Sei Gsicht is wia a Aschenhaufen auf der Köllerstiegen,
die Finger san aus Wurzelholz und lassen si ned biegn.
Der Schnurrbart is a Stacheldroht, mit Suppennudeln drein,
sei Mund is wia a Ofenloch, drum trinkt er a kan Wein, nur an
Spiritus.
Zwölfe wird’s, des Liacht geht aus, mei Nachbar sitzt und want.
Tränen wia die Silberkugeln rennen übers Gwand.
Die schmecken so nach Spiritus, drum sauft er’s aus der Hand,
dann schlaft er und i wissert gar so gern, was er tramt, der
Spiritus.
Im Nebenhaus wohnte eine Gelegenheitsprostituierte. Sie besaß eine Ziege und es ging die Mär, dass dieses Vieh regelmäßig die verschwitzten Socken der Kunden auffraß. Davon kann man aber als Ziege nicht gut leben, und sie musste täglich zum Grasen auf die Schmelz geführt werden, die damals noch eine unbebaute Wiese war. Die Kinder vom Ludo-Hartmann-Platz machten das gern, denn auf der Schmelz, da war immer etwas los. Es gab da zum Beispiel einen Mann, der immer mit Breeches und schwarzen Reitstiefeln unterwegs war. Ein Kinderfreund war dieser Herr ganz und gar nicht. Wenn man Raffler (Papierdrachen) steigen ließ, kappte er die Schnur, wenn Fußball gespielt wurde, nahm er einem das Fetznlaberl weg. Seine Stiefel waren aber immer auf Hochglanz gewichst und die Kinder nannten ihn „Stiefelwichser“ – ein auslegbarer Spitzname. Er hörte das natürlich gar nicht gerne und hetzte seinen Hund – Deutscher Schäfer versteht sich – auf die Kinder. Eines Tages, als die Ziege mit den Kindern auftauchte, war der Hund gerade „gut drauf“ und sagte zu sich: „Eigentlich eine fesche Hündin, diese Geiß“, denkt’s und sprintet los. Die Ziege aber verstand diese Angelegenheit völlig falsch, senkte den Kopf und rammte dem Hund ihre Hörner in die Rippen. Dieser jaulte auf und gab Fersengeld. „Deutscher Schäfer flüchtet vor Ziege!“, das darf doch nicht wahr sein! Stiefelwichser zückte seine Peitsche und stapfte in Richtung Ziege. Diese, motiviert durch den Sieg über den geilen Wolf, senkte wieder ihr kampferprobtes Gehörn und stürmte los. Stiefelwichser bekam starre Augen und rannte, was er konnte, dicht an seinen Fersen die Ziege und dahinter eine sich rasch vergrößernde Schar von Ottakringer Gassenbuben, die mit hellen Knabenstimmen jubelten: „Hinter deiner rennt die Gaß, Stiefelwichser los an …“ Auf der Schmelz wurde der Stiefelwichser nie mehr gesehen. Es war ein früher Sieg über den Nazi-Faschismus.
In Ottakring trieb sich ein Roma herum, der mit einem bemerkenswerten Kunststück die Leute faszinierte: dem Froschermandl. Seine Ausrüstung bestand aus einer Trommel, einer vollen Wasserflasche und einem Frosch. Die Vorführung fand täglich an mehreren Orten statt und es gab etliche Groupies, die mit ihm von Platz zu Platz mitgingen. Wenn er genügend Publikum herbeigetrommelt hatte, legte er seinen Hut auf den Boden und setzte den Frosch, der mit einem Bein an einer Schnur festhing, hinein. Er schilderte wortreich, welche Sensation die werten Damen und Herren erwarte, die allerdings nur durchführbar sei, wenn der Frosch, der offenbar zählen konnte, genügend Groschen im Hut hatte. War es so weit, versuchte der Frosch, dem die vielen Groschen lästig wurden, aus dem Hut zu klettern. Und dann begann endlich die Aktion. Der Frosch wurde weithin sichtbar hochgehoben, der Roma riss den Mund auf, trank die Wasserflasche leer, stopfte den Frosch in den Rachen und schluckte ihn hinunter. Daraufhin machte er mit offenem Mund und dem Hut in der Hand noch einige Runden und zuletzt zog er an der Schnur, die ihm aus dem Mund hing, und der Frosch kam lebendig unter frenetischem Applaus wieder ans Tageslicht.
Unter dem Hitler konnte es so etwas natürlich nicht geben. Der „Führer“ war ja bekanntlich ein Tierfreund und warf den Roma in ein Konzentrationslager, obwohl dieser der einzige echte Arier in ganz Ottakring war.
Eines der Hauptprobleme im Lebensbereich der Zinskaserne waren die Wanzen. Die Frau Hermine Brauer kämpfte einen zähen, aber hoffnungslosen Kampf gegen diese Plage. Wenn sich die Frauen im Park oder im Milchgeschäft trafen, wurden Rezepte und Kampftaktiken besprochen, manchmal tat sich ein ganzes Stockwerk in wilder Entschlossenheit zusammen und es kam zu einer großen Treibjagd. Die Wanzen aber blieben immer Sieger.
Vater Wanz
In einer stillen, dunklen Ecke zwischen Betteinsatz und Matratze sitzt eine Gruppe Wanzen gemütlich plaudernd beisammen. Die meisten sind junge Kerle, die noch das helle Rotbraun der Jugend haben, Männlein und Weiblein. Die Mädchen wippen mit ihren Hinterteilen und erzählen einander kichernd, wie viele Eier sie zu legen beabsichtigen. Die Burschen machen sich wichtig, um Eindruck bei den Mädchen zu schinden, spreizen die Beine, um größer zu wirken und schildern Heldentaten, die sie angeblich vollbracht haben. Da ist die Rede von Kämpfen mit Flöhen, mit riesigen Mauerasseln, von tollkühnen Attacken auf blanke Menschenpopos. Einer behauptet sogar, er sei einem mit offenem Mund schnarchenden Menschenungeheuer auf die Zunge gekrochen, hätte dort seine Notdurft verrichtet und sei dann unbeschadet zwischen den gewaltigen Zähnen, von denen etliche aus purem Gold gewesen seien, wieder herausgestiegen. Na ja, man muss nicht alles glauben, was die jungen Leute in ihrem Überschwang so plappern. Plötzlich tritt Stille ein. Alle blicken wie gebannt auf eine dunkle Gestalt, die sich mit langsamem, würdigem Schritt nähert. Der Urvater „Wanz“. Wanz ist ein Einzelgänger und spricht selten mit Leuten – ein von zahllosen Legenden umrankter Philosoph. Sein genaues Alter ist unbekannt. Es wird gemunkelt, dass er einmal fünfzehn Jahre lang eingemauert war. Wanz nimmt auf einem etwas hervorstehenden Nagelkopf Platz und blickt ernst in die Runde. Es herrscht atemlose Spannung. Die wenigsten haben den Alten bisher je von Angesicht zu Angesicht gesehen und noch weniger haben seine Stimme gehört. Da wird plötzlich die Stille von einem hellen Stimmchen durchbrochen: „Vater Wanz, bitte, ist das wahr, dass Sie fünfzehn Jahr eingemauert waren?“ Ein kleines Mädchen, ein junges, unverschämtes Geschöpf, hat die Frechheit gehabt, eine derart taktlose Frage zu stellen, aber der sonst so ernste Wanz lächelt milde, streichelt der Kleinen leicht über den Kopf und beginnt mit ruhiger, warmer Stimme zu erzählen. „Vor langer, langer Zeit lebte das edle Volk der Wanzen mit den Menschenungeheuern in friedlicher Harmonie. Man konnte am helllichten Tag ungestört auf den Wänden spazieren gehen, die Betten waren voller gemütlicher Ecken und Spalten, das Bettzeug wurde selten gewaschen, und von Giftgas und dergleichen Terror war nicht die Rede. Es geschah wohl manchmal, dass jemand von einem Menschenungeheuerkind mit einer Stecknadel am Tisch festgenagelt wurde, aber im Allgemeinen war das Verhältnis zwischen Mensch und Wanze ein freundliches.“ Wanz macht eine Pause, sein Blick hat etwas Entrücktes: „Ich entsinne mich eines eher lächerlichen Versuchs einer Menschenungeheuerin, uns den Zutritt zum Bett zu verwehren. Sie stellte die Bettfüße in kleine, mit Petroleum gefüllte Gefäße, wohl wissend, dass wir in dieser stinkenden Brühe nicht gerne schwimmen. Natürlich machten wir uns einen Spaß daraus, auf die Zimmerdecke zu klettern und uns von oben ins Bett fallen zu lassen. Ja, damals waren wir jung und verspielt. Ich war zu dieser Zeit in eine Wanzin verliebt, deren Schönheit und Fruchtbarkeit nichts Vergleichbares hatte in der weiten Wanzenwelt. Wir wohnten in einem netten Nagelloch in der Wand über dem Bett. Der Platz war zentral gelegen und bot einen herrlichen Rundblick. Eines Tages bemerkten wir merkwürdige Vorgänge im Zimmer. Kästen und Betten wurden verschoben und mit Zeitungspapier bedeckt, fremde Menschenungeheuer brachten unbekannte Geräte, auf die sie hinaufkletterten, um an den Wänden herumzuschaben. Als sie begannen, einen weißen Schleim auf die Wände zu schmieren, fingen wir an, unruhig zu werden. Meine Frau, die hochschwanger war, wollte das Nagelloch nächtens verlassen und einen sicheren Platz im Bett aufsuchen. Ich aber fand die Übersiedlung unter den gegebenen Umständen zu riskant und entschied mich für den Verbleib im Nagelloch. Dieser mein Entschluss hatte tragische Folgen!“
Wanz macht wieder eine Pause und man kann sehen, wie eine im Dämmerlicht glänzende Träne über sein vom Alter gezeichnetes Gesicht rinnt. Die Intelligenteren unter den Zuhörern ahnen bereits,