht seine enganschließenden Unaussprechlichen und Gamaschen bemerkbar, die an einem Mann von gewöhnlichem Schlag vielleicht gar nicht aufgefallen wären, so aber, da sie einen Pickwick bekleideten, wenn wir uns des Ausdrucks bedienen dürfen, eine unwillkürliche Achtung und Ehrfurcht einflößen; da steht er: umringt von den Männern, die sich freiwillig entschlossen haben, die Gefahren seiner Reisen und den Ruhm seiner Entdeckungen mit ihm zu teilen.
Zu seiner Rechten sitzt Mr. Tracy Tupman, der nur zu empfängliche Tupman, der mit der Weisheit und Erfahrung reiferer Jahre die Begeisterung und Glut des Jünglings in der anziehendsten und verzeihlichsten aller menschlichen Schwächen – der Liebe – vereinigt. Die Jahre und das Wohlleben haben