Der Missourier blieb stehen und deutete auf den Texaner.
»Dieser Mann hat die geheime Tür entdeckt, Miß Morrison.«
Judy reichte dem Texaner dankend die Hand. Dann wurde sie von dem Missourier nach Hause gebracht.
Die alte Frau schloß ihre Tochter stumm vor Freude in die Arme. Als die beiden glücklichen Menschen aufblickten, hatte der Marshal das Haus schon verlassen.
Harry Benso wartete im Sheriffs Office.
»Mister Earp!« rief er in großer Erregung »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll!«
Wyatt hatte alle Mühe, diesen Dank von sich abzuhalten. Und der überglückliche Vater dachte gar nicht daran, nachzuforschen, wer denn der Entführer seines Kindes gewesen sein könnte. Als er schließlich das Office verlassen hatte, meinte Shibell: »Jetzt möchte ich bloß wissen, wer Cox erschossen und wer die beiden Mädchen entführt hat. Es müssen doch die Galgenmänner die Hand dabei im Spiel gehabt haben, weil vor den Häusern von Cox und Benson Galgen aufgerichtet wurden.«
Der Marshal gab zu bedenken: »Judy Morrison ist von den ehemaligen Freunden ihres Bruders entführt worden. Nicht ausgeschlossen, daß Phin etwas damitziu tun hat. Aber, sicher ist es auch nicht. Ich werde außerdem das Gefühl nicht los, daß sich da mehrere Erpresser die Angst vor Phin und auch vor den Galgenmännern zunutze machten, und diese Gerüste aufstellten.«
»Das wäre wirklich ein teuflischer Trick«, fand der Georgier.
»Und – sind die Freunde von Gil Morrison nun die Galgenmänner?« wollte der Texaner wissen.
Wyatt zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen.
Es war doch immer das gleiche. Phantome waren sie, die Männer mit den grauen Gesichtern, schattengleich, wenn man nach ihnen greifen wollte, lösten sie sich in einem Nichts auf.
»Ich bin überzeugt, daß Phin längst nicht mehr in Nogales ist«, warf Holliday ein.
»Davon bin ich auch überzeugt«, antwortete Wyatt.
Da wurde die Tür aufgestoßen, und der Pferdehändler trat wieder ein.
»Ich komme noch einmal zurück, Marshal«, meinte er. »Mir ist nämlich noch etwas eingefallen. Vor einiger Zeit fand ich unter meiner Post einen Brief, in dem ich aufgefordert wurde, fünftausend Dollar an eine Friedensorganisation zu zahlen.«
»Was?« fragte der Marshal verblüfft. »Haben Sie den Brief noch?«
»Ja.« Er nahm ihn aus der Tasche und reichte ihn dem Marshal.
Wyatt hatte kaum einen Blick darauf geworfen, als er unten das Dreieckzeichen sah.
Ein Brief von den Galgenmännern! Sie hatten also seine Tochter entführt, um das Geld von dem wohlhabenden Pferdehändler zu erpressen!
Eines stand also fest: der Sheriff von Nogales war ein Verbrecher. Einerlei, ob er zu den Galgenmännern gehörte oder nicht.
Ob Phin Clanton dazugehörte, war immer noch eine Frage. Sein Angriff auf den Mayor schien eine rein persönliche Sache gewesen zu sein, wenn auch seine Rache ein eindeutiges Gangsterstück war. Aber Wyatt nahm sich vor, das noch genau zu untersuchen. Er traute es dem unberechenbaren Phin ohne weiteres zu, daß er all seine Freunde zusammentrommelte, und nach Nogales rief, um eine persönliche Rache an einem einzelnen Mann zu nehmen. Die Angst, die er dabei verbreitet hatte, bereitete einem Mann wie ihm nur Befriedigung und Genugtuung.
Noch aber war die wichtigste Frage ungeklärt: Wer hatte den Viehhändler Cox getötet?
Jetzt war auch der andere Deputy im Office und versprach, wie sein Kamerad, dem County Sheriff Shibell alle Hilfe zu leisten, die er jetzt hier im Office brauchte.
Wyatt Earp, Doc Holliday und Luke Short verließen das Büro. Als sie auf der Straße standen, meinte der Georgier: »Phin und Cornelly sind bestimmt weg. Aber ich kann mir nicht denken, daß sie schon alle weg sind. Wenn wir nur einen von ihnen fänden, wäre schon viel gewonnen.«
Wyatt entgegnete: »Wir müssen nach ihnen suchen.«
Die Suche hatte nach anderthalb Stunden Erfolg. Und zwar ausgerechnet im Gold-Dollar Saloon.
Schwer angetrunken lehnte ein Mann an der Theke, den der Marshal genau kannte. Es war der Cowboy Darridge von Oswald Shibells Ranch.
Wyatt nahm ihn sofort mit hinaus, stülpte seinen Kopf in die Pferdetränke, schüttelte ihn, und brachte ihn dann ins Office.
»So, Cowboy, jetzt machst du den Mund auf! Wo ist Oswald Shibell?«
»Der Boß?« lallte der Cowboy immer noch benommen. »Er ist längst weggeritten. Ich weiß nicht wohin. Er wollte sich hier mit seinem alten Freund Phin treffen…«
Das schien also zu stimmen.
»Und du, was wolltest du hier?«
Sheriff Shibell hatte den Cowboy inzwischen untersucht und eine ganze Menge Geld bei ihm gefunden. Und außerdem eine Rechnung für dreitausend Rinder.
Da kniff der Missourier ein Auge ein, packte den Cowboy und zog ihn zu sich heran. Wie Brandpfeile zischten Darridge die Worte entgegen: »Weshalb hast du Cox erschossen?«
Der Cowboy wurde weiß wie die gekalkte Wand hinter ihm.
»Weil… ich«, stotterte er, dann brach er jäh ab.
»Rede!« donnerte ihn die metallene Stimme des Marshals an.
Der Cowboy zitterte an allen Gliedern. Plötzlich sank er in sich zusammen, kniete am Boden und keuchte: »Ich hörte, wie einer von Phins Freunden von den Rindern berichtete…, und dann dachte ich, weil Cox sie doch billig bekommen hatte…, würde er vielleicht das Geld herausrücken. Aber dann dachte ich…«
Wyatt schüttelte seinen nassen Schädel hin und her.
»Weshalb hast du ihn getötet?«
»Weil ich glaubte, er hätte mich erkannt…, und um meine Spur zu verwischen, setzte ich einen Galgen auf…«
Luke Short brachte den Mörder ins Jail.
Die Angst war von Nogales gewichen.
Phin Clanton, der sie in die Stadt getragen hatte, war längst nicht mehr hier. Auch der verräterische Sheriff Cornelly war verschwunden.
Richter Green, der aus Oro Blanco gerufen worden war, hatte eine schwere Verhandlung vor sich, in der alle Festgenommenen ihre gerechte Strafe erhielten. Über die echten Galgenmänner wurde nichts mehr ermittelt.
Die drei Freunde verließen wenige Tage später die Stadt. Als die Savanne wieder vor ihnen lag, meinte der Georgier: »Ich wette, daß wir jetzt wieder einen Ritt nach Norden vor uns haben.«
Der Marshal nickte. »Ja. Ich suche Phin Clanton und Jeff Cornelly!«
Im Osten kroch schon das Morgengrauen über den Horizont. Aber in den Winkeln der Straßen von Tombstone nistete noch die Nacht. Aus einzelnen Kaminen zogen schon schwefelgelbe Rauchfäden in den Himmel.
Von Südwesten her trottete auf müdem, schweiß- und staubbedecktem Gaul ein Reiter auf die Stadt zu: ein untersetzter, kleiner Mann mit schmalen Schultern, überlangen Armen, hagerem, bärtigem Gesicht und einem Augenpaar, das etwas Asiatisches an sich hatte. Der Mann mochte Mitte Vierzig sein, trug einen grauen Schlapphut, dessen Krempe staubbedeckt war, eine graue Joppe, die ebenfalls völlig von Staub überzogen war, und einen patronengespickten Waffengurt, der tief über dem linken Oberschenkel einen großen Smith & Wesson Revolver hielt. Die engen Yerney-Hosen