Sascha, der örtliche Fremdenführer, deutete in die Ferne. Der Teamleiter hielt beim Geräusch eines sich nähernden Summens inne. Er drehte sich um, der eisige Wind ließ sein entblößtes Gesicht fast erstarren, als er den orangefarbenen Hubschrauber durch den blauen Himmel schwirren sah. Ein widerhallendes Summen aus den Hubschrauberblättern erklang in einer Endlosschleife vor dem Hintergrund schneebedeckter Berge.
„Kapitän“, sagte Jérôme, das jüngste Teammitglied. Er rümpfte ein wenig die Nase, näherte sich dem Teamleiter mit schnellen Schritten, und wühlte dabei eine Menge Schnee auf.
„Hmm?“, fragte Luka Porter der Befehlsgeber der Einheit.
Jérôme kam näher und schrie fast, um den Lärm des Hubschraubers zu übertönen. „Keine Skispuren mehr. Scheiße! Ich denke, wir sollten umkehren.”
Luka betrachtete den jungen Mann und atmete lang aus, wobei sein warmer Atem eine Dampfspur an seinen Wangen vorbei nach oben in Richtung des Abendhimmels strömte. Er antwortete auch auf Deutsch. „Nein. Wir gehen nicht zurück, wissen Sie, was dann passiert?“, fragte er leise.
Jérôme zögerte. „Es – es wird dunkel. Ich dachte nur, dass es Vorschrift wäre, vor Einbruch der Nacht zurückzukehren.”
Luka kratzte sich an den Stoppeln an seinem Kinn. Er war an diesem Morgen früh geweckt worden und hatte nicht die Möglichkeit gehabt, sich noch zu rasieren. Diese Vermissten waren wichtige Leute. Dies war nochmal durch die BKA-Agenten verdeutlicht worden, die persönlich bei ihm zu Hause aufgetaucht waren, um ihn in das Büro neben der Ferienanlage zu schleppen.
„Eine Stunde“, sagte Luka. „Dann gehen wir zurück. Aber eine Stunde suchen wir noch.”
Jérôme sah enttäuscht aus, aber er verbarg es gut genug. Beide stapften durch den Schnee entlang des Weges und folgten Sascha, während er sie auf der Flugbahn der letzten bekannten Richtung, der das italienische Paar gefolgt war, führte.
„Ich hörte… Ich hörte, dass sie wohlhabend waren“, sagte Jérôme und keuchte inzwischen nach jedem Wort. Etwas von seiner eifrigen Energie begann zu verblassen, je tiefer der Schnee wurde.
Luka grunzte wieder, erwiderte jedoch nichts und sparte seine Kräfte. „Vierundzwanzig Stunden vermisst. Bei diesem Wetter, im November, ob wohlhabend oder nicht, werden sie trotzdem frieren.”
„Oder schlimmer“, murmelte Jérôme.
Lukas runzelte die Stirn, antwortete aber nicht und tat damit beiden den Gefallen, ihren Atem zu schonen.
In diesem Moment hielt Sascha eine Hand hoch. Das leichte Rieseln des Schnees hatte in den letzten Stunden einige Male aufgehört und dann wieder begonnen, wodurch weitere Skispuren verdeckt wurden, die sie möglicherweise gefunden hätten. Doch Sascha bewegte sich schnell und zog Lukas und Jérômes Aufmerksamkeit auf sich.
„Was ist das?“, rief Luka.
Sascha zeigte in den Himmel und die beiden Männer folgten der angedeuteten Geste.
Ein einziger blauer Lichtstrahl erstreckte sich schwach am Abendhorizont, der vom Hubschrauber ausging, aber raschelte und um einen kleinen Baumhain ganz oben in der Nähe des Hangs kreiste.
„Sie haben etwas gefunden!“, rief Sascha.
Luka nickte und nahm das Tempo wieder auf, er fühlte jetzt das Stechen der Kälte und das Frieren seines Atems an seinen Wangen. Er senkte den Kopf und folgte den Schritten Saschas, die auf den Hain zuliefen. Das italienische Paar war vor mehr als vierundzwanzig Stunden vom Skigebiet aus zum Skifahren aufgebrochen. Dennoch bestand eine Chance, dass sie überlebt hatten. Richtig gekleidet, vielleicht mit einem Schutzanzug, würde es ihnen schlecht gehen, aber der Tod war nicht sicher. Viele der Menschen, nach denen ihre Bergwachteinheit geschickt wurde, wurden schließlich geborgen. Viele, aber nicht alle.
Sie näherten sich dem Baumhain und folgten Sascha, der die Skier über die Schulter geschnallt hatte. Der Schnee hier war zu frisch, zu leicht, um optimal Skifahren zu können. Luka runzelte die Stirn – warum also zeigte der Hubschrauber auf diesen Hain?
Eine Streuung von Nadelbäumen aus Lärchen und Fichten umkreiste den angedeuteten blauen Lichtstrahl, der sich nur zu verstärken schien, je mehr sich der Abend verdunkelte.
„Licht!“, rief Luka.
Die anderen Mitglieder des Such- und Rettungsteams schalteten ihre Kopflampen ein und Luka zog seine gut eingesetzte Hunderttausend-Lumen-Aluminium-Sicherheitsleuchte heraus. Er klickte auf den Schalter und richtete die große Taschenlampe auf die Bäume. Luka blinzelte ein wenig auf das helle blendende Licht, als würde er in die Scheinwerfer eines Polizeifahrzeugs schauen. Er gab den anderen ein Zeichen, sich zu nähern.
Für Sicherheit war gesorgt. Jérôme, ihr freiwilliger Helfer bei der Strafverfolgung, zog seine Seitenwaffe. In den Alpen konnte man nie vorsichtig genug sein. Alle möglichen Kreaturen lauerten in diesen Bergen.
„Ich sehe etwas“, rief Sascha, als er sich auf die Bäume zu bewegte. Schnee knirschte unter den Füßen, was darauf hindeutete, dass der Neuschneefall größtenteils von den Bäumen abgefangen worden war und nur Rückstände und alles, was sich von den Ästen gelöst hatte, zurückblieb.
„Vorsicht!“, rief Jérôme, der seine Waffe in der mit Handschuhen geschützten Hand hielt.
Sascha nickte, winkte aber zur Vorsicht ab und ging auf den angezeigten Teil des Waldes zu. Es ging steil nach oben.
Luka konnte es jetzt auch sehen. Es war kaum zu übersehen. Dunkle Schatten zeichneten sich im Schnee ab. Dunkle Flecken.
Jérôme senkte langsam seine Waffe, als sie sich durch die Nadelbäume näherten. Dann fluchte der junge Freiwillige und seine Arme wurden schlaff. „Oh mein Gott“, sagte er und murmelte ein kurzes Gebet, bevor er sich bekreuzigte.
Luka ging an Jérôme vorbei und kam auf gleicher Höhe mit Sascha, unter einer riesigen Tanne. Er streifte mit einer Hand einen ausgestreckten Ast beiseite und starrte in den verschneiten Hain, die Augen auf die Szene gerichtet.
„Die Touristen?“, fragte Sascha mit leiser, zitternder Stimme.
„Melden Sie es“, sagte Luka scharf. „Sofort.“
Er hörte Sascha an seiner Seite am SAT-Telefon herumfummeln, gefolgt von dem schnellen Piepton der Tasten als Antwort. Er hörte, wie der Hubschrauber immer noch über ihm schwirrte, wie ein Geier über einem Kadaver. Jérôme versuchte, näher heranzukommen, aber Luka streckte einen Arm aus und den jungen Mann nach hinten. „Tu‘s nicht“, sagte er schnell. „Zerstöre es nicht.”
„Was – was glauben Sie, was das getan hat?“, murmelte Jérôme, er konnte seinen Blick nicht abwenden.
Luka richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Hain, so schwer es ihm auch fiel. Er hatte schon früher Opfer von Tierangriffen gesehen, aber nichts dergleichen. Bärenangriffe waren in der Region nicht üblich – oder zumindest seit langer Zeit nicht mehr. Vor kurzem jedoch, in den letzten Jahren, waren in den Alpen wieder vermehrt Braunbären gesichtet worden.
Nun lag der Beweis vor ihm.
Zwei Körper – zumindest das, was von ihnen übriggeblieben war. Blutig, gefroren, und wie impressionistische Kunst in der Gegend verstreut. Einige Tropfen hatten sogar die Bäume gesprenkelt. Stücke von menschlichem Fleisch schmückten ebenfalls den Boden. Ein ganzer Fuß steckte in einem jungen Schössling fest, der es durch mangelnde Sonneneinstrahlung verpasst hatte, weiter zu wachsen.
Blutige Furchen und Schnitte entstellten die Leichen. So viel Blut. Zu viel, was darauf hindeutet, dass die Opfer während des Großteils des Gemetzels noch am Leben gewesen waren.
Luka starrte einfach nur und streckte seinen Arm so aus, dass Jérôme nicht passieren konnte, während er Sascha zuhörte. „Ja… ja, ist der Agent noch da? Der mit dem BKA? Nein, Franz, keine Zeit jetzt. Wir… wir glauben, wir haben sie gefunden.“ Eine Pause. Eine statische