Die Villen vom Traunsee. Marie-Theres Arnbom. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie-Theres Arnbom
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783903217355
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»Dort, in der Sonne des herrlichen Spätherbstes, im Anblick des wunderbaren Sees, erlosch diese hochgestimmte Seele, vom Tode, den sie im Sinne indischer Weisheit nicht als Ende menschlicher Existenz betrachtete, gütig, leidlos hinweggenommen. Marie Lang ist nahezu 77 Jahre alt geworden. Ohne ein Anzeichen nahenden Endes zu fühlen, setzte sie sich mit einem Buch auf eine Bank am Ufer, um ein Stündchen im Freien zu lesen. Als ihr Enkel sie holen wollte, war sie schon entschlafen, das Buch in der erkalteten Hand.«20

       Weg 2

       4 Die drei Villen der Geschwister Adler.

       Oder: U-Boote am Traunsee

       Gmunden, Josef-Dangl-Straße 1, Franz-Stelzhamer-Straße 12 und 17

      Beim Durchforsten des Grundbuches bleibt mein Blick bei drei Damen hängen, die gemeinsam drei Villen erwerben: Regina, Frieda und Käthe Adler. Diese drei sind mir wohlbekannt, denn ihre beiden Onkel Sigmund und Leopold Natzler begründeten 1906 das Theater und Kabarett »Die Hölle« im Souterrain des Theaters an der Wien – ihnen widmete ich vor einigen Jahren einen ausführlichen Artikel, der mir die Bekanntschaft mit den Nachkommen der Familie Adler brachte. Bei einem Abendessen im Jänner 2019 mit drei Geschwistern Adler samt Familien eröffnet mir Stefan Adler die Gmundner Welt seiner Großtanten – und eines Großonkels, die insgesamt drei Villen in Gmunden besaßen und einzelne Zimmer an Sommergäste vermieteten. Fotos zeigen den Ausblick von den Veranden über den See mit fröhlichen Menschen, die offenbar die Zeit der Sommerfrische genießen.

      Der Zeitpunkt des Erwerbes der beiden Villen fällt auf: 1916, während der Erste Weltkrieg tobt, kaufen Käthe, Regina und Frieda Adler zwei vis-à-vis liegende Villen im neuen Cottageviertel – in der Franz-Stelzhamer-Straße 12 und 17. Eine vorausschauende Entscheidung, denn der Großteil der Bevölkerung legt das Vermögen in Kriegsanleihen an, die nach 1918 nichts mehr wert sind. Die ersten beiden Villen erwirbt ihr Vater Max Adler, der sich als Bildhauer und Drechsler bezeichnet: Sein Metier sind Meerschaumpfeifen, die aus diesem sehr porösen Mineral kunstvoll gedrechselt werden. Max stammt aus dem damals ungarischen Lackenbach und kommt nach Wien, einer Hochburg der Meerschaumpfeifenerzeugung. Er heiratet Fanny Natzler, die Schwester der erwähnten »Hölle«-Begründer, das Paar hat 14 gemeinsame Kinder. Fast alle zieht es zum Theater, und die Spuren reichen von Wien über erste Stummfilme bis nach Hollywood, besser gesagt zu Raumschiff Enterprise. Ein Cousin der Schwestern Adler, Reggie Nalder, spielt die Rolle des Shras.21

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      Die Villa in der Franz-StelzhamerStraße 17

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      Familie Adler auf Sommerfrische in Gmunden

      Die Adler-Schwestern erweisen sich als bodenständiger: Käthe arbeitet als Lehrerin und heiratet in Gmunden den Lehrer Josef Jocher – diese Ehe wird noch von großer Bedeutung sein. Regina, genannt Gintscherl, wählt einen etwas aufregenderen Lebensweg – ihr Ehemann Adolf Brode arbeitet als Polizeijurist und legt ein äußerst eigenwilliges Verhalten an den Tag. So begeht er einen Diebstahl, um danach zu behaupten, dass er nur beweisen wollte, wie einfach dies ginge.

      1920 folgt eine weitere Villa in unmittelbarer Nachbarschaft in der Josef-Dangl-Straße 1. Diesmal beteiligt sich auch ein Bruder: Josef verkauft seinen Anteil an einem Sägewerk in der Steiermark und steigt in das größer werdende Familienunternehmen in Gmunden ein. Dies klingt seriös, doch ist auch Josef vom Theatervirus angesteckt und zieht ab 1902 für vier Jahre als Artist beim Varieté durch Österreich und Deutschland. Später wechselt er in eine Künstleragentur, um unter anderem für Pathé Frères zu arbeiten – ein französisches Unternehmen im Musik- und Filmmetier. Der Erste Weltkrieg beendet abrupt seine Karriere, er wird eingezogen und 1916 entlassen. Nun ändert sich sein Leben völlig: 1917 heiratet er Helene Knellinger und wechselt die Branche: Er steigt in das Holzstoff-Geschäft ein, erwirbt einen Anteil an einer Fabrik in Köflach, die 1919 liquidiert wird. Einen Teil legt er in einem neuen Unternehmen in Wien an, den anderen Teil investiert er in die Villa in der Josef-Dangl-Straße 1, gemeinsam mit seiner Schwester Käthe. Die Zimmer in den Villen werden an Sommergäste vermietet und können wohl als gute Vermögensanlage angesehen werden. In der Villa Josef-Dangl-Straße 1 wird außerhalb der Saison der Speisesaal als Bethaus genutzt, um der jüdischen Bevölkerung und den Gästen die Gelegenheit zu geben, ihre religiösen Pflichten zu erfüllen. Die finanzielle Situation erweist sich als schwierig, 1937 muss die Villa »Hungaria« in der Franz-Stelzhamer-Straße 17 verkauft werden.

      »1938 musste ich aus bekannten Gründen (ich bin Volljude) mein Geschäft auflassen. 1939 wurde ich auch gezwungen, meine Wohnung in Wien VI, Theobaldg. 12 zu räumen. Als ich übersiedelte, wurden mir die Möbel und alle Kisten, welche sich auf den Streifwagen befanden, von 3 SA-Männern und einem Zivilisten beschlagnahmt. Weder die Polizei noch das Judenamt in der Prinz Eugen Straße (Rothschildpalais), wo ich die Anzeige resp. die Meldung machte, haben mir meine Habe zurückgebracht. Ich zog zu meiner Schwester, Polizeirat Brode, in Wien IX, Währingerstraße 5–7, meine Frau jedoch zu ihrer Nichte. Musste dann oftmals die Wohnung wechseln. Von 1938 bis 1945 und noch bis 1949 lebten wir teilweise von meinen Ersparnissen, dem geringen Zinsanteil der Gmundner Villa sowie durch Unterstützung meiner Verwandten.«22 Dies berichtet Josef Adler 1951, als er beim Opferfürsorgeamt um einen Ausweis ansucht.

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      Reklame für die Villa Hungaria

      Josef ist durch die Ehe mit einer nichtjüdischen Frau geschützt, doch wie ergeht es den Schwestern? Die erwähnte Regina Brode erträgt die Situation nicht, 1941 bringt sie sich 71-jährig durch einen Sprung in die Donau um. Auf dem Meldezettel wird sie als »geflüchtet« eingetragen. Käthe, verheiratet mit dem sozialdemokratischen Lehrer Josef Jocher, bleibt in Gmunden, auch sie ist durch ihren nichtjüdischen Ehemann geschützt – auch wenn er als Sozialdemokrat als nicht zuverlässig gilt. Käthe und Josef Jocher gehen abenteuerliche Wege, um der Lebensgefahr zu entrinnen und die Villa halten zu können. Zuerst versucht Josef, die Villa seiner Frau zu »arisieren« – bis zu einem gewissen Punkt stimmen die Behörden zu, doch dann bemerken sie, dass das Ehepaar nach wie vor verheiratet ist. Josef Jocher wird mitgeteilt, dass er das Haus zugesprochen bekommen könne unter der Bedingung, sich scheiden zu lassen. Dies kommt für ihn jedoch nicht infrage und so scheitert dieser erste Plan.

      Nun wird es immer abenteuerlicher: Käthe geht vor Gericht und behauptet, gar nicht das Kind von Max und Fanny Adler zu sein, »sondern ein angenommenes Kind einer Freundin, die eine Tänzerin gewesen sei und die Geburt habe verheimlichen müssen«, wie im Gerichtsakt vermerkt wird. Als Beweis gelten Fotografien von Fanny und Max ebenso wie von Käthe und ein Bericht des Gausippenamtes. Dies führt in die schrecklichen Tiefen der Rassenhygiene mit ihren demütigenden Prozeduren, die Käthe aber auf sich nimmt, um die Villa vor der Enteignung zu retten. »Der Direktor der anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien, Dr. Josef Wastl, nahm zur Beweissicherung die Klägerin am 14. Mai 1942 erbbiologisch auf. Auf Grund des rassischen Erscheinungsbildes der Klägerin allein kann ein ausreichendes Urteil über mehr oder weniger jüdische Abstammung nicht abgegeben werden.«23 Dieses »anthropologisch-erbbiologische Gutachten« macht einmal mehr die Absurdität dieser »Wissenschaft« deutlich: Der Körper wird minutiös vermessen, die Länge der Ohrläppchen ebenso angegeben wie die »Furchen und Falten des Gesichts« und die »Form der Haargrenze«. Es dreht sich der Magen um bei der Lektüre dieses Gutachtens, das zu dem Schluss kommt, dass Käthe zu 50 Prozent Ähnlichkeiten mit ihren Eltern und Geschwistern aufweise – dies spricht weder für noch gegen eine Verwandtschaft.

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      Käthe Jocher-Adlers Handabdruck im »Anthropologisch-erbbiologischen Gutachten« des Reichssippenamts, 1943

      Konsequenzen gibt es keine mehr, denn