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Agathe lag lange wach auf dem ungewohnten Lager, in dem ihr noch fremden Raum.
Sie hörte das Murren der Wogen zwischen Capri und Neapel – sie sah die Rosen auf der silbernen Flut … Blutroter Sammet strömte über den Hochaltar, Engelsköpfe umgaukelten sie … Und ein Sturmwind vom Himmel schauerte durch ihre Seele.
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»Das Kind soll die alte Hauptmann Gärtner besuchen, ihre Mutter kennt sie von früher. Ich will Mittag mit ihr hingehen. Du könntest ’mal bei Lutz vorsprechen, Kas. Wir treffen uns dann.« So bestimmte Frau von Woszenska das Programm des Tages.
Agathe verspürte Lust, sich zu putzen. Sie nahm ihren neuen Rembrandtut aus dem Koffer. Der Hut stand ihr reizend. Papa hatte ihn zu auffallend gefunden, aber Mama hat gemeint, für die Künstlerstadt wäre so etwas gerade das Richtige. Doch Frau von Woszenska trug sich sehr einfach – beinahe schäbig sah sie aus in ihrer schwarzen Trikotbluse.
Nein – Agathe genierte sich … Frau von Woszenska würde sie für eine oberflächliche, eitle Fliege halten. Und man zog auch seine besten Sachen nicht so mir nichts dir nichts an, wenn man gerade vergnügt war, sondern wenn die Gelegenheit es forderte. Die Anschauung war Agathe nun einmal in Fleisch und Blut übergegangen. Es taute überdies und das Wasser klatschte in großen Tropfen von den schneebedeckten Dächern. Der Rembrandtut wanderte in den Koffer zurück und die Pelzmütze wurde aufgesetzt. Ganz nett sah sie ja so auch aus – wenn sie einmal nicht geistreich und bedeutend sein konnte, so war es doch recht angenehm, dass sie wenigstens so ein hübsches Gesichtchen hatte. Frau von Woszenska tauschte beim Frühstück mit ihrem Manne ganz beifällige Bemerkungen über sie, eigentlich ein bisschen als wäre sie ein Bild, nicht ein lebendiger Mensch, der eitel werden konnte. – – Merkwürdig lau war die Luft, ihre Winterjacke wurde Agathe viel zu warm. Sie knöpfte sie auf, denn sie hatte schon so eine Freude, dass man sich hier in dem stillen alten Städtchen und bei Woszenskis mehr gehen lassen konnte als zu Haus, wo man fortwährend Rücksicht auf Papas Stellung nehmen musste.
Während des Besuches saß sie nach einigen von ihr beantworteten Fragen still und hörte auf Frau von Woszenskas Gespräch mit der alten Dame. Alles, was Frau von Woszenska sagte, war Agathe spannend und merkwürdig, wenn sie auch nur, wie eben jetzt, von Dienstboten sprach.
»… Ja – ich wollte mal ’ne Solide haben. … Eine Solide!! sage ich zu Kas. Da nehmen wir eine, die ’n Kropf hat …«
Das »R« wurde mit Leidenschaft geschnarrt. »Und een’ Buckel! Einen ordentlichen Buckel! – So. – Am ersten Sonntag kommt das Frauenzimmer: ist zum Maurerball eingeladen. Willst Du nicht vorher essen? frage ich. Da stellt sie sich vor mich hin und sagt so ganz von oben – von oben herab – über den Kropf weg: Ich danke – die Herren traktieren! – Nun habe ich aber eine Schöne! Die kann ich doch zum Modell brauchen!« Laut und triumphierend schlug sie auf den Tisch.
Die Hauptmann Gärtner machte ein Gesicht, als tue man ihr weh. Sie bemerkte mit schwachem Lächeln, eine besondere Schönheit könne sie an Woszenskis jetziger Köchin nicht finden – aber Künstler wären in allem so originell.
Frau von Woszenska grinste mit der lustigen Mohrenfratze zu Agathe hinüber. Sie verabschiedete sich höflich und versicherte, ihr Mann warte schon unten auf sie.
Er kam aus der höheren Etage und traf mit ihnen auf der Treppe zusammen.
»Da hab’ ich ja nicht ’mal gelogen!« rief die Malerin.
»Kommt doch einen Augenblick herauf, Lutz möchte Dir sein Bild zeigen. Das Atelier wird Fräulein Agathe auch interessieren«, sagte Woszenski.
»Sie wird sich doch nicht verlieben?« flüsterte Frau von Woszenska und machte strenge Augen. »Kind – lass das lieber – der da oben ist nichts für Dich.«
Agathe lächelte, sie dachte an Lord Byron.
Ein junger Mann hielt den Vorhang, durch den sie eintreten sollten, zurück und nahm den Hut ab. Er war schon zum Fortgehen gerüstet und trug Überschuhe, die für seine schmale, dürftige Figur viel zu groß und plump erschienen. Die Bewegung, mit der er grüßte und hinter seinen drei Gästen den alten Gobelin fallen ließ, war von eigentümlich zarter, liebenswürdiger Anmut.
X.
Als Agathe in ihr Gastzimmerchen bei Woszenskis zurückkehrte, schloss sie eilig die Tür hinter sich.
Sie blieb einen Augenblick stehen, sah erstaunt und verwirrt umher. Plötzlich fiel sie vor dem Bett auf die Knie, drückte ihren Kopf in die Arme und blieb so eine lange Weile, das Gesicht in den weißen Decken verborgen, ohne sich zu regen. Sie weinte nicht. Ein heftiges, anhaltendes Zittern lief durch ihren Körper. Dann war es, als ob die Luft ihr fehle. Sie warf den Kopf in den Nacken und blickte mit geöffneten, bebenden Lippen empor.
»Ach Gott! Ach Gott – ach mein lieber Gott!«
Ungeduldig zerrte sie die Handschuhe ab, sprang auf, schleuderte ihre Mütze, ihre Jacke von sich und lief planlos, die Augen mit Tränen gefüllt, in dem engen Raum umher.
Sie blieb stehen …
… Wie eine Erscheinung sah sie das Profil – die Linien seines Kopfes vor sich in der Luft.
Allmählich erblühte aus der Qual in ihrem Antlitz ein Lächeln, ein trunkenes Leuchten der Augen. Tief aus der Brust rang sich seufzend der Atem, die Tränen quollen und rannen klar über die glutheißen Wangen. Das Mädchen faltete die Hände und sprach leise, feierlich:
»Ich liebe ihn.«
Erschöpft saß sie auf dem Rand ihres Lagers, presste die gefalteten Hände gegen die Brust und wiederholte entzückt:
»Ich hab’ ihn lieb – ich hab’ ihn lieb …«
So versank sie in Träume. Wie war nur alles gewesen? – sie erinnerte sich nicht mehr, was er mit ihr gesprochen … Wie er den kleinen schwarzen Hut von dem hellen Kopf genommen und ihr seinen Blick zugewandt – das wusste sie noch. Ja – hell und zart – mit seinen schlanken Formen, ein wenig blass und müde um die Augen – so trat seine Erscheinung wie hinter einen leichten Nebel, der alles nur undeutlich erkennen ließ, vor ihre Fantasie.
Sie hatten wenige