Ich bin vielleicht ein Mann von ganz besonderen Stimmungen. Ich weiß nicht, wie weit meine Erfahrungen allgemeiner Natur sind. Ich habe Zeiten, in denen ich von den seltsamsten Empfindungen heimgesucht werde, als sei ich gleichsam von mir selbst und meiner Umgebung losgelöst. Mir ist, als beobachtete ich alles von außen her, aus einer unfasslich großen Entfernung, außerhalb der Zeit, außerhalb des Raumes, jenseits von allem, was bedrückt und traurig macht. Diese Empfindung war in jener Nacht sehr stark. Das war ein anderer Teil meines Traumes.
Aber was mich verwirrte, war der schreiende Widerspruch zwischen der Heiterkeit, die meine Augen sahen und dem pfeilschnellen Tod, der dort drüben, nicht zwei Meilen entfernt, umherraste. Von den Gaswerken her scholl geschäftiger Lärm, und die elektrischen Lampen strahlten hell. Als ich zu der plaudernden Menschengruppe kam, machte ich Halt.
»Was gibts Neues auf der Weide?«, fragte ich.
Zwei Männer und eine Frau standen beim Tor.
»Was?«, rief einer der Männer, sich mir zuwendend.
»Was es Neues auf der Weide gibt?«, wiederholte ich.
»Ja, sind Sie denn nicht gerade dort gewesen?«, fragten die Männer.
»Die Leute scheinen ja ganz verrückt zu sein wegen der Weide«, ließ sich jetzt die Frau vom Flur her vernehmen. »Was ist denn eigentlich los?«
»Haben Sie denn nichts von den Marsleuten gehört?«, fragte ich. »Von den Geschöpfen vom Stern Mars?«
»Mehr als genug«, sagte die Frau. »Danke«, und alle drei lachten.
Ich fühlte mich beschämt und verärgert. Ich versuchte, ihnen mitzuteilen, was ich gesehen hatte und konnte es nicht. Sie lachten immer nur über meine gebrochenen Sätze.
»Ihr werdet noch mehr davon hören«, sagte ich und ging fort, meinem Haus zu.
Schon im Hausflur erschreckte ich meine Frau durch meine eingefallenen Züge. Ich ging in das Speisezimmer, setzte mich, trank etwas Wein, und so wie ich mich etwas gesammelt hatte, erzählte ich ihr von den Dingen, die ich gesehen hatte. Das Essen, das aus kalten Gerichten bestand, war schon aufgetragen, blieb aber unberührt auf dem Tische, während ich alles erzählte.
»In einem kann ich Dich beruhigen«, sagte ich, um die Furcht, die ich geweckt hatte, wieder abzuschwächen. »Es sind die plumpsten Geschöpfe, die ich je kriechen sah. Sie mögen die Grube besetzt halten und alle Leute, die ihnen nahe kommen, umbringen; aber sie können nicht aus ihr heraus … Aber scheußlich sind sie!«
»Bitte, nicht!«,sagte meine Frau. Sie zog ihre Brauen zusammen und legte ihre Hand auf die meine.
»Der arme Ogilvy!«,sagte ich. »Zu denken, dass er da draußen tot liegt!«
Meine Frau wenigstens fand meine Erlebnisse nicht unglaubwürdig. Als ich sah, wie Totenblässe ihr Gesicht bedeckte, brach ich plötzlich ab.
»Sie mögen auch hierher kommen«, sagte sie ein ums andere Mal.
Ich bat sie Wein zu trinken, und bemühte mich, sie zu beruhigen.
»Sie können sich ja kaum bewegen«, sagte ich.
Ich begann nun, sie und mich selbst dadurch zu trösten, dass ich alles das wiederholte, was Ogilvy mir über die Unmöglichkeit eines dauernden Aufenthaltes der Marsbewohner auf der Erde gesagt hatte. Besonderes Gewicht legte ich auf die Schwierigkeiten der Gravitation. Auf der Oberfläche der Erde ist die Kraft der Schwere dreimal so groß, wie auf der des Mars. Ein Marsbewohner würde daher hier dreimal so viel wiegen wie auf dem Mars, seine Muskelkraft aber würde gleich bleiben. Sein eigener Körper würde ihn daher drücken wie ein Bleigewicht. Wirklich war das die allgemeine Ansicht. Sowohl die »Times« wie der »Daily Telegraph« unter anderen Blättern wiesen am nächsten Morgen nachdrücklich darauf hin. Beide aber übersahen, genau so wie ich, zwei diese Tatsachen offenbar umstoßende Erscheinungen.
Wie wir jetzt wissen, enthält die Atmosphäre der Erde weit mehr Sauerstoff oder, anders ausgedrückt, weit weniger Argon als die des Mars. Die kräftigenden Einflüsse dieses Übermaßes von Sauerstoff auf die Marsbewohner trugen unstreitbar viel dazu bei, der erhöhten Schwere ihrer Körper das Gleichgewicht zu halten. Und in zweiter Linie übersahen wir die Tatsache, dass so beträchtliche Intelligenzen, wie die Marsleute sie besaßen, vollkommen befähigt waren, im Notfall sich ohne jeden Muskelaufwand zu behelfen.
Zu jener Zeit aber erwog ich diese Punkte nicht; und scheiterten meine Berechnungen völlig an den Fähigkeiten jener Eindringlinge. Durch die Tröstungen meiner eigenen Tafel, durch Wein und Speise, durch die Notwendigkeit, meine Frau zu beruhigen, wurde ich selbst nach und nach beherzter und sorgloser.
»Sie haben eine große Dummheit begangen« sagte ich, mein Weinglas ergreifend, »sie sind gefährlich, weil sie selbst aus Furcht ganz toll geworden sind. Vielleicht erwarteten sie nicht, hier lebende Wesen zu finden, gewiss aber nicht intelligente Lebewesen. Im schlimmsten Fall wirft man eine Bombe in die Grube. Die wird sie alle töten.«
Die ungeheuere Aufregung über die letzten Ereignisse hatte meine Auffassungskraft ohne Zweifel in einen Zustand großer Reizbarkeit versetzt. Ich erinnere mich jener Mahlzeit noch jetzt mit großer Deutlichkeit. Das liebliche und ängstliche Gesicht meiner Frau, wie es unter dem rosafarbenen Lampenschirm nach mir blickte, das weiße Tischtuch mit den silbernen und gläsernen Gerätschaften — denn in jenen Tagen erlaubten sich selbst philosophische Schriftsteller manch kleinen Luxus — der purpurrote Wein in meinem Glas, das alles lebt in fotografischer Treue in mir. Am Ende des Tisches saß ich selbst, spielte mit meiner Zigarette, beklagte Ogilvys Übereifer, und verwünschte die kurzsichtige Furchtsamkeit der Marsleute.
VIII. Freitag Nacht
Von allen den sonderbaren und erstaunlichen Dingen, die sich an jenem Freitag zutrugen, war für meine Begriffe das merkwürdigste die Verquickung der Alltagsgewohnheiten unserer gesellschaftlichen Ordnung mit den ersten Anzeichen jener Reihe voll Ereignissen, welche diese gesellschaftliche Ordnung über den Haufen werfen sollten. Hätte man am Freitag Nacht mit einem Zirkel einen Kreis von fünf Meilen im Halbmesser rund um die Sandgruben in Woking gezogen, so hätte man — davon bin ich überzeugt — außer etwa den Angehörigen Mr. Stents oder der paar Radfahrer, oder der Londoner, die tot auf der Weide lagen, kein menschliches Wesen außerhalb dieses Kreises