Gordon langte sofort mit dem rechten Arm über seinen Kopf, um den Hebel zur Entsicherung zu betätigen, und rief zurück: »Kanone bereit!«
Dann zog er beide Hände behutsam zurück auf die Armatur des Geschützschlittens und legte den Abzugsbügel mit dem rechten Daumen um.
Im selben Augenblick sah er den Gewehrlauf des Scharfschützen aus dem Dunkel des kleinen Verschlags ragen, den er besetzte. Indem er keine weitere Sekunde verschwendete, brüllte Gordon: »Volle Deckung!«
Dann drückte er ab.
TOWs gehen mit einem lauten Knall los, gefolgt von einem Zischen. Binnen weniger Sekunden ließ das laute Brausen der Rakete, die das Rohr auf dem Weg zu ihrem Ziel verließ, Gordons Ohren klingeln. Er verfolgte sie durchs Visier. Nicht lange, und er sah einen Blitz; sie war eingeschlagen. Alles, was Gordon nun erkannte, war dichter Rauch, der aus dem Fenster quoll.
»Treffer, Ziel zerstört!«, bestätigte er. Nachdem er sich wieder nach oben ausgestreckt hatte, um die Arretierung aufzuheben, ließ er das leere Rohr auf die Erde fallen.
Bivens schulterte sein Gewehr und öffnete schnell die hintere Luke des Geländewagens. Gordon, dem er flugs eine neue Rakete daraus reichte, lud das Rohr des Werfers ebenso rasch wie gewissenhaft und drückte den Verschluss nieder. Dann sprang er hinter das Visier, besah den Schaden und blickte sich nach weiteren Zielen um.
Sobald er sich sicher fühlte, wandte er den Blick von der Waffe ab und rief Lance Corporal Bivens zu: »Wir haben den Mudschahid-Wichser erledigt. Steig wieder ein, wir fahren los und helfen den Landratten.«
Der Fahrer kehrte hinter das Steuer zurück und sie machten sich auf den Weg zur Marinetruppe.
»Bivens, ruf die Kommandobasis an und bestelle einen Rettungshubschrauber.«
»Roger«, antwortete der Gefreite und griff zum Funkgerät.
Bivens und Gordon erreichten die Marines. Der Sergeant nahm sein M-4, sprang vom Geländewagen und drehte sich nach Bivens um. »Pass auf, während ich mich um die Jungs kümmere.«
»Roger«, sagte Bivens erneut, während er zurück in die Luke kroch.
Vor sich sah Gordon einzelne Mauern von Gebäuden, verstreute Kampfausrüstung und fallengelassene Waffen. Zwischen den Trümmern fand er elf Soldaten, einige verletzt und blutend, andere saßen an die Wand eines Hauses gelehnt in einer Gasse oder lagen reglos am Boden. Er konnte nicht ausmachen, ob sie tot waren. An seinen ersten Einsatz unter Feindbeschuss erinnerte er sich noch; damals waren ihm Zerstörung und Tod unwirklich vorgekommen, jetzt waren sie etwas Alltägliches.
Gordon näherte sich dem ersten Marine, ging vor ihm auf die Knie und fragte: »Wie ist dein Zustand?«
»Eingeweideschuss, verdammte Scheiße!«, brachte der Lance Corporal hervor.
»Hör zu, wir schaffen dich bald von hier weg«, versicherte Gordon, als er den Bauchverband des Verletzten anhob.
»Sanitäter, wie ist die Lage hier?«, rief Gordon dem Navy-Arzt zu, der sich gerade um einen anderen Verwundeten kümmerte.
»Wäre besser, wenn der Drecks-Hadschi seine Kugeln für sich behalten hätte«, entgegnete der Sanitäter beim Bandagieren des Mannes.
»Danke, dass ihr den Mudschahid hochgenommen habt. Euch muss der Himmel geschickt haben«, meinte ein Marine, der an Gordon vorbeiging. Als der Sergeant zu ihm aufsah, bemerkte er, dass dessen Bein und linker Arm bluteten, letzterer besonders stark.
»Wie geht es dir?«, wollte Gordon wissen.
»Beschissen, Sergeant. Hab schon bessere Tage gesehen, aber ich werd's überleben!«
»Gut, Mann. Wer hat hier das Kommando?«
»Na ja, eigentlich Corporal Davies, aber den erwischte der Scharfschütze zuerst. Kopfschuss«, erklärte der Marine und zeigte auf den leblosen Körper seines Vorgesetzten, der ebenfalls in der Gasse lag.
»Zu welcher Einheit gehörst du?«, fragte Gordon weiter.
»Erste und Drittes Platoon, Kompanie India, 3/1, Sergeant. Ich bin Lance Corporal Smith, aber nennen Sie mich einfach Smitty.«
»Mein Name lautet Sergeant Gordon Van Zandt, Waffentrupp, 3/1. Freut mich, dich kennenzulernen, Teufelskerl«, erwiderte Gordon und klopfte Smitty auf seine heile Schulter.
Daraufhin sah er nach und nach bei jedem verletzten Marine nach dem Rechten. Die Soldaten des Ersten Platoon von Bataillon 3 schlugen sich nun schon seit zehn Tagen auf dem Weg zu ihrem Einsatzziel durch. Es war ein harter Kampf, doch bei diesen Männern handelte es sich um Marines. Obwohl sie Verluste erlitten, blieben sie zielstrebig. Die Thundering Third, wie man sie nannte, würde ihr Soll erfüllen oder dabei draufgehen, wobei Letzteres für diese Männer allerdings außer Frage stand. Es gehörte zu ihrem Job, dafür zu sorgen, dass der Feind für seine Sache ins Gras biss.
Als Gordon auf einen außerordentlich schwer verletzten Infanteristen stieß, kniete er sich hin und besah sich die Wunden des Mannes. Anhand der Abzeichen an der blutgetränkten Uniform erkannte er, dass er es mit einem Private First Class zu tun hatte. Er mochte kaum älter als zwanzig sein, und Gordon kam nicht umhin, die finstere Voraussage zu treffen, dass dieser junge Kerl seinen einundzwanzigsten Geburtstag vermutlich nicht erleben würde. So nahm er dessen Hand und fragte: »Wie steht's, Soldat?«
Ohne die Augen zu öffnen, wisperte der PFC: »Mir ist kalt … bitterkalt.«
Gordon sah, dass sich die Blutlache unter dem Verwundeten weiter ausbreitete. Er neigte sich ihm zu und flüsterte in sein Ohr: »Wir haben den Fucker kaltgestellt, der das getan hat, und schaffen dich schnell von hier weg, versprochen.«
Ein Humvee rumpelte heran und bremste vor der Truppe. Aus den Hintertüren sprangen zwei Marines mit einer Tragbahre und liefen zu ihren in Mitleidenschaft gezogenen Kameraden. Einer nach dem anderen wurden diejenigen ins Fahrzeug geladen, deren Zustand am kritischsten war.
Gerade als man den Schauplatz räumen wollte, raste von Süden her etwas Schwarzes auf den Transporter zu und schlug in die Fahrerkabine. Die Explosion warf Gordon nieder.
Als er die Augen öffnete, wusste er nicht genau, wie lange er bewusstlos gewesen war. Die Rufe und Schreie … das Schießen … klang eigentümlich leise, wie aus der Ferne. Seine Augen brannten. Er sah einzig eine dicke, schwarze Rauchwolke, die über ihm waberte. Als er aufstehen wollte, fuhr ihm ein stechender Schmerz den Rücken hinauf.
»Gott verdammt!«, fluchte er. Indem er tief Luft holte, zwang er sich dazu, eine aufrechte Sitzhaltung anzunehmen. Seine Bewegungen waren mühevoll, doch er wusste, dass er sich aufraffen und etwas unternehmen musste. Als er sich umsah, entdeckte er Bivens, der hinter dem TOW stand und die Umgebung absuchte. Von der Ambulanz war wenig mehr übrig als die brennende Karosserie und vier qualmende Reifen. Die Insassen hatte es definitiv ausnahmslos zerrissen; auf den Vordersitzen erkannte er zwei brennende Leichname. Die verkohlenden Leiber waren vornübergebeugt und Flammen züngelten aus ihren offenen Mündern.
Gordon sah, dass die verbliebenen Marines Deckung suchten und zum Angriff gegen irgendetwas weiter unten auf der Straße übergingen. Er erhob sich, versuchte, das Gleichgewicht zu halten, und machte sich zu seinem Geländewagen auf.
»Bivens, falls du zum Schuss kommst, drück ab!«, befahl er.
»Ist nicht drin, Sergeant. Bei all dem Rauch lässt die Sicht zu wünschen übrig. Moment … da ist das Schwein … Ziel erfasst!«
Gordon blickte hinter das Geschütz, sah, dass sich niemand dort aufhielt, und rief zur Antwort: »Rückstoßbereich sicher!«
»Geschütz bereit«, brüllte Bivens – und kaum eine Sekunde später: »Volle Deckung!«
Nach dem vertrauten Knall und darauffolgendem Zischen schnellte die Rakete aus dem Rohr. Im Nu erreichte sie ihr Ziel, das Minarett einer Moschee, traf genau und ließ es in sich zusammenstürzen.
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