In weitläufigen, holzgedeckten und mit Holzböden versehenen Räumen (wie hier im Salon von Schloß Miramare bei Triest) vermeint man, besonders oft Gespenster zu hören. Meist liegt das aber an den Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht, die mitunter außerordentlich lautes Knistern oder Knacksen im Holz verursachen.
Ungeachtet dieses Phänomens, das auf logischer Erklärung basiert, erzählte Lernet-Holenia aber wesentlich häufiger von tatsächlich eingetretenen paranormalen Erlebnissen. Der beliebteste Schauplatz in seinen Geschichten ist die Wiener Hofburg, die mitwirkenden Personen bleiben aber weiterhin unpersönlich und ungenannt. »Bedenklicher freilich ist die folgende Erscheinung … Es ereignet sich nämlich in der Burg ziemlich häufig*), daß jemand heimzukommen scheint, ohne daß er jedoch wirklich heimkäme; oder mit anderen Worten: Man hört, wenn man sich in einem der Wohnräume befindet, wie der Betreffende die Wohnungstür aufschließt, wie er eintritt, wie er die Wohnungstür hinter sich wieder zuschließt oder zuschlägt und wie seine Schritte auf dem Vorplatz widerhallen. Dann jedoch, wenn man schon erwartet, daß er nun ins Zimmer treten werde, tritt er nicht ins Zimmer; und all diese Geräusche wiederholen sich, wiederum ohne daß er eintrete. Erst wenn man dies alles zum dritten Male hört, ist er’s wirklich und tritt auch wirklich ein. Daraus ergibt sich, daß man offenbar auch geistern kann, ohne tot zu sein, das heißt, daß zumindest das akustische Geistern nicht den Toten vorbehalten ist, sondern daß es ihnen auch die Lebenden gleichtun können. Auf alle Fälle jedoch spukt ›es‹ oder geistert ›es‹ akustisch, ohne daß irgendeine Individualität mit im Spiele sein müßte. ›Es‹ geistert also schlechthin, und dies scheint uns der eigentliche, sinnlose Spuk, dies scheinen uns die richtigen Klopf- und Poltergeister zu sein, bei denen die von ihnen hervorgebrachten Geräusche kaum von irgendwelchen natürlichen Geräuschen zu unterscheiden sind.« (ders., S. 265f.)
In seinem Buch über die »Geheimnisse des Hauses Österreich« kam Lernet-Holenia natürlich auch auf eines der am häufigsten wahrgenommene Phänomene in der Hofburg zu sprechen: einer – in welcher Farbe auch immer gekleideten – figürlichen Erscheinung. »Es hatte immer schon geheißen, daß sich die Geister in der Burg hin und wieder auch wirklich zeigten, aber gesehen hatte man sie eigentlich trotzdem nie ganz eindeutig. In solchen Gedanken befangen trat eines Tages irgend jemand, von dem nicht überliefert ist, wer es war, vom Schweizerhof her in das Treppenhaus der sogenannten Säulenstiege, als er vor sich eine schwarzgekleidete Gestalt erblickte, welche die Stufen hinaufschritt. Dem ganzen Habitus zufolge schien sich’s um einen Beamten zu handeln, wofür auch ein Augenglas sprach, ein Kneifer, den dieser Mensch oder diese Erscheinung trug; und der Kneifer war überdies mit einem schwarzen Band um den Hals der Gestalt befestigt. Daß es sich um eine Erscheinung handle, meinte der Beobachter sofort zu fühlen; und er faßte sich ein Herz und stürzte der Erscheinung nach; worauf die Erscheinung durch eine der Glastüren trat, welche das Treppenhaus gegen die Korridore des Schweizertrakts abschließen, und hinter der Glastür, der Durchsichtigkeit derselben zum Trotz, verschwunden war.« (ders., S. 267f.)
Idealfigur einer verhüllten Erscheinung, so wie sie von etlichen Betroffenen beschrieben wird. Es handelt sich aber um eine christliche Symbolfigur, um eine Trauergestalt an einem katholischen Grabmal, die – sicherlich nicht zufällig – dasselbe Aussehen hat.
Man liegt sicherlich nicht falsch, im Treppensteiger und Verfolger der schwarzgekleideten Gestalt Lernet-Holenia selbst zu vermuten. Er muß ihr vor etwa vierzig, fünfzig Jahren begegnet sein. Also vor gar nicht so langer Zeit. Nun wird es auch niemanden mehr in Erstaunen versetzen, wenn er erfährt, daß die Erscheinungen noch immer äußerst betriebsam sind. Es gibt Tage, an denen sich die Meldungen geradezu häufen. So geschehen vor ein paar Jahren. Das hat ein deutsches Autorenteam damals veranlaßt, Nachforschungen in der Hofburg zu betreiben. Also reisten die Leute nach Wien, wo sie etliche Tage und Nächte am Originalschauplatz zubringen und die Betroffenen nach ihren Erlebnissen ausfragen wollten. Wenn die Forschergruppe auch fürchtete, daß die Leute nicht darüber sprechen würden. Doch stieß ihre Arbeit – ganz im Gegenteil – nicht nur auf großes Interesse, sondern man fand auch viel mehr betroffene und sprechbereite Menschen, als man erwartet hatte. Und zwar nicht nur empfindliche, auf die Nachtzeit sensibilisierte Hausbewohner, sondern auch nüchterne Beamte und Wissenschafter, die während ihrer Arbeitszeit am helllichten Tag von Erscheinungen heimgesucht wurden. So soll »in der Bundesdienststelle … eine Weiße Frau gesehen worden sein. In einer Privatwohnung – und solche gibt es in der alten Wiener Hofburg eine ganze Menge – soll nächtlich Kaiser Maximilian, unklar, ob der Erste oder der Zweite, in strahlendem Glanze erschienen sein. Wahrscheinlich war es der Zweite gewesen, denn der hatte im Gegensatz zum Ersten nicht nur viel länger, sondern auch viel lieber in der Burg zu Wien gewohnt.« (Berger/Holler, S. 141)
Auch die früher zitierte Schriftstellerin Lotte Ingrisch, die bis heute in der Wiener Hofburg lebt, erzählte dem deutschen Forscherteam frei und ohne Hemmungen über ihre Erfahrungen: »… da gibt’s schon allerhand interessante Sachen. Ich habe einmal ein bißchen herumexperimentiert, also in meiner Wohnung mich in eine sanfte Trance versetzt, und plötzlich hatte ich einen mir völlig unbekannten Soldaten zu Füßen liegen. Dieser hat ganz verzweifelt geweint und immer wieder beteuert, daß er unschuldig sei. Daß er nicht die Krankenschwester vergewaltigt habe. Es war richtig herzzerreißend. Ich habe mich dann später dafür interessiert, was das für ein Soldat gewesen sein könnte, der so eine tragische Situation erlebt hat. Und ich bin draufgekommen, daß hier in diesen Räumen und in diesem Trakt der Hofburg im Ersten Weltkrieg ein Lazarett*) gewesen ist …« (Berger/Holler, S. 142)
Obwohl das Autorenteam von den in der Hofburg lebenden und arbeitenden Menschen eine Menge brisantes Material für seine Arbeit erhalten hatte, gelang es ihm aber nicht, dem Lieblingsphänomen, der Weißen Dame, auf die Spur zu kommen. Denn hautpsächlich hatte sich die Gruppe erhofft, ihr irgendwo in der Burg zu begegnen. Aber Erscheinungen lassen sich nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt erzwingen. Das bedeutet allerdings auch nicht, daß es unmöglich ist, den unmittelbaren Kontakt mit ihnen herzustellen. Denn mit Hilfe eines sensiblen Mediums kann das unter Umständen schon gelingen. Das scheint das deutsche Autoren-Team nicht gewußt zu haben, als es sich 1996 auf die Spuren der legendären »Weißen Frau« begab. Trotzdem wurde die Forschergruppe für ihre Arbeit und ihr Interesse »belohnt« und sogar Zeuge einer paranormalen Begebenheit. Denn während ihres Aufenthalts in der Hofburg ist unter einem Bild von Kaiserin Elisabeth täglich von neuem »ein Fleck aufgetaucht. Am Tag wurde er entfernt, am Abend war er wieder da … (Außerdem) hat sich auch einmal jemand von der Theaterwissenschaft*) beschwert … (Die Leute dort) haben sich gestört gefühlt, weil spät abends über ihnen Möbel gerückt wurden. Wir (die Autoren) konnten aber nicht herausfinden, wer oder was diesen merkwürdigen Lärm erzeugt hat … (dies., S. 144)
Zwei der berühmten Gemälde Elisabeths (von F. X. Winterhalter) im Arbeitszimmer Kaiser Franz Josephs.