Er nickte traurig. „Es tut mir leid, Adele. Ich hätte nicht herkommen sollen, du hast Recht. Wie sieht es bei dir nächstes Wochenende aus?”
Sie dachte kurz nach und zuckte dann mit den Schultern. „Die Lösung des Falls wird eine Weile dauern. Ich muss nach Europa. Ich gebe dir Bescheid, wenn ich zurück bin. Ja, wirklich. Das werde ich.”
Und damit zündete sie den Motor und fuhr Angus zuwinkend, an den anderen geparkten Autos vorbei aus der Parklücke. Als sie den Parkkomplex hinter sich ließ, weigerte sie sich, über ihre Schulter zu schauen und verweigerte sich jeglichen Versuch in den Rückspiegel zu sehen. Stattdessen richtete sie ihre Augen auf die vor ihr liegende Fahrbahn.
Es gab einen Mörder in den Alpen. Vielleicht ein Serienmörder. Zwei Paare, die zweihundert Meilen voneinander entfernt vermisst wurden. Sie musste Prioritäten setzen und sich konzentrieren. Adele umschloss fest das Lenkrad, verdrängte die Gedanken an Angus aus ihrem Kopf und katalogisierte jeden Gegenstand, den sie für die Reise einpacken musste. Während sie sich immer weiter vom Parkhaus entfernte, stieg ihr Adrenalinspiegel und ihre Wangen glühten.
Die Jagd ging weiter.
Erste Klasse, keine Zwischenlandungen. Das war ein Leben. Zumindest wäre es das gewesen, wenn da nicht die blutigen Bilder eines Gemetzels über dem heruntergeklappten Flugzeugtisch verteilt gewesen wären. Adele studierte die Fotos vom Tatort, hörte dem Summen der Düsentriebwerke zu und – wie so oft – schaute sie auf, um sicherzugehen, dass keine Flugbegleiter vorbeikamen. Vor einigen Jahren hatte sie auf die harte Tour erfahren, welche Auswirkungen einige dieser Fotos auf die breite Öffentlichkeit hatten.
Einen Ohnmachtsanfall einer weiteren Flugbegleiterin über dem Atlantik verursachen? Das wäre nicht ideal.
Adele verlagerte sich etwas in Richtung des Fensters und glitt an der gepolsterten Rückenlehne entlang nach unten, um einige der Fotos vor neugierigen Blicken zu schützen. Mr. und Mrs. Beneveti waren vor zwei Tagen gefunden worden, in Stücken verstreut um eine Ansammlung von Bäumen herum. Mr. und Mrs. Hanes, das Schweizer Ehepaar, waren fast eine Woche zuvor verschwunden und bisher noch nicht wieder aufgetaucht.
Hunderte von Kilometern trennten die beiden vermissten Paare. Ihre einzige Verbindung: Reichtum, Einfluss und die Alpen.
Adeles runzelte die Stirn und streckte die Hand aus, um einen Schluck von ihrem Eiswasser zu nehmen und stellte den Becher dann in die Halterung zurück. Sie stieß einen langen Atemzug aus, ein Geräusch, das sich im Surren der Düse der Klimaanlage verlor. Sie klopfte mit den Fingern auf den Rand ihres Klapptisches herum und glättete eines der Fotos, das sich weigerte, flach auf dem Tisch liegen zu bleiben.
„Ein Bärenangriff?“, murmelte sie vor sich hin und ließ die Frage unbeantwortet.
Es machte nicht den Eindruck. Nicht laut dem vorläufigen Bericht – obwohl sie immer noch auf die Bestätigung des Gerichtsmediziners warteten. Und doch machte eine schnelle Online-Suche überdeutlich, dass die Öffentlichkeit immer noch davon überzeugt war, dass die Braunbären mit aller Kraft in die Alpen zurückgekehrt waren. Aber es gab keine Bissspuren und einige wenige Stellen, die aussahen, als seien sie durch Krallen verursacht worden, könnten auch leicht durch ein Beil oder eine Axt herbeigeführt worden sein. Einige der Schnitte waren gezackt – vielleicht von einer verrosteten Axt. Einer stumpfen Machete?
Adele zuckte zusammen bei dem Gedanken an das Paar, das sich im kalten Wald zusammenkauerte, um tagsüber einen Skiausflug zu machen, nur um dann von…
Wodurch? Von wem?
Adele sah sich die Fotos erneut an und ordnete die Informationen. Es gab FBI-Agenten, die viel klüger waren als sie, andere, die mehr Verbindungen hatten und wieder andere mit einem größeren Talent. Aber es gab nur sehr wenige, die härter arbeiteten als sie, die auf die Details achteten.
Der Teufel steckte im Detail. Und, wie es aussah, auch in den Alpen.
KAPITEL FÜNF
Das Fahrzeug, in dem sie abgeholt worden war, wollte gerade die Auffahrt des Wolfsschlucht Resort einbiegen, als Adele sich bei ihrem Fahrer bedankte und ausstieg, und die Gelegenheit nutzte, sich etwas die Beine zu vertreten um frische Luft zu schnappen. Der Fahrer rief ihr aus dem Auto zu. „Brauchen Sie eine Wegbeschreibung?”
Adele warf einen Blick zurück und schüttelte schwach den Kopf.
„Nein, danke – ich treffe mich hier mit jemandem.”
Der Fahrer winkte und drehte bereits um, um wieder zur Hauptstraße zu gelangen. Adele holte ihr eigenes Gepäck aus dem Kofferraum; sie hätte das niemals vom Fahrer verlangt, obwohl einige Agenten es als Teil des Services betrachteten.
Mit ihrem Rollkoffer in einer Hand, stand sie im Herzen der Kreisverkehr ähnlichen Auffahrt vor dem Resort. Als sie zum ersten Mal vom Wolfsschlucht Resort gehört hatte, hatte sie sich zunächst ein Hotel mit ein paar Skipisten vorgestellt, vielleicht ein oder zwei Hallenbäder. Doch was sie nun vor sich sah, erschien ihr eher wie ein ganzes Dorf, das mit Schnee gespickt und von allen Seiten von der unberührtesten Landschaft umgeben war, die sie je gesehen hatte.
Als sie am Rande des Kreisverkehrs stand, direkt unterhalb des Bordsteins des größten Gebäudeteils, nahm sie die Reihe blauer Glasfenster und malerischer Gebäude in Augenschein, die die Straße säumten und zum Bergpass hinaufführten, wo die schneebedeckten Berge und grünen Zweige die Hütten, Hotelflügel und Nebengebäude umgaben. Es gab sogar eine Kapelle aus Stein und einen isolierten Wasserturm, der stolz den Namen des Resorts trug.
Ihr Vater hätte es den Himmel auf Erden genannt. Allein der Anblick war faszinierend – die perfekte Mischung aus menschlicher Anstrengung und natürlicher Kunst.
Adele blickte auf ihren Koffer hinunter, ordnete ihre Gedanken und versuchte, sich darauf zu konzentrieren, warum sie hier war.
„Hallo!“, rief eine Stimme aus dem Inneren des Hotels vor ihr. Das Gebäude schien mehr aus Glas als aus Wänden zu bestehen, als hätten die Architekten keine Gelegenheit auslassen wollen, die Schönheit der Alpen zu präsentieren.
Adele drehte sich zu den Schiebetüren hin, die sich geöffnet hatten, und eine junge Frau – nicht älter als 21 Jahre – stand Adele fröhlich zuwinkend in der Tür.
Adele lächelte und erkannte die Frau. Ihr Haar war viel kürzer als beim letzten Mal, als sie sich getroffen hatten – fast rasiert, um genau zu sein. Alles an der jungen Frau deutete auf Disziplin und Ordnung hin. Sie trug einen schwarzen Anzug und Stiefel, die von der schieren Menge Politur zu glänzen schienen. Ihre Augen waren hell und eifrig und sie winkte Adele zu, hielt die Geste dann aber nach der Hälfte der Bewegung an und nickte zur Begrüßung, als ob sie befürchtete, ihr Eifer könnte als unprofessionell empfunden werden.
„Hallo“, sagte die Frau erneut, als sich Adele näherte, auf den Bürgersteig trat und ihren Koffer in der einen Hand hielt, während sie in der anderen Hand ihre Laptoptasche trug.
„Ich bin Agent Beatrice Marshall“, sagte sie mit einer leichten Bewegung ihres rasierten Kopfes. Sie sprach fast perfektes Englisch, mit nur dem geringsten Anflug eines Akzents.
Adele nickte zurück. „Ich weiß“, antwortete sie, auch auf Englisch. „Wir haben schon einmal zusammengearbeitet.”
Agent Marshalls Lächeln kehrte daraufhin zurück. „Ich erinnere mich! Ich war mir nur nicht sicher, ob Sie sich erinnern würden, Agent Sharp. Es ist mir ein Vergnügen, wieder mit Ihnen zu arbeiten.”
„Ich freue mich auch. Also…“ Adeles Tonfall wurde düster und sie hielt in der Glastür des beeindruckenden Hotels inne. Das Atrium war eine Kombination aus lackierten Holzbalken und Naturstein. Ein kleiner Wasserfall strömte mit sanftem Plätschern in einen Teich am Tresen. Ein Mann in goldener und kastanienbrauner Uniform nickte