Holliday nickte. »Ich weiß. Sie hat sich schon mit mir zum Abendessen verabredet.«
»Aha, war wohl nicht zu umgehen?«
»Leider nicht.«
»Dann ist mir auch klar, weshalb Ringo hier ist.«
»Er ist übrigens nicht allein hier«, setzte Holliday hinzu.
»Wir haben die drei Figuren ja kennengelernt, die er mitgebracht hat.«
»Drei? Laura Higgins sagte mir, daß es neun wären.«
»Ausgeschlossen ist es nicht«, gab der Marshal zu.
Währenddessen waren sie weitergegangen. Wyatt hielt auf Frank Livingstones Ranchers Tool zu.
Ein untersetzter, vierschrötiger Mann trat ihnen im Laderaum entgegen. Er wischte sich die Hände an seiner grünen Schürze ab, fuhr sich über den kahlen, nur von einem dünnen Haarkranz umstandenen Schädel und lächelte unsicher. »Sieh an, welch hoher Besuch! Der Marshal Earp und der Dr. Holliday! Was darf es denn sein?«
»Ich suche ein Pferd«, sagte Wyatt.
»Ein Pferd? Ich verkaufe keine Pferde.«
»Sie wissen genau, daß ich kein Pferd von Ihnen kaufen will, Livingstone. Ich suche Jeff Cornellys Pferd.«
Livingstone zog die Brauen zusammen. »Was habe ich mit Cornellys Pferd zu tun?«
»Das möchte ich auch wissen«, entgegnete Wyatt. Und da er die Unsicherheit im Gebaren des Händlers bemerkt hatte, beschloß er, aufs Ganze zu gehen. »Vorwärts, reden Sie schon, Mann! Das Pferd ist bei Ihnen, Livingstone!«
Der Händler warf den Kopf hoch. »Ich bin ein ehrbarer Mann, Marshal…«
»Lügen Sie nicht. Ich werde jetzt Ihre Stallungen durchsuchen.«
»Dazu haben Sie kein Recht, Earp!« zeterte der Trader. »Ich habe nichts getan, was gegen das Gesetz verstößt.«
»Das wird sich herausstellen.«
Wyatt durchquerte den Laden und stieß die Tür zum Hof auf. Da rief ihm der Händler nach: »Warten Sie noch, Earp!«
Holliday war am Tresen stehengeblieben, während Livingstone an ihm vorbeihastete und versuchte, den Marshal einzuholen.
Ehe der Trader den Raum verließ, tastete er nach seiner rechten Jackentasche, eine Geste, die dem Missourier nicht entgangen war.
Wyatt hatte schon die Mitte des Hofes erreicht, als Livingstone die Treppe herunterstürmte.
»Earp, so warten Sie doch!«
Der Marshal blieb stehen. »Das Pferd ist also hier?«
»Hier, nein, ich… aber wir könnten vielleicht… ich meine…«
»Machen Sie keine Umstände, Mann. Ich habe keine Zeit.«
Der Händler hatte den Missourier jetzt keuchend erreicht. »Sagen Sie, Marshal, wie kommen Sie eigentlich darauf, daß der Gaul bei mir sein soll?«
»Das ist meine Sache. Also?«
Livingstone schüttelte den Kopf. »Das Tier ist nicht bei mir.«
»So? Und weshalb rennen Sie mir so nervös nach?«
»Weil Sie mich nervös machen. Ja, Sie machen mich nervös.«
»Ich werde jetzt drüben im Stall nachsehen, Livingstone. Sie können ja mitkommen.«
Wyatt ging mit weiten Schritten auf das Stallhaus zu. Als er die Tür aufzog, blieb Livingstone stehen und sah sich um. Als er den Spieler nicht hinter sich im Hof entdecken konnte, tastete seine Rechte nach der Westentasche.
Der sechsundvierzigjährige Händler Frank Livingstone scheute sich nicht, hinter dem Rücken des Gesetzesmannes eine zweischüssige Derringerpistole hervorzuziehen!
Da peitschte ein Schuß über den Hof und stieß dem Händler die Waffe aus der Hand.
Livingstone fuhr entgeistert herum.
Drüben in der Hoftür stand Doc Holliday; er hatte den rauchenden Revolver noch in der Hand.
»Wissen Sie, Mister«, rief er dem Trader mit schneidender Stimme zu, »ich habe es nicht gern, wenn jemand im Rücken des Marshals einen Revolver zieht.«
Schreckenbleich lehnte Livingstone an der Stalltür.
Wyatt hatte sich nur kurz umgesehen, den Derringer aufgehoben, ihn eingesteckt und war dann im Stall verschwunden.
Das Pferd, das er suchte, stand nicht in den Boxen. Auch hinten in der Notbox der Futterkammer war das Pferd nicht.
Am Ende des Stallganges entdeckte der Marshal eine Tür, die mit einem Schloß gesichert war. Er wandte sich um und rief: »Livingstone!«
Der Händler wagte es nicht, sich vom Fleck zu rühren.
Doc Holliday hatte ihn jetzt erreicht, stieß ihn herum und schob ihn in den Stallgang.
»Hören Sie nicht, daß Sie gerufen werden, Mann?«
Livingstone trottete vorwärts. Als er vor dem Marshal stand, stotterte er: »Ich habe das Pferd nicht hier.«
»Nein, das sehe ich. Aber jetzt möchte ich wissen, warum Sie so dagegen waren, daß ich mir den Stall ansehe, Mister.«
Der Händler stierte auf die Tür.
Wyatt hatte diesen Blick sofort wahrgenommen. »Was ist in dem Raum?«
»Da? Nichts!« stotterte der Trader, wobei ihm plötzlich dicker Angstschweiß auf die Stirn trat.
»Nichts? Für nichts verschließt man keinen Raum.«
»Nun ja, das ist meine Futterkammer. Ich habe dort Kornsäcke stehen. Und weil ich nicht will, daß das Zeug gestohlen wird – und es ist mir schon öfter gestohlen worden –, schließe ich die Kammer ab.«
»Trotzdem möchte ich einen Blick hineinwerfen.«
»Nein, dazu haben Sie kein Recht.«
Da ergriff Doc Holliday den Trader am Arm. »Mr. Livingstone. Sie haben anscheinend vergessen, daß Sie im Rücken eines Gesetzesmannes den Revolver gezogen haben. Und wahrscheinlich wissen Sie nicht einmal, was darauf steht!«
»Doch, das weiß ich. Ich tat es aus purer Verzweiflung, weil ich nicht wollte…«
»Was wollten Sie nicht?« unterbrach ihn der Gambler schnell.
»Was hat der Marshal hier herumzuschnüffeln? Er hat kein Recht dazu! Dies ist mein Privatgrundstück, und ich habe es nicht nötig, hier jemanden herumschnüffeln zu lassen.«
»Ich suche das Pferd eines Mannes, der heute morgen in Tombstone ermordet worden ist«, entgegnete der Missourier schroff. »Und ich habe den dringenden Verdacht, daß bei Ihnen etwas nicht stimmt.«
»Wie kommen Sie darauf?« stammelte der Händler.
»Das will ich Ihnen sagen. Sie sind mit Hal Flanagan befreundet.«
»Ich mit Hal? Das war einmal; es ist mindestens schon drei Jahre her.«
»Das können Sie mir leicht erzählen! Trotzdem – schließen Sie die Tür auf!«
»Ich habe den Schlüssel nicht mehr.«
»Dann muß ich die Tür mit Gewalt öffnen.«
»Das dürfen Sie nicht.«
Der Marshal nahm einen Hammer, der links auf einer Fensterbank lag, und wuchtete zwei schwere Schläge auf das Schloß. Es gab nach, und die Tür sprang knarrend auf.
Livingstone wich einen Schritt zurück. Als er noch weiter zurückweichen wollte, stieß er mit dem Rücken gegen den Revolverlauf des Spielers.
»Stehenbleiben,