»Schnell, Luke, meine Tasche!«
»Sofort!« Das war die Stimme des Texaners. Und schon verdunkelte seine riesige Gestalt auch schon den Himmel für den Mann der Erde.
Der Hüne kam mit der Instrumententasche des Spielers zurück.
»Sie müssen ihn halten, Luke!«
»Mach ich!« Hände, die die Ausmaße einer großen Kohlenschaufel hatten, legten sich wie Haltegriffe um die Schultern des Missouriers.
Eine kleine Flasche wurde aufgestöpselt. Dann zog ein scharfer, beißender Geruch in die Nase des Benommenen.
»Damend, stinkt das Zeug«, hörte Wyatt hinter sich die unverkennbare Stimme des Texaners.
»Wyatt!« Holliday hatte seine schlanken Hände um das Gesicht des Freundes gelegt, knöpfte ihm jetzt das Hemd auf, und dann fühlte der Marshal eine eiskalte Flüssigkeit auf seiner Brust. Anschließend massierte der einstige Bostoner Arzt seine Handgelenke und seinen Nacken.
»Zurücklegen«, sagte er leise zu Luke.
Der Texaner ließ ihn auf den Boden nieder.
Wyatt hatte die Lippen geöffnet.
»Doc!« brachte er mit einer ihm selbst völlig fremden Stimme krächzend durch die schmerzende Kehle.
In den eisblauen Augen des Spielers hatte große Besorgnis gestanden; sie wich jetzt einer grenzenlosen Freude.
»Wyatt!«
»Wo… ist er?«
Holliday sah verwundert auf. »Luke? Er kniet hinter Ihnen.«
»Ike…«
»Ike?« Die Besorgnis kehrte in die Augen des Georgiers zurück.
»Er war hier…, bei mir!«
Holliday schüttelte den Kopf.
»Nein, Wyatt. Sie sind hier gestürzt, und zwar ganz ordentlich.«
Wyatt richtete sich auf. Luke stützte ihn im Rücken.
»Er war hier, Doc!« beharrte Wyatt.
»Wo sollte er denn sein?«
»Ich weiß es nicht. Da, wo Sie jetzt knien, kniete auch er!«
»Das kann ich mir nicht denken«, entgegnete der Spieler vorsichtig, da er die Worte des Freundes noch den Folgen des Sturzes zuschrieb.
Wyatt versuchte sich aufzurichten; die beiden halfen ihm dabei. Seine Augen suchten den Boden ab. Aber da war nichts mehr zu erkennen.
»Das ist mir unerklärlich!« meinte der Marshal und stützte sich immer noch gegen den massiven Mann aus Texas. »Ich habe ihn vor mir gesehen! Leibhaftig!«
»Kein Wunder«, meinte Luke Short. »Jetzt geistert der Kerl nicht nur durch unsere Tage, sondern sucht uns auch noch in den Träumen heim, und dann glaube ich, wenn ich so einen Sturz getan hätte, sähe ich Napoleon oder vielleicht auch Columbus hier auf rosaroten Wellen herumschaukeln.«
Holliday blickte den Freund forschend an.
»Schmerzen?«
»Nicht sehr. Der Kopf brummt.«
»Woher haben sie nur all diese Schrammen und Risse und die Wunde, die Sie sich da notdürftig verbunden haben.«
»Von Shilbells Ranch…«
Wyatt berichtete, was er erlebt hatte. Aufmerksam hörten ihm die beiden zu. Die Geschichte des Marshals endete hier – bei dem Sturz. Und wieder mußte er an Ike Clanton denken. Als der Gambler von dem gesprochen hatte, was er und Luke Short inzwischen erlebt hatten, rieb sich der Marshal übers Kinn.
Leise sagte er:
»Und er war doch hier, Doc!«
»Ausgeschlossen!« meinte der Texaner.
»Was hatte er denn an?« wollte Holliday wissen.
Wyatt beschrieb das, woran er sich noch erinnerte.
Der Georgier schüttelte heftig den Kopf.
»Wir waren vorhin gerade bei ihm, und da trug er andere Sachen.«
»Ihr wart auf der Clanton Ranch?«
»Ja, wir hatten eine kleine Unterhaltung mit unserem Freund.«
»Mit Ike? Haben Sie mich etwa bei ihm gesucht?«
»Bei ihm… und überall«, unterbrach der Texaner. »Wir hätten Sie notfalls auch bei den Apachen herausgeholt oder vom Mond herunter.«
»Und was war mit Ike, was sagte er?«
»Er wußte nichts. Und an dem Überfall beim Courthouse will er auch nicht beteiligt gewesen sein.«
»Das war er auch nicht. Der Kerl, der mich niederschlug, erinnerte mich an Indian Charlie.«
»Batko!« erklärte Luke Short.
Holliday reichte dem Gefährten eine geöffnete Whiskyflasche und einen sauberen Becher.
Wyatt schüttelte den Kopf.
Da meinte der Gambler:
»Ich an Ihrer Stelle würde einen Schluck nehmen.«
Wyatt tat dem Freund den Gefallen und fühlte sich tatsächlich danach etwas besser.
»Und jetzt schwarzen Tee«, empfahl Holliday, »ich habe die ganze Campflasche voll. Nellie Cashman hat ihn mir mitgegeben, und ganz deutlich las ich damit den Wunsch in ihren Augen, daß Sie ihn trinken möchten.«
»Spötter!« entgegnete Wyatt, nahm aber einen tiefen Schluck aus dem Teebecher.
Viel schneller als er es erwartet hatte, kehrten seine Lebensgeister zurück. Schon die Gegenwart der beiden Freunde ließ ihn die Schmerzen vergessen.
Holliday nahm den Notverband von der Armwunde, die sich Wyatt an dem Messer der Strohschneidemaschine geholt hatte, säuberte die Wunde und legte einen neuen Verband an.
Währenddessen berichtete er, daß sie von Ikes Ranch noch zu Hattaways Farm hinübergeritten wären, um da nach ihm zu fragen. Auf dem Rückweg hierher hatte der lange Tex über die Mesquitesträucher hinweg die Pferde hier entdeckt.
»Und er?« fragte Wyatt da rasch. »Kann er euch nicht kommen gesehen haben?«
»Ike?« Holliday zog die Schultern hoch. »Unmöglich wäre es natürlich nicht, wenn er wirklich hier bei Ihnen war, konnte er uns ein ganzes Stück weit sehen. Viel eher, beispielsweise, als wir ihn, denn hier die Schneise in dem Feld führt genau zu dem Weg zu Hattaways Farm…«
Der Texaner betrachtete die Pferde, die an den Büschen standen. »Ein Glück, daß Shibell Sie nicht eingeholt hat, Wyatt, sonst hätte er Sie als Pferdedieb aufgehängt.«
Wyatt ging auf den grauen Hengst zu und streichelte ihn.
»Er ist ein braver Bursche. Aber er hat einen Gang wie ein Farmergaul.« Er klopfte dem Tier auf den blanken Hals und zog sich dann in den Sattel.
Verwundert blickte Holliday zu ihm hinüber.
»Weshalb nehmen Sie nicht eines der anderen Pferde? Das Tier, das in den Hasenbau gebrochen ist, hat sich nichts dabei getan und macht mir einen leichteren Eindruck.«
Wyatt schüttelte den Kopf.
»Nein, der Graue hat mich von der Teufelsfarm Oswald Shibells fortgebracht, hat mir die Treue gehalten, als ich ein anderes Pferd nahm – und außerdem wäre es falsch, sich zu verweichlichen. Wenn der Hengst mich von hier nach Tombstone getragen hat, bin ich bestimmt munter.«
Da lachte der Texaner hellauf.
»Gott sei Dank, das ist wieder der alte Wyatt!«
Sie stiegen auf.
Wyatt