Da lachte Halef fröhlich und sagte:
»Wir Eure Gefangenen? Es ist gewiß nicht höflich, eine Frau Deines Ranges auszulachen, aber wenn Du diese Worte wiederholtest, würdest Du mich zwingen, diese Unhöflichkeit dennoch zu begehen. Ich habe es weder mit den Stacheln und Bluthunden noch mit dem Scheik und den Ussul, die an ihren Zauberer glauben, zu tun, sondern ganz allein nur mit diesem Zauberer selbst. Sage mir, Herrin der Ussul, ob der Sahahr den Tod verachtet?«
»Das tut er keineswegs; er liebt im Gegenteil das Leben sehr,« antwortete sie.
»Ah! Hast Du gesehen, was für einen Eindruck es auf ihn machte, als ich ihm sagte, daß ich mit keinem anderen kämpfen wolle, als nur mit ihm?«
»Ich habe es gesehen.«
»Es schien ihm gar nicht angenehm zu sein.«
»Gewiß nicht. Er ist überhaupt niemals ein Held im Kampf gewesen, und seit er trotz seiner überlegenen Körperstärke damals von dem Dschinnistani besiegt worden ist, hat sich seine Vorsicht gesteigert. Er hat die Wirkung Eurer Waffen kennen gelernt, und es konnte ihm nicht entgehen, daß Ihr alles anders, besser und erfolgreicher als wir, in die Hand zu nehmen wißt. Ich zweifle gar nicht daran, daß er sich vor einem Kampfe mit Dir fürchtet.«
»Und dieser Kampf ist unvermeidlich?«
»Eigentlich, ja. Aber es wurde schon davon gesprochen, ihn Euch zu erlassen, da Ihr ja genügsam bewiesen habt, daß Ihr würdig seid, Freunde und Verbündete der Ussul zu sein.«
»Wie gütig! Wie freundlich!« scherzte Halef. »Aber die Sache liegt für uns ganz anders, als für Euch. Wir beanspruchen dieselben Rechte wie Ihr. Das heißt, daß der Sahahr zu beweisen hat, daß er würdig ist, unser Freund und Verbündeter zu sein. Wenn er so furchtsam ist, uns den Kampf schenken zu wollen, so sind dagegen wir mutig genug, ihn zu bestehen!«
»Welch ein Gedanke!« wunderte sie sich. »Aber Du hast ganz recht.«
»Und höre mich weiter! Es ist Allahs Gebot, daß der Mensch in genau derselben Weise bestraft wird, in der er gesündigt hat. Als der Sahahr damals mit dem Dschinnistani kämpfte, wagte er es, den Kampf bis auf Leben und Tod zu treiben. Er wußte, daß seine Körperkräfte größer waren, als die des anderen, und war so töricht, die Kräfte der Seele und des Geistes nicht in Berechnung zu ziehen. Darum wurde er besiegt. Das war die einfache Folge, aber noch nicht Strafe. Diese eigentliche Strafe kommt erst jetzt, wo er einen ganz ähnlichen Kampf bestehen soll. Ich verlange nämlich genau so wie damals er, daß es um Tod oder Leben gehe. Was daraus folgt, kannst Du Dir denken!«
»Was?« fragte sie, in hohem Grade gespannt.
Halef antwortete:
»Entweder bittet mich der Sahahr, von diesem Verlangen abzustehen, dann werde ich es nur unter der einen Bedingung tun, daß er dem Dschirbani die Freiheit gibt. Oder er schämt sich, so feig zu sein, und geht dann auf meine Forderung ein. Nun, so kommt es eben zu einer Entscheidung auf Leben und Tod, und mein Effendi wird mir gern bezeugen, daß da nur ein einziger Ausgang möglich ist, nämlich der, daß der Sahahr stirbt. Ist der aber tot, dann wird wohl niemand den Dschirbani länger quälen wollen.«
»Diese Deine Gedanken sind nicht übel,« erklärte sie; »aber der letzte ist falsch. Nämlich der Dschirbani würde auch nach dem Tode des Sahahr für ansteckend räudig gelten. Man glaubt daran, und was sich im Kopfe solcher Menschen festgesetzt hat, das ist nur schwer zu beseitigen. Ich spreche mit Euch noch weiter über diese Sache. Jetzt müssen wir dem Scheik nacheilen, er wartet.«
»Noch eines möchte ich gern wissen,« bat Halef.
»Und das ist?«
»Was ist aus dem Dschinnistani, dem Vater des Dschirbani, geworden?«
Im Weiterritte antwortete sie:
»Er ritt jährlich einmal, genau zur Zeit der Sonnenwende, hinauf nach Dschinnistan zu denen, die ihn liebten. Dort holte er Bücher, die er las und aus denen er Weib und Kind unterrichtete. Von dort brachte er nach und nach auch jene weißen Steine mit dunklen Worten mit, die heut auf der Insel der Heiden zu sehen und zu lesen sind. Der Sahahr war ganz dagegen, daß diese Steine aufgerichtet würden. Er bezeichnete ihre Inschrift als die größte Verrücktheit, die es geben kann; aber weil die Insel Eigentum des Dschinnistani geworden war und seinem Sohne heute noch gehört, hatte der das Recht, dort zu tun, was ihm beliebte. Er stellte die Schriftsäule in die Nähe seines Lotosweihers und beschattete sie mit duftenden Nelken-und Magnolienbäumen.«
»Warum hast Du diesen Ort die Insel der Heiden genannt?«
»Weil er eine Insel ist und weil der Dschinnistani nach unsern Begriffen ein Heide war, denn wer nicht an den Gott der Ussul glaubt, der ist ein Heide.«
»So ist also auch sein Sohn, der Dschirbani, nach Deiner Ansicht ein Heide?«
»Ja.«
»Und dennoch liebst Du ihn?«
»Ganz gewiß! Ist es bei Euch wohl anders? Haßt und verfolgt Ihr Eure Heiden? Haltet Ihr sie vielleicht gar für schlechtere, für minderwertige Menschen?«
»Ja, das tut der Islam allerdings.«
»Wie falsch!«
»Falsch? Ist es wohl richtiger, sie für räudig oder für verrückt zu erklären?«
Die Frau des Scheiks ging in echter Frauenweise über diese Frage hinweg, als hätte sie sie gar nicht gehört, und sagte:
»Du wolltest wissen, was aus dem Dschinnistani geworden ist, und ich teile Dir mit, daß er jährlich hinauf nach seiner Heimat geritten ist. Einst kehrte er nicht mehr zurück. Man hat ihn nie wieder gesehen. Alle Nachforschungen sind vergeblich gewesen. So war man gezwungen, anzunehmen, daß er unterwegs in die Hände der Tschoban gefallen ist, die ihn ermordet haben. Hierüber ist seine Witwe, meine Freundin, vor Schmerz und Gram zugrunde gegangen. Ihr Sohn hat sie auf der Insel der Heiden bestattet und ihr mitten unter Blumen einen Stein gesetzt, auf dem geschrieben steht:
>Das Erdenleben ist ein Läuterungsfeuer, aus dem Dich nur der Glaube befreien und zum wahren Menschen erheben kann!<
Wenn Ihr es wünschet, werde ich Euch nach dieser Insel führen, um Euch das Grab und die Schriftsäule zu zeigen. Jetzt aber sprechen wir nicht mehr davon; der Scheik hat es nicht gern.«
Wir hatten diesen nämlich jetzt eingeholt und erreichten bald hernach auch den Sahahr, der sich inzwischen beruhigt hatte und nun über die Raschheit seines Temperaments verlegen zu sein schien. Die sich jetzt entspinnende Unterhaltung vermied den bisherigen Gegenstand. Ich beteiligte mich fast gar nicht an ihr, denn, was ich über den Dschirbani gehört hatte, beschäftigte meine Gedanken und Empfindungen vollständig. Ich begann zu ahnen, daß sich mir hier bei den Ussul eine Welt erschließen werde, welche bis jetzt der meinigen größtenteils fremd gewesen war.
Etwas über die Mitte des Nachmittages kam uns eine Menge Reiter entgegen, die uns von der Stadt aus zu begrüßen hatten. Es waren die Ältesten und allerlei Beamte oder sonstwie Leute, die irgend eine nicht ganz gewöhnliche Stellung inne hatten. Sie waren über uns unterrichtet, denn sie hatten die gestrige Botschaft ihres Scheiks erhalten. Daß der >Erstgeborene< der Tschoban ergriffen worden sei, war für sie eine Neuigkeit von allergrößter Wichtigkeit. Sie waren uns entgegengeritten,