»Tut mir leid, Cowboy«, sagte der Sheriff heiser in das Halbdunkel des Flures, »aber ich kann es nicht ändern. Ich bin nicht mehr der Jüngste, und wenn ich nicht will, daß sie mich umbringen, muß ich mich nach der Decke strecken. Die Clantons sind eisenhart und unnachgiebig, wer sich gegen sie stellt, ist fertig im County.«
Und dann war Elliot hinter den eisernen Trallen allein. Zwar konnte er Blim am Schreibtisch des Office sehen, aber der Sheriff tat, als gäbe es seinen Gefangenen nicht.
Jetzt geht es also zu Ende, brannte es in seinem Hirn. Fast tausend Meilen war er geritten, um dahin zu kommen, wo nach seiner Meinung das Herz des Westens schlug.
Wenn es wenigstens noch Tomb-
stone gewesen wäre, wo er hätte sterben müssen, aber hier in diesem elenden winzigen St. David, in diesem dreckigen Nest, das kein Mensch kannte!
Zwei Stunden waren vergangen.
Elliot saß zusammengesunken auf der Pritsche, starrte düster vor sich hin.
Da wurde plötzlich die Tür des Jails aufgestoßen. Herein kam ein großer, breitschultriger Mann, der ein hartes, kantiges tiefbraunes Gesicht hatte. Sein Hemd mußte vor sehr langer Zeit einmal weiß gewesen sein. Jetzt jedenfalls hatte es eine graugrünliche Färbung. Das verblichene rote Halstuch vermochte diesen Eindruck auch nicht zu ändern. Die leichte braune boleroartige Weste war zerschlissen und so unansehnlich wie seine verstaubten Stiefel mit den schiefen Absätzen. Die großen Sternradsporen blinkten allerdings, wie auch die beiden Revolver, die er rechts und links tief über den Oberschenkeln in unten offenen Halftern trug.
John Elliot hatte den Mann fasziniert angesehen. Ganz zweifellos ging etwas Eigenartiges von ihm aus.
Sheriff Blim, der dösend hinter seinem Schreibtisch gesessen hatte, fuhr erschrocken hoch.
»Sie…?« kam es ungewollt über seine Lippen.
»Yeah, ich«, erwiderte der Fremde mit einer rostigen Stimme. Dann deutete er mit seinem großen linken Daumen auf die Zelle.
»Wer ist das?«
»Ein Bandit, Mister Clanton…«
Als der Cowboy Elliot diesen Namen vernommen hatte, fuhr er federnd von seiner Pritsche hoch. Clanton? Hatte er richtig gehört? Gehörte dieser Mann etwa zu der Familie des großen Bandenführers Ike Clanton?
»Was verstehst du unter einem Banditen, Sheriff?« fragte Clanton.
»Well«, stotterte der Sheriff. »Er hat zwei Ihrer Freunde ermordet, Mister Clanton.«
»Hast du das gesehen?«
»Nein, aber Jonny Ray und Frank Donavon behaupten es.«
Der Mann wandte sich um, stieß die Tür mit dem Fuß auf, stemmte die Fäuste in die Hüften und brüllte über die Straße: »Ray!«
Jonny Ray fuhr entgeistert hoch. »Der Boß«, stammelte er.
»Bist du Ray?«
»Yeah, Mister Clanton.«
»Ist der Penner da neben dir Donavon? Kommt rüber.«
Die beiden Burschen kamen im Eilschritt auf das Sheriffs Office zu.
»Ich bin Ike Clanton«, erklärte der Desperado, wobei er sich noch höher aufzurichten versuchte und damit fast den Türrahmen ausfüllte.
»Yeah, das wissen wir«, erklärte Donavon.
»Ihr habt gesehen, wie der Bursche da zwei meiner Leute umgebracht hat?«
»Nein, Mister Clanton. Aber er kam mit ihren Pferden hier an, und dann spielte er sich noch groß auf drüben in dem Saloon und meinte prahlerisch, wir sollten Ihnen einen schönen Gruß bestellen.«
Der Bandenführer lachte heiser: »Das reicht allerdings.«
John Elliot stand bewegungslos vor seiner Pritsche und stierte mit weit aufgerissenen Augen auf den breiten Rücken des Verbrechers.
Ike Clanton!
Das war also der berühmte Bandenführer, der das ganze County knechtete, vor dem sogar Leute krochen, die ihn überhaupt nicht kannten, dessen Name im ganzen Westen bekannt
war.
Der Outlaw wandte sich um.
»Die Sache ist also klar, Sheriff. Wenn dieser Tramp zwei Männer erschossen hat, kriegt er seinen Lohn.«
»Ganz klar, Mister Clanton«, beeilte sich der Sheriff zuzustimmen.
Ohne den Gefangenen eines Blickes zu würdigen, stampfte der Bandenführer hinaus und warf die Tür krachend hinter sich ins Schloß.
Es war Mitternacht.
Sheriff Blim war längst hinter seinem Tisch eingeschlafen. Der Cowboy Elliot hockte auf dem Rand seiner Pritsche und hatte den Kopf in die Hände gestützt.
Er dachte daran, daß der Bandit Isaac Clanton sein Todesurteil gesprochen hatte. Sheriff Blim hatte gesagt, daß morgen Richter Farner kommen werde. Und er hatte auch gesagt, daß es alles sehr schnell gehen würde.
Die Nacht war totenstill. Und die Stunden schlichen im Schneckentempo dahin. Der Gefangene fand keinen Schlaf.
Als im Osten der Morgen über den Horizont kroch, hockte der Mann aus Nevada immer noch verkrampft und in sich zusammengesunken auf seiner Pritsche.
Erst gegen sieben wachte der Sheriff auf. Er ging grußlos hinaus und schloß ab.
Sengende Hitze wurde schon von der Vormittagssonne in die Stadt geschleudert. Blim, der sich seit acht Uhr nicht mehr hatte sehen lassen, war so brutal gewesen, nicht nur die Tür zu verschließen, auch die winzige Fensterluke, die ohnehin stark vergittert war, hatte er verschlossen. Die Luft war stickig, heiß und schwer.
Etwa gegen elf Uhr wurde ein Schlüssel ins Türschloß geschoben, herumgedreht, und dann sprang die schwere Tür auf.
Sheriff Blim trat ein und sagte einem nachfolgenden Mann, der von geradezu gnomenhafter Größe war. »So, Euer Ehren, da drüben ist der Mann.«
Euer Ehren trug einen halbhohen Zylinderhut, einen schwarzen Gehrock, der völlig mit Flecken besät war, und eine ebensolche Hose. Das Hemd war dunkelweiß und mit der gleichen Sprenkelung besetzt. Die Schuhe des Männchens waren zerknittert, glanzlos und im Verhältnis zur Größe ihres Besitzers wahre Missouristeamer.
Euer Ehren hatte ein pergamentfarbenes Gesicht mit rissiger, großporiger Haut und scharfer Nase. Das Kinn war spitz; scharf, klein und unstet die rötlich schimmernden Augen.
»Steh auf, Bandit!« herrschte der Sheriff den Gefangenen an. »Hier ist Richter Farner!«
Elliot erhob sich langsam von seinem Lager und kam bis an die Gittertür.
Richter Farner blieb so weit vor den Gittern stehen, daß der Gefangene ihn nicht etwa mit einer plötzlich vorgeschobenen Faust erreichen konnte. Offenbar hatte er auf diesem Gebiet seine Erfahrungen sammeln müssen.
Mit zittriger Hand nahm er einen Zwicker aus der Westentasche und schob ihn auf die Nase, dann legte er den Kopf ins Genick und meinte mit einer näselnden, unangenehmen Stimme:
»Das ist also der Mörder? Well, morgen wird er baumeln.«
Damit wandte er sich ab und trippelte mit gichtigen Schritten hinaus.
Blim räusperte sich und sah hinter ihm her. Dann ging auch er.
Mittags brachte er eine dünne Suppe. Und abends Brot und lauwarmen Kaffee.
»Kann ich nicht wenigstens etwas Tabak und Papier für eine Zigarette haben?« fragte der Delinquent.
Blim knurrte: »Für Mörder gibt’s keinen Tabak!«
Damit