Fahlmann. Christopher Ecker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christopher Ecker
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Современная зарубежная литература
Год издания: 0
isbn: 9783954620906
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Monikas das nächste Gedicht der mond-schein-parade vorlesen musste:

      im untersten rausch

       durch den eierwald taumeln

       bei rümmelsborn (hurra!)

       kreuzt die spur des fischhufers

       hep! schwammenwald, steh kopf!

       steh kopf, schwammenwald!

       très joli! pierre oiseau:

       chanteur de blues

      (carte visite)

      Mit verklärtem Gesichtsausdruck improvisierte ich:

      und von nun an war er bester alles

      Ich machte eine Pause und setzte noch einen drauf:

      seltsam aber so steht es geschrieben

      Bezaubernd, die Kleine in der dritten Reihe, aber Inge ist auch nicht übel, und bedeutungsschwer:

      – – – in der weltmaschine!

      Außer mir wussten nur drei Menschen, wie schWEINe-essIG entstanden war: Susanne, Großvater und natürlich Achim, der seinen Wunsch, nicht als Co-Autor genannt zu werden, längst bereute. Wir wären sehr daran interessiert, Ihr Buchprojekt in Angriff zu nehmen. Den Brief in Händen kam ich ins Schlafzimmer gestürzt und hatte Susanne geweckt, die samstags immer bis in die Mittagsstunden schlief, um sich von der durchtanzten Freitagnacht zu erholen. «Das hast du nun davon!», sagte sie, nachdem ich ihr den Sachverhalt in groben Zügen erläutert hatte. «Ich muss es veröffentlichen», sagte ich. Susanne umfasste ihre bloßen Knie. «Du wirst dich mit diesem Quatsch lächerlich machen!» – «Ich weiß nicht, wer sich lächerlicher machen wird, der Verfasser, die Leser oder der Verlag. Ich denke nur, dass es sehr dumm von mir wäre, ein Angebot dieses Verlags auszuschlagen.» – «Sie werden sich alle schlapplachen!» – «Lies dir doch erst einmal den Brief durch!» Susanne überflog die Zusage. «Was sind das für Menschen?», fragte sie. Ich hob die Arme in einer Geste fröhlicher Resignation, die ich mir von Stan Laurel abgekuckt hatte. «Was», fragte sie, «verstehen die unter metatextuellen Kondensaten?» – «Das wissen nur die Götter!»

      Am selben Nachmittag war ich zu Großvater gefahren. «Da habt ihr ihnen ja», lachte er, «ein gigantisches Kuckucksei ins Nest gelegt.» Freudlos bemerkte ich: «Aber es wird kein Kuckuck schlüpfen.» Großvater widersprach heftig: «Du hast zumindest einen Fuß in der Tür, und da dieser Verlag, völlig zu Unrecht, wie ich finde, hierzulande ein großes Ansehen genießt, handelt es sich um einen mächtig großen Fuß! Aber auch», fügte er munter hinzu, «um eine mächtig große Tür.» Ich schätzte seine schrulligen Bemerkungen. Hatte ich als Kind das Wochenende bei ihm verbracht, standen wir vorm Schlafengehen oft auf dem Balkon, bewunderten den Nachthimmel, und ich ließ mir erklären, dass manche Sterne leuchteten, obwohl sie schon vor Jahrzehnten verglüht seien. «Und du wirst auch erst in einigen Jahren wissen», schloss Großvater heiter, «ob ich heute Nacht wirklich neben dir auf dem Balkon gestanden habe.» Darüber lachte ich als Kind, aber heute war Großvater immerhin einundachtzig. Irgendwann würde ich tatsächlich feststellen, dass er nicht mehr da war und sich unbemerkt zurückgezogen hatte. Erst würden die Erinnerungen an ihn schwächer werden, und dann würde ich es nicht einmal mehr merken, dass ich ihn vergessen hatte: Dann wäre er einfach fort. Zusammengesunken hockte er auf dem Stuhl, den Kopf gesenkt. Es bedeutete mir viel, dass er die Strapaze auf sich genommen hatte, zur Lesung zu kommen. Im Gegensatz zu Winkler, den meine Lesungen nicht interessierten. Auch Vater hätte niemals eine Lesung von mir besucht. Er hatte ja nicht einmal zur Abifeier mitkommen wollen. «Da sind zu viele Leute, die ich nicht kenne», meinte er, und so hatte Großvater meine Mutter begleitet. Sie im Abendkleid, er in seinem besten Anzug, und noch heute schäme ich mich für die peinigende Furcht, meine Klassenkameraden könnten in dem alten Mann meinen Vater vermuten. Um Großvater eine Freude zu machen, begann ich das nächste Gedicht mit einem flotten:

      struebing struebing struebing

      Und los gings:

      im wartezimmer des dottore

       riskator einer dicken lippe

       dann einen ausgehöhlten kürbis als hut

       am steuer des edeka-lkws

       the kindheit’s gone

       where’s the kindheit hin

       schwester inge! ihr busen!

       oh sagt’s mir wenn ihr’s wisst

       – – – where’s the kindheit hin

      Klammheimlich hatte sich in diese Zeilen eine gehörige Portion Ernsthaftigkeit eingeschlichen. Ich sah mich in meinem ehemaligen Kinderzimmer auf dem Bett liegen, the kindheit’s gone, ich rauche eine melancholische Zigarette, asche in den Bettkasten, aha, dort hinten sitzt Achim, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er in eine Zitrone gebissen, aber der Feigling hat ja darauf bestanden, nicht als Co-Autor genannt zu werden … schwester inge! ihr busen! … ich bemühte mich, das bezieht sie jetzt natürlich auf sich, die wirkliche Inge im Publikum nicht anzusehen … ihr busen! … scheiße … das machte meinen schönen Plan zunichte … schwester inge! … ihre Hand auf meinem Oberschenkel … ihr busen! … graue Adern marmorieren die blasse Haut ihres zerkratzten Handrückens … schwester inge! … man denkt sich nichts Böses, und scha-matz! steht man bis zum Hals im Fett … zügig:

      toodeln wir monde – – – padam!

       den nachthimmel in flammen

       hinauf und hinab (zoosh dich, marie!)

       pompoms seid ihr am cheerleader-bürzel

       hussa! kreuzt die quere!

       rauscht die nacht!

       ich bin nur ein mond auf der walz

      deine kleine raupe

      Der Schwung des Vortrags riss mich mit. Wie auf Schlittschuhen glitt ich über eine Eisfläche, an deren Unterseite sich leidende Tiefseefische mit geplatzten Lungen pressten. Risse überzogen das Eis, ich wich in eleganten Hopsern nashorngroßen Löchern aus, doch da kippte die Eisplatte, die an einem Scharnier befestigt war, und ich raste kopfüber an der zur Unterseite gewordenen Oberseite entlang, die Lungen voller Eiswasser, die Augen brennend vom Salz. Nach der mond-schein-parade blätterte ich in willkürlicher Betriebsamkeit durch das Buch, machte fünfzig Minuten voll und las zum Abschluss einen Text aus dem Zyklus um Walg Nastranz, einem Zyklus, der in jenen quälenden Stunden entstand, wenn ich am Schreibtisch saß und nichts Brauchbares zustande brachte …

      Brahnet obs, Walg Nastranz!

      Glinko fretsch parantz nobbicht, emblus kalber, norrigt: «Wolpriert Nastranz, waha, fin gräbbt ober dens sockelt – irf wahlperint nog brobbart.»

      «Quanu?», Ertzpil nagrat.

       «Ohkars fretsch, Nastranz fretsch», wahat Glinko glibbil.

       «Dakat», Ertzpil fropft urf bem kambil nogit.

       Glinko nurrbig fralt; Nastranz sembelg tiskut.

      Angespannte Gesichter. Niemand lachte.

      «Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!»

      Und dann kamen die Fragen …

      «Wo bekommen Sie Ihre Ideen her?»

      Die lass ich mir von einem Versandhaus aus den Staaten schicken, grölte eine erschreckend vulgäre Stimme in meinem Inneren, aber ich antwortete brav: «Das fällt mir einfach so ein.»

      «Was ist die Botschaft Ihrer Gedichte?»

      Pro Rohkost, contra Hitler! «Die Texte sind die Botschaft», sagte ich.

      «Also beziehen Sie sich auf Marshall McLuhan?»

      «Ja.» Ich hörte den Namen zum ersten Mal.

      «Arbeiten Sie an einem neuen Buch?»

      Scheiße, Scheiße, Scheiße … «Ja.»

      «Handelt es sich wieder um Gedichte?»

      Gott bewahre! «Nein.»

      In