Rocket Science. K.M. Neuhold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: K.M. Neuhold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238312
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dich nicht über mich lustig. Soziale Bedürfnisse finden sich auf der Bedürfnispyramide von Maslow. Soziale Interaktion ist wichtig, genauso wie Essen und ein Dach über dem Kopf.«

      »Nun, jetzt wissen wir zumindest, dass das viele Geld, das du für dein Psychologiestudium ausgegeben hast, es wert war.«

      »Pax, ich meine das ernst.«

      »Okay, aber was willst du, dass ich daran ändere?«, frage ich und seufze, während ich mich gegen die Bar lehne. Langsam verfliegt das Verlangen, mir einen Fremden für die Nacht aufzureißen.

      »Ich möchte, dass du ein bisschen mit ihm abhängst. Nur, um ihn aus seiner Wohnung zu bekommen. Du musst nicht auf ewig sein Babysitter bleiben, stell ihn einfach ein paar Leuten vor, damit ich weiß, dass er nicht vollkommen allein da draußen ist.«

      Ein Hauch Verzweiflung schwingt in Theos Stimme mit, die mich davon abhält, ihn einfach abzuwimmeln. Meine Zeit mit einem schlaksigen, sozial unbeholfenen Nerd zu verbringen, steht nicht mal ansatzweise oben auf meiner To-do-Liste. Aber Theo hat recht, es ist nicht so, als müsste ich der beste Freund dieses Kerls werden. Wir können uns auf ein paar Drinks treffen und vielleicht kann ich ihn ein paar Bekannten vorstellen, das wäre keine große Sache.

      »Na schön, schick mir seine Nummer«, stimme ich zu.

      »Danke, danke, danke. Ich schulde dir was. Was Großes.«

      »Ich werde dich daran erinnern«, necke ich ihn.

      Wir legen auf und nur Sekunden später vibriert mein Handy aufgrund einer Nachricht von Theo, die die Handynummer beinhaltet. Ich speichere sie ein, ehe ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Jagd lenke.

      Elijah

      Ich stecke mir etwas Popcorn in den Mund und lasse es ein paar Sekunden lang auf meiner Zunge zergehen, genieße den buttrigen, salzigen Geschmack, ehe ich es kaue und hinunterschlucke. Ich greife nach einem weiteren Stück, darauf bedacht, meinen Snack nicht auf meinem Stapel Notizen und Lehrbücher, die aufgeschlagen auf dem Tisch liegen, zu verteilen. Seite um Seite an Berechnungen sind vor mir ausgebreitet und das letzte, was ich brauchen kann, ist, dass alles mit Popcornfett beschmiert wird. Ich wische meine Hand an meiner Jeans ab und greife nach meinem Stift, um weiterzuarbeiten.

      Ein angenehmes Gefühl von Frieden und Stolz erfüllt mich, als die Gleichung sich endlich zusammenfügt und die Berechnung der Umlaufbahn eines Satelliten entsteht. Es gibt einen Grund dafür, dass Zahlen für mich immer mehr Sinn ergeben haben als Menschen. Zahlen sind einfach: Sie tun immer, was man von ihnen erwartet. Das hat mich zur Luft- und Raumfahrttechnik hingezogen. Die Fähigkeit, ein Problem zu erkennen und eine Lösung zu finden, indem man bekannte, mathematische Prinzipien der Physik anwendet, ist großartig. Außerdem: Raketen.

      Dahingegen tun Menschen selten das, was ich erwarte. Sie sagen Sachen, meinen aber etwas anderes, sie lachen und ärgern einen, sie lügen. Menschen ergeben für mich einfach keinen Sinn, nicht so wie die Physik und Zahlen es tun. Menschen versuchen es nicht einmal.

      Ich werfe einen Blick auf die Modellrakete auf meiner Kommode, die neben meinem Bett in die Ecke des Zimmers gequetscht ist. Sie war ein Geschenk von meinem besten Freund Theo, bevor ich aus New York weggezogen bin. Theo ergibt für mich auch keinen Sinn, aber ich mag ihn trotzdem. Er ist nett und lustig, obwohl er immer schon die schlechte Angewohnheit hatte, mich dazu zu zwingen, das Haus zu verlassen und Leute zu treffen, die ich nicht sonderlich mochte.

      Eine unangenehme Enge, von der ich sicher bin, dass sie irgendetwas mit dem Gedanken an meinen besten Freund zu tun hat, der tausende Meilen entfernt ist, breitet sich in meiner Brust aus. Es war unvermeidlich, dass sich unsere Wege trennen würden, das wusste ich von Anfang an. Aber ich hätte nie gedacht, ihn zu vermissen, wenn es passiert. Ich glaube, dass er sich über die Jahre hinweg seinen Weg tiefer unter meine Haut gebahnt hat, als ich erwartet hatte.

      Als hätte ich ihn durch meine Gedanken beschworen, leuchtet mein Handy auf meinem Lehrbuch über Strömungslehre auf. Theos Name steht auf dem Display.

      »Hallo«, grüße ich ihn, als ich das Gespräch annehme.

      »Hey«, antwortet er mit so viel Enthusiasmus, dass ich mein Handy von meinem Ohr weghalten muss, um nicht taub zu werden. Ich stelle den Lautsprecher ein und lege mein Handy zurück auf das Lehrbuch. »Wie war der Umzug? Bist du gut angekommen? Bist du bereit für deine Veranstaltungen nächste Woche?«

      »Der Umzug ist glatt gelaufen. Meine Wohnung hat ungefähr die Größe eines Schuhkartons, ich stolpere quasi andauernd über mein Zeug. Aber ich habe einen Tisch, an dem ich lernen kann, und ein Bett, in dem ich schlafen kann, und das ist alles, was ich wirklich brauche. Und ja, ich freue mich schon sehr darauf, dass die Kurse anfangen. Ich hab schon angefangen, die Lehrbücher durchzuarbeiten, und entspanne mich heute Abend mit ein paar Berechnungen.«

      Am anderen Ende der Leitung lacht Theo auf und ich merke, wie ich mich etwas sträube. Ich weiß, dass viele Leute es nicht als entspannend bezeichnen würden, an einem Freitagabend zu Hause zu sitzen und Auftrieb-, Antriebs- und Widerstandskräfte zu berechnen, aber für mich ist es das. Manche Leute lösen Sudokus, manche handarbeiten, ich löse gerne Gleichungen. Ich weiß nicht, was daran so falsch sein soll.

      »Hast du deine Nachbarschaft überhaupt schon erkundet? Die örtlichen Bars ausgekundschaftet oder so?«

      »Warum sollte ich das tun?«, frage ich, während das Gespräch meiner Aufmerksamkeit entgleitet, da es sich in eine Richtung bewegt, auf die ich keine Lust habe.

      »Du bist so nahe am Campus. Ich wette, wenn du in eine Bar gehen würdest, würdest du dort andere Studenten treffen«, schlägt Theo vor. Sein Ton impliziert, dass das, was er beschreibt, irgendwie ein wünschenswertes Ergebnis wäre.

      »Und dann?« Ich kenne die Antwort bereits. Ich mache Small Talk, gebe vor, mich dafür zu interessieren, wo sie gelebt haben, ehe sie nach Kalifornien gezogen sind, und wie sehr sie ihre Mitbewohner hassen oder worüber auch immer Collegestudenten gerne reden. Sie würden so tun, als interessierten sie sich auch für mich und alle möglichen Fragen stellen, die ich nicht beantworten will. Dann würden sie sich eine höfliche Entschuldigung ausdenken, um weggehen zu können, damit sie mit ihren Freunden über mich lachen können.

      »Dann würdest du einen Freund finden«, sagt er mit einem Hauch Traurigkeit in seiner Stimme, als würde es ihm wehtun, mir das erklären zu müssen.

      »Ich habe schon einen Freund«, erkläre ich.

      »Zwischen uns liegt ein komplettes Land«, argumentiert er.

      »Das mindert unsere Freundschaft nicht.« Emotionale Bindungen sind, was das angeht, komisch. Anders als physikalische Kräfte werden sie von der Distanz zwischen zwei Objekten – oder Personen, in diesem Fall – nicht beeinflusst. Wenn man darüber nachdenkt, ist das faszinierend.

      Theo seufzt und ich kann ein Rascheln auf seiner Seite der Leitung hören; ich gehe davon aus, dass er es sich gemütlich macht.

      »Ich habe Pax angerufen«, meint er. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und mein Magen flattert allein aufgrund der Erwähnung von Theos großem Bruder Paxton heftig.

      Den größten Teil meiner Kindheit über ist er nur Theos weitgehend abwesender großer Bruder gewesen. Da er acht Jahre älter ist, hat er von unserer Existenz kaum Notiz genommen, umgekehrt war es genauso. Als er ans College gegangen und ausgezogen ist, ist das kaum aufgefallen. Bis zu dem einen Sommer, als ich dreizehn war.

      Die meisten meiner Mitschüler hatten angefangen, all ihre Energie darauf zu verwenden, sich bei Mitgliedern des anderen Geschlechts einzuschmeicheln. Die Jungs trafen sich, um sich zuzuflüstern, welche Mädchen die kürzesten Röcke trugen und welchen sie gerne unter den BH fassen würden. Die Mädchen hatten gekichert und zurückgeflirtet. Theo ist eine Ausnahme gewesen. An einem Wochenende, als ich bei ihm übernachtet habe, hat er mir flüsternd gestanden, dass er glaubte, er würde vielleicht Jungs mögen. Wie es schien, war ich der Außenseiter, da ich zu der Zeit weder Interesse an Mädchen noch an Jungs hatte. Ich war eher damit beschäftigt, Möglichkeiten zu finden, das Design meiner Modellraketen,