Es kam mir schon ein bisschen komisch vor, dass Geraldine sich gar nicht groß gewundert hat, als ihr da plötzlich die Untoten aus der Bushaltestelle entgegentraten. Ich hatte mir vorgenommen, das später alles noch genau zu erklären, wo sie gewesen war und warum sie nichts mitbekommen hatte, aber dann habe ich verstanden, dass das eben genauso ist im Zombiegenre und dass ich also auf einem sehr guten Weg war. Irgendjemand ist einfach mal weg, und als er oder sie wiederkommt, ist irgendwas komisch, und dann kommen auch schon die ersten Zombies von überall her. Groß wundern tut sich da eigentlich keiner, es ist ja ein Zombiefilm.
AMERIKA II
Der Fernseher läuft mit den neuesten Nachrichten. Der Präsident liegt auf dem Bett und twittert. In der einen Hand hält er eine Cola Light, in der anderen das Smartphone. Er hatte natürlich auch den Regierungscomputer und das Regierungstablet, auf denen er jederzeit twittern könnte, aber die verwendete er so selten, dass sie wahrscheinlich gar nicht aufgeladen waren. Er hatte gerade noch mal was zum »damned China virus« gepostet, weil es ihn so verdammt wütend machte, wenn einer dieses verfluchte CoViD-Wort benutzte. Das würde er ihnen aber schon noch beibringen.
Es war ein anstrengender Tag gewesen, alle hatten irgendetwas von ihm hören wollen. Was denn nun wäre mit den Infizierten, und wie er sich das alles vorstellte. Er hatte eigentlich schon die Schnauze voll gehabt, aber dann war er doch vor die Kameras getreten und hat gesagt, dass er sie alle retten würde. Eine Billion Dollar würde er verteilen, jeder wird Geld bekommen und jeder eine Behandlung, wenn er sie bräuchte, kostenlos, wenn es sein musste. Die Firmen kriegen alle unbegrenzt Kredit und ein Impfstoff ist sowieso schon so gut wie gefunden. In zwei bis drei Wochen ist der Spuk vorbei und alles wird noch viel mehr am großartigsten sein als zuvor. Das müsste genügen. Ursprünglich sollte das Geld ja in die Mauer gesteckt werden, um diesen Zaunkletterern mal zu zeigen, was Amerika unter einer Grenze versteht. Aber dieses Gequatsche mit dem China-Virus wollte einfach nicht aufhören.
HOMESCHOOL II
Mitten in der Nacht schlich ich in das Zimmer meiner Mutter und setzte mich etwas zu schwungvoll auf ihr Bett. Wenn sie sich nicht freiwillig in Quarantäne begab, musste ich sie am besten sofort anstecken. Mir war klar geworden, dass es ja nur von Vorteil sein konnte, so früh wie möglich angesteckt zu werden, weil jetzt wären wenigstens noch Betten und Beatmungsgeräte frei, falls sie dann ein Bett und ein Beatmungsgerät brauchen würde. Meine Mutter, die noch gar nicht richtig wach war, hat nur gesagt, dass ich rausgehen und sie in Ruhe lassen soll, das wiederholte sie so lange, bis ich draußen war.
Am nächsten Morgen am Frühstückstisch sahen wir uns gar nicht an. Wir guckten beide nur auf den leeren Dorfplatz. Und dann habe ich gesagt, dass unten ins Erdgeschoss jetzt die Homeschool reinkommt und sie diese Räume besser nicht mehr betreten soll, weil Kinder, wie jeder weiß, besonders infektiös sind.
Ich war noch ganz aufgebracht, als ich den Klassenraum betrat. Es waren zwar nur sechs Kinder, aber trotzdem gab es einen Riesenlärm. Ich schrie, dass sich alle jetzt sofort auf ihre Plätze setzen und still sein müssen. Die Kinder waren auf der Stelle still und schauten mich fassungslos an. So etwas hatten sie noch nie erlebt, also meine Kinder schon, aber die Nachbarskinder nicht. Sie gingen ja normalerweise auf eine freie Schule, wo sehr viel diskutiert wird, was man als Nächstes macht und ob das auch dem entspricht, was man eigentlich will, und wie sich das mit der Gruppenmeinung vereinbaren lässt. Ich habe den Kindern gesagt, sie sollen jetzt 45 Minuten leise in ihren Arbeitsheften schreiben, ich würde den Timer stellen, und dann sei die erste Schulstunde vorbei. Eigentlich hatten wir in der Vorbereitung lauter schöne Projekte an die Tafel geschrieben, die die Kinder sich selbst ausgedacht hatten, aber ich habe gesagt, ist mir egal, jetzt gibt es erst mal Heftarbeit, und wer stört, geht zu sich nach Hause und darf erst morgen wiederkommen. Dann habe ich mich auf meinen Stuhl in der Ecke gesetzt und meinen Computer aufgeklappt.
UNSICHTBAR
Keiner konnte sich so recht vorstellen, wie ein Corona-Infizierter aussah, also wie er in seinem Bett lag und hustete. Es waren immer nur Leute in Schutzkleidung zu sehen und Krankenhausgänge, lazarettartige Zelte und am allermeisten der Virus selbst, die bunte 3-D-animierte Kugel mit den kronenartigen Saugnäpfen. Am Anfang war das Virus auf den Bildern meistens rot, dann blau und schließlich grün mit Stacheln, manchmal auch blaue Kugeln mit gelben Fortsätzen. Später gab es natürlich noch viel, viel mehr Bilder, Bilder von leeren Plätzen in Millionenstädten, von Reagenzgläsern und leergekauften Supermarktregalen, Bilder von Särgen in Kirchen.
Meine Mutter bekam von ihrer Schwester einen WhatsApp-Kettenbrief weitergeleitet, mit dem man schon viel mehr anfangen konnte. Er war wohl von einem italienischen Arzt verfasst worden, der in einem chinesischen Krankenhaus gearbeitet hatte und alles sehr genau beschrieb. Es hieß, wenn man eine laufende Nase mit Auswurf habe, dann habe man den Virus nicht. Das eindeutigste Indiz sei trockener Husten ohne Auswurf. Der Virus würde bei 36 bis 37 Grad sterben, weswegen man sehr viel heißes Wasser und Tee trinken und kein Eis zu sich nehmen solle. In die Sonne solle man sich setzen. Es waren noch sehr viel mehr nützliche Informationen in der Nachricht, von gefährlichen Metalloberflächen und von Waschmittel war die Rede, aber meine Mutter interessierte sich dann doch mehr für die Samen, die jetzt in die Erde kommen mussten. Dicke Bohnen natürlich, aber auch Radieschen und Möhren. Artischocken und Salate kamen auf die Fensterbank, nur für Tomaten fehlten ihr in diesem Jahr die Nerven. Ich las die Nachricht vom italienischen Arzt aus dem chinesischen Krankenhaus, die sie mir freundlicherweise weitergeleitet hatte, wieder und wieder. Es würde im Hals anfangen und nach drei bis vier Tagen würde das Virus mit der Nasenflüssigkeit verschmelzen und durch die Luftröhre in die Lunge tropfen. »Sie werden das Gefühl haben, im Wasser zu ertrinken und dabei bei vollem Bewusstsein zu sein«, schrieb der Arzt. »Es ist wichtig, sofort ins Krankenhaus zu gehen, wenn Sie dieses Gefühl haben.«
GEHEIMNISSE
Man konnte nicht sagen, ich hätte es nicht probiert. Schon seit dem Mittagessen saß ich im Salon, wie der Mann unser jetziges Schlafzimmer nannte, das eigentlich mal eine Abstellkammer gewesen war, aber jetzt der einzige sichere Raum, in den die Baustelle nicht reinkam. Jetzt musste ich noch elf Tage und 21 Stunden durchhalten, dann war die Quarantäne vorbei und ich wäre geheilt. Das schaffe ich niemals, dachte ich, musste meine Viruserkrankung einfach so gut es ging verstecken. Auf jeden Fall durfte niemals jemand dahinterkommen, dass ich Patient 1 in unserem Dorf gewesen sein werde. Ich hatte Glück und der Virus hatte sich in dieser Phase komplett in meine Lippen zurückgezogen. Sie waren sehr wund, und keine Salbe konnte mir helfen. Dieses Symptom war zum Glück noch nicht entdeckt und niemand schöpfte Verdacht. Ich benahm mich einfach auffallend fröhlich und machte immer einen kleinen Scherz aus meinen zwei Metern Sicherheitsabstand. So machte ich mich extra unverdächtig.
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