Ein beliebtes Mittel zur Entfernung aus dem öffentlichen Dienst war die Rufschädigung durch falsche juristische Anschuldigungen. Bei den Angeklagten handelte es sich meist um „juristisch geschulte, verwaltungserfahrene Fachleute mit gutem Ruf“,25 die häufig trotz der falschen Beschuldigungen versuchten politische Neutralität zu wahren.26 So wurden in Mülheim an der Ruhr anonyme Anzeigen gestellt, dass kommunale Politiker und hochrangige Beamte städtische Gelder missbraucht oder sie deren zweckfremde Verwendung wissentlich gebilligt hätten. Die Vorwürfe gegen die Angeklagten erwiesen sich in Mülheim an der Ruhr, wie auch in den meisten anderen Städten, als ungerechtfertigt und rein politisch motiviert. Sie führten jedoch in der Regel zum seitens der NSDAP angestrebten Rufmord.
In Mülheim an der Ruhr wurde dem fälschlich angeklagten Oberbürgermeister Schmidt nach Erhebung der Beschuldigungen der Nationalsozialist Wilhelm Maerz als Staatskommissar zur Unterstützung und Vertretung zur Seite gestellt. Die Anweisung war vom übergeordneten Gauleiter ergangen. Auch die Dienstbiografie von Maerz wird an späterer Stelle noch genauer betrachtet (Kapitel 3.2).
Die erhobenen Anschuldigungen gegen Oberbürgermeister Schmidt und die weiteren Beschuldigten erwiesen sich als komplett haltlos, führten jedoch teilweise zu Rücktritten und Entlassungen. Für weitere Entlassungen wurde das neu geschaffene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 genutzt, das sich unter anderem gegen „politisch unzuverlässige“27 und jüdische Beamtinnen und Beamte richtete.28 Betroffen waren häufig Mitglieder der gegnerischen Parteien KPD und SPD, die meist aus dem Dienst entfernt wurden. Zudem wurden durch die neue Gesetzeslage vorgezogene Pensionierungen aus Dienstgründen oder zur Vereinfachung der Verwaltung möglich.29
Sowohl die NSDAP als auch städtische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter legten Maerz in der Folgezeit Namen und sogar ganze Listen mit zu entlassenden städtischen Kolleginnen und Kollegen vor. Betroffen waren weiterhin Mitglieder von anderen Parteien als der NSDAP, es konnte allerdings auch jeder unliebsame Kollege denunziert werden. In die freigewordenen Positionen rückten in der Mülheimer Stadtverwaltung meist Nationalsozialisten nach, vor allem langjährige Parteimitglieder sollten bevorzugt eingestellt werden. Es galt sogar eine Quote an Neueinstellungen für diese Personengruppe zu erfüllen und die NSDAP vermittelte ihren Mitgliedern vielfach Arbeit, vor allem Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst.30
Die verbliebenen Arbeiter, Angestellten und Beamten der Stadtverwaltung mussten Treueeide sowie Prüfungen der politischen Zuverlässigkeit bezüglich ihrer nationalsozialistischen Gesinnung ablegen.31 Sie mussten hierzu Fragebögen ausfüllen32 und ihre arische Abstammung nachweisen.33 Diese Angaben wurden dann von Staatskommissar Maerz und der Kreisleitung der NSDAP gemeinsam auf Maßnahmen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums überprüft.34 Jüdinnen und Juden wurden in der Regel aus dem öffentlichen Dienst ausgeschlossen, wie noch anhand der Dienstbiografie der Volksschullehrerin Elfriede Loewenthal aufgezeigt wird (Kapitel 5.2). Außerdem erging bereits ab 1933 innerhalb der Mülheimer Verwaltung das Verbot städtische Einkäufe in jüdischen Geschäften zu tätigen und öffentliche Aufträge an jüdische Firmen zu vergeben,35 wodurch Jüdinnen und Juden wirtschaftlich diskriminiert und aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurde.
Im Vorfeld der Reichspogromnacht hatte die jüdische Gemeinde ihre Synagoge im Jahr 1938 aus Geldnot durch die nationalsozialistischen Repressalien veräußern müssen, Käufer war die städtische Sparkasse. Im Rahmen der Pogromnacht setzte die städtische Feuerwehr die Synagoge schließlich in Brand und zerstörte somit ein Gebäude, das sich in städtischem Besitz befand.36
Mülheims Beamtenschaft galt als „traditionell konservativ“,37 wie auch landesweit. Sie stimmte mit den Nationalsozialisten darin überein, dass Deutschland wieder seine frühere staatliche Bedeutung gewinnen sollte. Gerade jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung sympathisierten mit dem neuen Regime, da es ihnen bessere Aufstiegschancen bot, als die vorherige finanzschwache Weimarer Republik es konnte. Der Beamteneid wurde in der Folgezeit auf Adolf Hitler persönlich abgelegt und bot den Beamtinnen und Beamten Legitimität für ihr Verwaltungshandeln.38
Über das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums hinaus trat 1933 ebenso das Gesetz zur Minderung der Arbeitslosigkeit durch die Überführung weiblicher Arbeitskräfte in die Hauswirtschaft in Kraft. In Ergänzung wurde auch das Beamten- und Versorgungs-recht angepasst, sodass die Verbeamtung von Frauen ausgebremst wurde und familiär abgesicherte Beamtinnen zu entlassen waren. Die Arbeitslosigkeit wich allerdings ab etwa 1936 einem weitverbreiteten Mangel an Arbeitskräften, sodass die Regelungen zur vormals forcierten Entlassung von Mitarbeiterinnen entschärft und entlassene Frauen oftmals wiedereingestellt wurden.39
Bis Ende 1940 waren im Rahmen des Zweiten Weltkrieges bereits knapp 240 Verwaltungsmitarbeiter zur Wehrmacht eingezogen worden. Um die entstanden Lücken zu schließen, sollten unter anderem Ruhestandsbeamte wie der Stadtamtmann Peter Dreis (Kapitel 6.2) wieder aktiviert werden, insofern die Personen als politisch zuverlässig galten.40 Zudem verblieben einige Beamtinnen und Beamte, freiwillig oder unter Druck, auch nach Erreichen des Ruhestandsalters im Dienst der Stadt.41
7 Vgl. Bracher, K. D., Sauer, W. & Schulz, G. (Hrsg.) (1960). Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34. 1. Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 47. (künftig zitiert: Bracher et al., 1960).
8 Vgl. ebd., S. 50.
9 Vgl. ebd., S. 86ff.
10 Vgl. Mann, T. & Püttner, G. (2007). Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis. 3. Auflage. Heidelberg: Springer, S. 120. (künftig zitiert: Mann & Püttner, 2007).
11 Vgl. Mühlenfeld, D. (2004). 70 Jahre „Machtergreifung“ in Mülheim an der Ruhr. In Verkehrsverein Mülheim an der Ruhr e. V. (Hrsg.). Mülheimer Jahrbuch 2004. Mülheim an der Ruhr: Thierbach, S. 221ff. (künftig zitiert: Mühlenfeld, 2004).
12 Vgl. Emons, T. (2010). Tage, die Mülheim veränderten – ein stadtgeschichtliches Lesebuch. In Zeitschrift des Geschichtsvereins Mülheim an der Ruhr e.V. (Hrsg.). (84/2010), S. 102. (künftig zitiert: Emons, 2010).
13 Vgl. Interview Wickrath, K. vom 16. Mai 2019, Frage 1.