Man kann das Palaver auch mit sich selbst machen, das führt natürlich zu den allerbesten Bonmots im Dialog, so wie auch Schachspielen gegen sich selbst im Film gern als Stilmittel genutzt wird, um darzustellen, wie gewitzt der Mörder ist, ohne ihm für Zuschauer unverständliche Texte in den Mund legen zu müssen. Im Allgemeinen kommt es ja nicht darauf an, was man erzählt, sondern wie man es erzählt, denn wer wirklich etwas zu sagen hat, wählt ein anderes Medium und ein anderes Forum, das noch weniger unterhaltsam ist.
Hanno (1952)
Hanno (1972)
88Günter Neumann war in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts ein bekannter Kabarettist. Er schrieb irrsinnig witzige Texte. Mit meinen Eltern hockte ich vor dem Radio und lernte, wie Komik erzeugt wird. Mein Vater konnte das auch sehr gut, und Pali war ein Meister darin. Aber was ist von all dem übrig? Wir haben gelacht. Bis ans Ende meines Lebens werde ich mich an unser Lachen erinnern; die Anlässe habe ich vergessen. Das muss reichen, reicht aber nicht allen. Der unerschütterliche Glaube an posthumen Jubel hilft manchem Kultur-Erzeuger dabei, weiterzumachen. Von Tag zu Tag wird dieser Glaube allerdings unrealistischer, wenn man seine Augen auf die Wirklichkeit, also das Display, richtet: Wer mir heute nicht applaudiert, ist morgen tot. Und wenn nicht, zieht er sich morgen etwas Neues rein. Trotzdem ist immer wieder jeder Film schön, in dem Nachkommen in den Nebenrollen in der letzten Kammer in einer morschen Kiste irgendwas entdecken, und dann tritt als Rückblende erstmals der Hauptdarsteller auf, falls es sich dabei – wie meistens – um Meryl Streep handelt, ist er eine Frau. Nun wird die Vergangenheit aufgerollt und rührt zu Tränen. Vergangenheit ist eben erst zu Ende, wenn niemand mehr von ihr weiß.
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RÜCKZU
UMWEG #21
Silke und Rafał waren zurück. Sie hatten betrachtet, was von der glorreichen Herrschaft Venedigs übrig geblieben war und was in den Schaufenstern der Gegenwart auslag. Die Turmuhr schlug eins, ihre kürzeste Stundenmitteilung, die Tauben stritten um einen Fetzen Brot, und Silke holte ihr Portemonnaie aus der Handtasche.
Wir fuhren denselben Weg zurück, den wir gekommen waren. Schon bei kurzen Ausflügen mag ich das nicht. Bei langen Reisen wäre es ein dramaturgisch unverzeihlicher Fehler. In meiner Familie hieß das: ‚Auf hinzu‘ sind wir so gegangen, gefahren, geflogen, ‚auf rückzu‘ haben wir es so gemacht. Ein Trost war, dass wir nun schon wussten, welche beiden Restaurants uns am Wegesrand erwarteten.
Ich war sehr für das auf dem Hinweg zweite, also jetzt erste. Irrtümer zugeben, das kann ich. Bei näherer Betrachtung war Totalverzicht noch attraktiver als dieser Schuppen. Dafür machte beim Nichtvorbeifahren, sondern Anhalten das erste Lokal, also jetzt zweite, einen kompetenten Eindruck. Der wurde durch die Anzahl der Gäste bestätigt. Gern hätte ich, nachdem ich die vielen Stufen vom Parkplatz hinauf zur Gaststätte bewältigt hatte, am Rand der Terrasse mit Blick nach unten gesessen, da war aber alles besetzt. Wir gesellten uns also, leicht zögernd, an einen der langen Tische, an dem bereits drei slowenische Schurken saßen, die bei Wein und Langustini den nächsten Einbruch ausheckten. Ich wähnte bereits die Nationalgalerie von Ljubljana (österreichisch ‚Laibach‘) in Gefahr, aber als dann auch wir an sehr wohlschmeckenden Meerestieren knabberten, hatte ich durchschaut, dass es sich bei ihrer Unterhaltung um einen besonders abgefahrenen italienischen Dialekt – also nicht Verbrecher, sondern Touristen – handelte.
Ein stimmungsvolles Essen, das nicht nach Messer und Gabel, sondern nach Fingern in Tomatensud schmeckte. Der Schatten tat gut, das Haus, vor dem wir saßen, gab mit seinem in Säulen gefassten Portal eine gediegene Kulisse ab. Ein weltabgeschiedener Platz, mitten im Leben. Silke griff zur Börse. Wir 90hatten zwar Euros, aber nicht genügend Bildung, um zu wissen, dass der Euro sowieso die Währung in Slowenien ist. Schließlich zahlte ich doch mit Bankkarte, eine der wenigen Verrichtungen, die ich noch schaffe, auch wenn Silke sicherheitshalber immer einen kleinen Zettel dabei hat, auf dem meine Geheimzahlen stehen: Man weiß ja nie, wann und wo der Verstand endgültig aussetzt.
Beschwingt fuhren wir zurück nach Italien. Meine Beschwingtheit war auf den Wein zurückzuführen und musste im Hotelzimmer auskuriert werden. Silkes und Rafałs Beschwingtheit durfte sich beim Shoppen in der Triester Altstadt Bahn brechen.
Eine Weile lang legte ich mich aufs Bett. Wozu? Schlafen konnte ich nicht. Das Zimmer war in Ordnung. Die geschlossenen Gardinen machten ihm nichts aus. Mir schon. Ich öffnete die Flügeltür und setzte mich auf den Balkon. Er hatte wohl Anspruch auf die Bezeichnung ‚Terrasse‘. Die Geräusche von der nahen Fahrbahn waren gar nicht so schlimm. Die Sinne gewöhnen sich schnell, um die ihnen aufgedrängten Zumutungen zu ertragen, doch gleichzeitig fiebern sie nach Neuem. Ich habe mal geschrieben, ich sei der Welt unterdrüssig. So vieles wollte ich noch erleben! Nun sehe ich von meiner Terrasse auf den pulsierenden Verkehr, weder beteiligt noch abseits; andere tun für mich, wozu ich nicht mehr imstande bin. Ich merke: Ich bin scheinselbstständig.
Auf Hilfe angewiesen zu sein, fremde oder auch vertraute, das war einmal eine neue Erfahrung gewesen, inzwischen ist es eher ein gutes Argument, sich umzubringen. Es findet eine Vereinsamung statt, die in Gesellschaft eher zu- als abnimmt. Alles, was mir etwas bedeutet hat, kann ich nicht mehr. Ja, es wäre wohl besser, ich stürbe. Aber selbst das ist wohl zu altmodisch: ‚Ich würde sterben‘, heißt es. Will ich das? Ich möchte mich vor dem Wegsein drücken, vor allem, weil ich weiß, dass anschließend an den belanglosen Tod eines einzelnen Lebewesens für dieses weggelebte Stück Natur nichts mehr kommt – das weiß ich genauso sicher wie jeder Selbstmordattentäter weiß, dass Gott ihn toll findet.
Merkwürdig: Mein Kopf denkt immer noch, er sei jung, aber Schwanz und Arschloch widersprechen heftig und wischen ihm ganz unintellektuell ständig eins aus, so dass er inzwischen das Fürchten gelernt hat. Der Geist, der nie die Realität akzeptiert hat, verheddert sich in der Wirklichkeit. Am allerliebsten wäre ich nie geboren. Am liebsten 91wäre ich tot, glaube ich zu meinen. Am zweitliebsten wäre ich zufrieden mit meinem Schicksal. Ich komme mir so ausgeschlossen vor, so abgekapselt, und dann denke ich: „Diese Weltverlorenheit! Verdient habe ich sie, als Buße.“ Dieser Gedanke ist besonders blöd, weil er einen strafenden Gott voraussetzt, an den ich nicht glaube. Baden in Welt! Nun bin ich also wieder unterwegs. Es ist mein letzter Versuch festzustellen, ob ich es noch will zu wollen.
DUINO
UMWEG #22
Dreimal war ich von meinem weiß lackierten Terrassenstuhl aufgestanden, weil ich ein Klopfen vom Zimmer her gehört zu haben glaubte. Jetzt stand Rafał wirklich im Flur. Er und Silke hatten nicht nur Kaufenswertes entdeckt, sondern sogar den Eingang vom ‚Duca D’Aosta‘. Eher unscheinbar. Kein Monument glorreicher Zeiten. Dann konnten wir ja getrost weitere Ziele abarbeiten. Silke war schon umgezogen, als wir aus der Fahrstuhltür traten. Keine Experimente: Man kann nie wissen, ob das Leben nicht doch plötzlich elegant wird …
Wir fuhren in der Abendsonne, eigentlich fuhren wir in die Abendsonne, was besonders für Rafał am Steuer weniger Marlboro-Romantik als Aufklappen der Sichtblende bedeutete. Zunächst mal steuerten wir, weil wir ja sowieso am Wasser waren, das Schloss ‚Miramare‘ an. Meine Erinnerung hatte mich nicht getrogen: Es lag leicht erhaben am Wasser und ließ Besucher nur bis zu einer Barriere an sich heran, für alles Weitere forderte es die Füße oder den Rollstuhl. Wir blinzelten in das gleißende Rot und das weiße Gebäude davor