»Wie?« fragte ich. »Du hältst ihn nicht für räudig? Wie kann ihn da der Sahahr dafür halten? Es müssen doch Hautflecke, Knötchen, Bläschen, Schuppen und Borken zu sehen sein!«
»Nein! Keine Spur davon!«
»Wirklich nicht?«
»Gewiß nicht. Seine Haut ist so weiß und rein wie das Weiße meines Auges!«
»Aber da kann man doch unmöglich von Räude oder irgend einer anderen Hautkrankheit reden!«
»Das meine ich auch!« stimmte sie bei.
»Ich nicht!« widersprach er. »Es gibt einen Ausschlag, den man die unsichtbare Räude nennt. Die ist die allergefährlichste! Denn weil man sie nicht sieht, frißt sie sich ein, bis sie unheilbar geworden ist.«
»Davon habe ich noch nie gehört!« sagte ich.
»Es ist nur eine Erfindung, eine Ausrede des Sahahr!« erklärte sie. »Die Kunde von dieser unsichtbaren Krankheit stammt nur von ihm allein. Ich glaube nicht an sie!«
»Er ist der Sahahr, der oberste Zauberer und Arzt des ganzen Landes,« fuhr der Scheik fort, uns zu widersprechen. »Der weiß, was er sagt, und ich habe mich in allen Stücken nach seinem Urteile zu richten. Wenn es auch keine äußeren Zeichen und Merkmale dieser verheerenden Krankheit gibt, so ist es doch bewiesen, daß sie vorhanden ist. Der Kranke verliert das Haar, es fällt ihm aus. Wenn das so weitergeht, so wird es gar nicht lange dauern, daß er seinem Vater gleicht und ihn nur die Körpergröße als einen Ussul kennzeichnet!«
Da fiel Taldscha rasch ein:
»Grad hiermit beweist Du, daß keine Krankheit vorhanden ist! Daß seine riesige Gestalt und seine kindlich reine Seele von seiner Mutter stammen, bleibt unbestritten. Das wird er behalten, so lange er lebt. Das andere aber ist nur vorübergehend. Er wird sich in dieser Beziehung aus dem Ussul in den Dschinnistani verwandeln, der sein Vater gewesen ist. Es war die größte Sünde, die Ihr begehen konntet, ihn mit wirklichen Aussätzigen zusammenzusperren und - - -«
»Wie? Was?« warf ich dazwischen. »Mit wirklichen Aussätzigen? Ist das wahr?«
»Ja, allerdings!« gestand sie. »Wunderst Du Dich darüber, daß es hier bei uns den Aussatz gibt?«
»O nein, gewiß nicht. Es wäre vielmehr ein Wunder, wenn es ihn nicht gäbe. Aber hoffentlich sondert auch Ihr diese Kranken ab.«
»Natürlich, man weiß es gar nicht anders.«
»Und mit solchen Aussätzigen hat man den Dschirbani zusammengesperrt?«
»Immer und jahrelang!«
»Das klingt ja genau so, als ob man gewünscht hätte, daß er aussätzig werde!«
Diese Worte entfuhren mir gewissermaßen in der Eile. Kaum hatte ich sie ausgesprochen, so hielt die Frau des Scheiks ihr Pferd an, wendete sich mir voll zu, reichte mir die Hand und sagte:
»Ich danke Dir, Effendi, ich danke Dir! Du hast da ganz meinen Gedanken ausgesprochen, der mich bis jetzt gepeinigt hat. Er hat mich oft mit dem Scheik entzweit, der mir sonst alles zuliebe tut, aber grad dieses eine nicht zu können scheint, nämlich den Sahahr einer derartigen Rache für fähig zu halten. So oft es dem Dschirbani gelang, der entsetzlichen Gefangenschaft zu entfliehen, habe ich im stillen gejubelt; doch die Freude dauerte immer nur kurze Zeit, dann brachte man den Armen gebunden und gefesselt wieder, oder man fand ihn, zum Tode erschöpft, im tiefsten Walde liegen. Kein Ussul getraute sich, ihn bei sich aufzunehmen, und wenn der Unglückliche versuchte, sich in das Land der Tschoban hinüberzuretten, so galt er bei diesen erst recht für ansteckend krank und wurde von ihnen wieder über die Grenze herübergetrieben. Nun hat man ihn gar in den Stachelzwinger gesperrt und läßt ihn von den Blut-und Bärenhunden bewachen. Da gibt es kein Entrinnen, so lange er überhaupt lebt!«
»Oho!« rief da der kleine Hadschi aus.
»Was?« fragte sie ihn. »Wozu dieser Ruf?«
»Ich glaube nicht, daß es keine Hilfe gibt.«
»Wer sollte da helfen?«
»Mein Effendi! Es gibt weder einen Blut-noch einen Bärenhund, vor dem er sich fürchten würde. Wenn er den Dschirbani aus dem Stachelzwinger heraus haben will, so holt er ihn heraus; darauf kannst Du Dich verlassen!«
»Wirklich?« fragte sie.
»Ja, wirklich!« nickte er. »Auch ist mein Sihdi doch nicht allein da, sondern ich stehe an seiner Seite und helfe ihm. Du willst mich zwar verachten, aber wenn es darauf ankommt, diesem armen Enkel eines rachsüchtigen Zauberers Hilfe zu bringen, so glaube ich, wohl imstande zu sein, mir Achtung zu verschaffen.«
Inzwischen war der Sahahr in seinem Zorne weit vorausgeritten. Als Taldscha jetzt ihr Pferd anhielt, um mir die Hand zu geben, hielt auch ich und Halef an; der Scheik aber ritt in dem bisherigen Schritte weiter. So befanden wir uns für diese kurze Zeit mit seiner Frau allein, und so kam es, daß wir mit ihr jetzt einige Worte wechseln konnten, die er nicht hörte.
Taldscha warf zuerst einen forschenden Blick auf Halef, dann sagte sie in ihrer aufrichtigen, fast möchte ich sagen, hochherzigen Weise: »Es war falsch von mir, Dich verachten zu wollen. Ich will Euch nicht verhehlen, daß ich auch heute noch auf der Seite des Dschirbani stehe, doch hat der Sahahr in diesem Falle die größere Macht in den Händen, weil er so klug gewesen ist, diese Angelegenheit auf das religiöse Gebiet hinüberzuspielen, wo es nicht geraten ist, sich ihn zum Feinde zu machen. Wie dankbar würde ich Euch sein, wenn Ihr mir helfen könntet, mir und ihm!«
»Wir wollen!« versprach Halef. »Ich bin während Eurer ganzen Unterredung still gewesen; aber es ist mir kein Wort davon entgangen. Ich bin weder ein Arzt, noch ein Priester, noch ein Zauberer, aber Allah hat mir gewiß nicht weniger Verstand in den Kopf gelegt als Euerm Sahahr. Und dieser Verstand sagt mir, daß dem Dschirbani großes Unrecht geschehen ist und heute noch geschieht. Ich bin bereit, alles für ihn zu tun, was mir möglich ist, und wenn es so ist, wie ich mir es denke, so brauche ich gar keinen anderen Menschen dazu, sondern mache es ganz allein!«
Er sagte das in seinem überzeugungsvollsten Tone. Sie schaute ungläubig auf den kleinen Kerl hernieder und fragte:
»Du