„ Es ist ein viel tieferes Gefühl, das sich mit der Zeit aufbaut, und das Zusammensein mit dem anderen in freudigen und schwierigen Momenten. Wenn du Kevin wirklich lieben würdest, wärst du mit seiner Wahl glücklich, denn du würdest nur sein Glück und Wohlergehen wollen. Wahre Liebe ist kein egoistischer Wunsch, wie deiner".
Ich dachte oft an diese so harten und klaren Worte.
Schließlich wurde mir klar, dass Pater Dominick Recht hatte. Außerdem, was wusste ich wirklich über Kevin, außer dass er immer nett zu den Kunden war?
Um ehrlich zu sein, wusste ich gar nichts über ihn.
Ich wusste nicht, was sein Lieblingsgericht war, welche Art von Musik er hörte, was er in seiner Freizeit gerne tat, abgesehen davon, dass er mit Clara zusammen war, ob er unordentlich oder pingelig war...
Trotzdem konnte ich all diese Jahre nicht vergessen, die ich damit verbracht hatte, über ihn und unsere mögliche Liebesgeschichte zu fantasieren.
Innerhalb weniger Tage begann ich wieder zu essen, zu schlafen und zu reden.
Tante Cecilia war ungeheuer erleichtert, mich wieder fit zu sehen, vor allem nach der Einnahme meiner Hämodose, und so gesprächig wie zuvor. Seit Tagen hatte sie versucht, mich zum Essen zu bewegen, indem sie mir alles Mögliche zubereitete, aber ich hatte allem widerstanden. Selbst meine fortgesetzte Weigerung, mit ihr zu sprechen, hatte sie in den Wahnsinn getrieben.
Am Ende war auch ich froh, wieder der Vera von einst zu sein.
Eines Tages, gegen Abend, klingelte das Telefon.
Ich war in einen der vielen Liebesfilme vertieft, so dass ich nicht darauf geachtet hatte. Also ging meine Tante ans Telefon.
Ich konnte nicht verstehen, was meine Tante sagte, aber mir wurde klar, dass etwas Ernstes passiert sein musste, als sich ihr Tonfall änderte und sie sehr besorgt wurde.
Es war ein sehr kurzes Telefonat.
„ Alles in Ordnung?“ fragte ich sie, als sie aus der Küche zurückkam, in der unser Telefon stand.
„ Kardinal Montagnard ist leider plötzlich gestorben, er hat einen Herzinfarkt gehabt.“
„ Das tut mir leid. Kanntest du ihn gut?"
„ Ja, ich hing sehr an ihm und schätzte ihn sowohl als Mann als auch als Geistlichen", erklärte mir meine Tante mit Tränen in den Augen.
Es war das erste Mal, dass ich meine Tante traurig über den Verlust von jemandem sah. Ich hatte nicht gedacht, dass sie so leiden könnte.
Tagelang blieb sie aufgrund ihrer quälenden Trauer apathisch und schweigsam.
Schließlich beschloss ich, bis Montag der folgenden Woche zu warten.
In der Schule hatten sie einen Streik gegen das Gesetz zur Lehrerverringerung ausgerufen, so dass ich den ganzen Tag frei haben würde, und ich war entschlossen, mit meiner Tante in die Innenstadt zum Einkaufen zu fahren.
Obwohl mein Budget aufgrund meines mageren Taschengeldes nicht sonderlich groß war, hatte ich mir dennoch vorgenommen, meine gesamten Ersparnisse auszugeben, um ihr ein Geschenk zu machen.
Ich wollte mit ihr in die Geschäfte gehen und ihr ein Parfüm, einen Pullover oder ein Buch kaufen.
Alles, um ihr wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Zu meinem Glück kam verging die Zeit bis zum Montag schnell.
Ich stand zur gewohnten Zeit auf und ging, nachdem ich mich gewaschen und sorgfältig angezogen hatte, in aller Ruhe zum Frühstück hinunter.
„ Vera, es ist schon spät! Du verpasst bestimmt den Bus", ermahnte mich meine Tante, als ich die Küche betrat.
„ Ich muss heute gar nicht in die Schule! Es wird gestreikt", erklärte ich ihr mit einem breiten Lächeln.
„ Ach, ja. Vielleicht hattest du es mir auch gesagt... Ich erinnere mich nicht", antwortete mir meine Tante mit abwesender Stimme.
„ Genau. Außerdem habe ich beschlossen, in die Stadt zu fahren, weil ich ein Buch für die Schule kaufen muss. Kannst du mich bitte begleiten?" log ich. Ich wusste, wenn ich meiner Tante sagen würde, ich wolle mit ihr einkaufen gehen, würde sie niemals zustimmen, aber wenn es sich um Schulsachen handelte, würde sie sofort mitkommen.
„ Sicher, aber nicht jetzt. Ich habe Ahmed versprochen, dass wir über das neue Vieh sprechen würden, das am späten Vormittag ankommen wird, aber ich kann dich bestimmt heute Nachmittag in den Buchladen bringen", erinnerte sie mich.
Also verschob ich mein Projekt.
Ich hasste es, meine Pläne zu ändern, weil dann grundsätzlich noch etwas anderes passierte, um meine Pläne über den Haufen zu werfen.
Ich hätte es ihr am Tag zuvor sagen sollen.
So kam es, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte.
Letztendlich entschied ich mich für den Fernseher.
Mir war einfach nicht danach, auszugehen.
Ich wollte gerade zurück in mein Zimmer, um mich umzuziehen, als es plötzlich an der Tür klingelte.
Ich ging, um zu öffnen.
Es war Dominick, begleitet von zwei großen, robusten, schwarz gekleideten Männern mit einem weißen Kreuz mit einem roten Tropfen in der Mitte, das auf die Jackentasche gestickt war.
Ich war so fasziniert von diesen beiden Riesen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und die nun bewegungslos vor meiner Tür standen, dass ich die verstörte Stimme von Pater Dominick gar nicht bemerkte, der mich roh ins Haus drängte und nach meiner Tante rief.
„ Cecilia, ihr müsst weggehen! Jetzt!", schrie Pater Dominick panisch.
„ Was geht hier vor?", fragte ihn meine Tante und versuchte, ihre Angst zu verbergen.
„ Sie wissen alles und sie sind gleich hier!", rief Pater Dominick erneut.
„ Wer sie?“ mischte ich mich besorgt ein.
Niemand antwortete mir, aber ich verstand, dass meine Tante wusste, auf wen sich der Pfarrer bezog, weil sie ihre rechte Hand an den Mund führte und versuchte, einen Schrei zu unterdrücken.
„ Aber wie ist das möglich?", flüsterte meiner Tante mit schwacher Stimme.
„ Sie haben ihn getötet! Sie haben Kardinal Montagnard umgebracht, nachdem sie ihn zum Geständnis gebracht hatten! Jetzt wissen sie alles, und ihr seid hier nicht mehr sicher. Sie werden euch suchen, und wenn sie euch gefunden haben werden sie Vera nehmen und sie töten.
Ich? Was hatte ich damit zu tun?
Ich war so schockiert, dass ich meinen Mund nicht mehr öffnen konnte.
„ Sie haben ihn erschossen und nicht auf ihre übliche Art umgebracht. Deshalb hat der Orden so lange gebraucht, um herauszufinden, wer für den Mord verantwortlich war. Es war definitiv Blake. Nur er und seine Bande sind zu einem solchen Verbrechen fähig. Niemand weiß, was wirklich passiert ist, aber anscheinend hat der Kardinal Blake alles offenbart, wahrscheinlich unter Folter", fuhr Pater Dominick fort.
„ Das ist ja schrecklich!"
„ Ja, und jetzt müsst ihr flüchten. Ich habe bereits ein Zimmer für euch in einem Hotel in Dublin gebucht. Sobald wir dort ankommt, erhalten wir neue Anweisungen von Kardinal Siringer, der sich mit uns treffen will.
„ Aber wie machen wir das?", seufzte meine Tante erschüttert.
Dieser Hof war ihr Zuhause, ihr Leben.
Und meins auch.
„