»Wegen eines Auftrags selbstverständlich. Ich dachte, es würde vielleicht noch ein paar Tage dauern, aber die Chefetage scheint es eilig zu haben. Ich hole dich heute Nachmittag gegen vier Uhr ab.«
»Um was zu tun?«
»Kleinkram, wirklich. Es wird nett. Ganz wie in alten Zeiten.«
»Wann waren die alten Zeiten jemals nett?«
Harvey lachte. »Ach, komm schon, Michael! Sei nicht so ein Miesepeter. Der Job wird gut bezahlt.«
»Das interessiert mich nicht.« Michael maß Harvey mit skeptischem Blick. »Vielmehr würde ich gerne wissen, was für ein Job das sein wird.«
»Nichts, worüber du dir jetzt schon Gedanken machen müsstest. Vertrau mir, es ist wirklich nur Kinderkram. Fast schon zu schade für zwei Profis wie uns beide. Und nun geh wieder rein und genieß das Frühstück im Kreise deiner Lieben.« Mit einem herablassenden Nicken stieg Harvey die Stufen hinab. Unten angekommen drehte er sich noch einmal um. »Wenn du kooperierst und uns unterstützt, wirst du noch viele solcher Feiern im Freundes- und Familienkreis erleben dürfen. Bis später dann. Halt dich bereit.« Winkend verschwand er um die Hausecke und damit aus Michaels Blickfeld. Kurz darauf sprang der Motor eines Wagens an.
Mit gemischten Gefühlen kehrte Michael ins Loft zurück, wo sich inzwischen alle um den Esstisch versammelt hatten.
»Wer war denn dieser unhöfliche Mensch, Michael?« Helen reichte ihm einen Teller mit reichlich Rührei, als er sich setzte.
»Niemand, Mom.« Er schob mit der Gabel die Speckstreifen von seinem auf Briannas Teller, woraufhin sie sie mit spitzen Fingern auf den Teller ihres Bruders hievte. Dabei musterte sie ihn fragend. »Was wollte Harvey von dir?«
»Harvey heißt der Mann?« Helen beugte sich ein wenig vor. »Du solltest deinen Freunden klarmachen, dass es unpassend ist, so früh, noch dazu am Neujahrstag, Besuche zu machen.«
»Er ist kein Freund, Mom.«
»Noch schlimmer.«
Ehe Brianna etwas sagen konnte, warf Michael ihr einen warnenden Blick zu. Statt weiter nachzuhaken, reichte sie ihm die Platte mit den Tomatenscheiben und wandte sich gleichzeitig an Helen. »Sagen Sie, was ist das denn eigentlich für eine entzückende Porzellanpuppe, die ich auf Ihrem Kaminsims gesehen habe?«
Sofort war Helen abgelenkt. »Oh, die alte Lizzy meinen Sie? Gefällt sie Ihnen? Das ist ein Erbstück. Meine Großtante Monica hat Porzellanpuppen gesammelt. Mit Lizzy durfte ich als kleines Mädchen immer spielen, ganz vorsichtig natürlich, damit sie nicht zerbricht. Tante Monica hat sie mir nach ihrem Tod vermacht, zusammen mit einigen anderen Puppen, aber die sind allesamt in einer Kiste auf dem Dachboden. Joe mag sie nicht. Lizzy ist die Einzige, die er in unserem Wohnzimmer duldet.« Helens Miene wurde wehmütig. »Vielleicht, weil sie ihn an Amber erinnert.«
»Amber?«
»Mom.« Michael spürte einen harten Knoten in seiner Magengrube. »Lass gut sein.«
»Amber war auch immer ganz blass und zart, ganz wie eine Porzellanpuppe.«
»Wer ist Amber?« Aufmerksam sah Brianna von Helen zu Michael und wieder zurück.
»Michaels und Daniels Schwester.« Helen lächelte traurig. »Sie starb, als sie vier war. Michael war gerade sieben und Daniel«, sie griff über den Tisch hinweg nach der Hand ihres jüngeren Sohnes und tätschelte sie leicht, »gerade drei geworden.«
»Oh, das tut mir leid.« Betroffen senkte Brianna den Kopf.
»Ihr Verlust hat uns alle schwer getroffen, nicht wahr, Michael? Vor allem Joe.« Helen seufzte, dann griff sie betont forsch nach dem Korb mit dem Toastbrot und reichte ihn herum. »Aber das ist lange Vergangenheit und immerhin habe ich die beiden tapfersten Söhne, die man sich vorstellen kann.«
Niemandem schien darauf eine passende Antwort einzufallen. Brianna räusperte sich unterdrückt. »Noch einmal zu diesen Porzellanpuppen. Sie haben also noch weitere auf dem Dachboden? Würden Sie mir erlauben, sie mir bei Gelegenheit einmal anzusehen?«
»O ja, selbstverständlich, wenn es Sie interessiert.«
Brianna lächelte leicht. »Ich sammele Porzellanpuppen, seit ich denken kann.«
»Tatsächlich?«
»Ihr Zimmer war voll davon, als sie noch ein kleines Mädchen war.« Matt goss Kaffee in seine Tasse und gab einen Schuss Sahne dazu. »Wie viele hattest du, Bri? Zehn, zwölf?«
»Nur sieben. Wir hatten doch gar nicht so viel Geld. Damals zumindest nicht.«
»Mir kam es vor, als seien es mindestens zwanzig. Überall hockten sie herum in diesen altmodischen Kleidchen. Schauderhaft.«
Brianna lachte. »Schauderhaft war nur diese eine. Cilly. Ein Erbstück von meiner deutschen Großmutter«, erklärte sie Helen. »Sie schaut ein bisschen verkniffen und trägt so eine seltsame Schwarzwald-Tracht. Aber ich will mich nicht von ihr trennen, denn viele Sachen haben wir nicht mehr von unserer Grandma.«
»Das verstehe ich gut.« Helen erwiderte ihr Lächeln. »Wenn Sie Sammlerin sind, werden Sie vielleicht enttäuscht sein. Ich fürchte, die Puppen in meiner Kiste sind ziemlich verwahrlost.«
»Vielleicht lassen sie sich wieder herrichten.«
Schweigend lauschte Michael dem nichtssagenden Geplauder und fragte sich, wie zum Teufel er die Sorge um seine Familie und seine derzeitige Situation unter einen Hut bringen sollte. Genau davor war er immer zurückgeschreckt. Die beiden Welten passten nicht zueinander, und sie zu vermischen, würde ihn vor nicht absehbare Probleme stellen. Dummerweise steckte er bereits mitten im Chaos, das seinen Lauf nehmen würde, je länger er seine Mom und Daniel hier beherbergte. Dabei wäre es dringend angeraten, sich über die angekündigte Mission Gedanken zu machen und eigene Pläne zu schmieden.
3. Kapitel
»Ich hab einen Job.« Luke steckte sein Handy in die Hosentasche. »Martha aus dem Kautionsbüro sagt, sie braucht jemanden, der einen Kleinkriminellen einkassiert, der kürzlich seine Gerichtsverhandlung versäumt hat und jetzt untergetaucht zu sein scheint. Nichts Großartiges, bringt aber ein bisschen Cash in die Kasse.« Er gesellte sich zu Michael, der schon seit einer geraumen Weile am Esstisch saß und versuchte, sich auf einen Plan für den bevorstehenden Nachmittagsausflug mit Harvey zu konzentrieren.
»Das fällt dieser Martha am Feiertag ein?« Brianna saß auf der drittuntersten Stufe der Treppe und spielte mit ihrem Handy herum.
»Das Gesetz kennt keine Feiertage.« Luke setzte sich Michael gegenüber. »Ich nehme nicht an, dass du mit von der Partie sein willst?«
»Ich habe zu tun.«
»O ja, Geheimauftrag für Harvey und diese Elias-Typen.« Briannas ätzende Stimme schlug Michael auf den Magen. Unwirsch hob er den Kopf. »Wir waren uns einig, dass ich zum Schein auf deren Angebot eingehe. Eine andere Wahl habe ich auch wohl kaum, wenn ich nicht jeden in Gefahr bringen will, der mir auch nur ansatzweise nahesteht.«
»Lass uns wenigstens mitmischen. Wir folgen euch unauffällig und …«
»Nein, Bri.« Verärgert starrte er wieder auf die Tischplatte. »Noch nicht«, schränkte er ein, weil er sie nicht vor den Kopf stoßen wollte. »Ich muss erst einmal herausfinden, was sie vorhaben. Laut Harvey überwachen sie mich. Ich will nicht das Risiko eingehen, dass sie versuchen, euch auszuschalten. Du hast selbst gesehen, dass sie nicht zimperlich sind.« Er spielte damit auf den Mord an einem Mafioso an, durch den ihnen vor wenigen Tagen beinahe der Plan, einer jungen Frau aus der Patsche zu helfen, zunichtegemacht worden wäre. »Ich begleite Harvey fürs Erste allein. Euch schalte ich ein, wenn ich es für sinnvoll halte.«
»Na, danke.« Briannas beleidigter Blick traf ihn. Mit einer graziösen Bewegung stand sie auf und kam zum Tisch. Demonstrativ