5 Strand Krimis: Killer, Kohle und Konsorten. Alfred Bekker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Bekker
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783745213874
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      "Nee!"

      "Und sonst, haben Sie..."

      "Bin ich 'nen Papagei, dass ich alles wiederholen muss?", schimpfte Wolf. Er fasste sich theatralisch an den Kopf und hustete dann noch einmal zum Steinerweichen. "Vielleicht befragen Sie Herrn Wolf besser morgen", meinte der Arzt.

      Mit dem ist was faul, dachte Moeller. Und eine andere Stimme in ihm konterte: Du siehst Gespenster! Was heute Abend passiert ist, war einfach zu viel für den armen Kerl!

      Ein uniformierter Kollege kam herbei.

      Er führte eine ziemlich abgerissen wirkende Gestalt neben sich her. Die Wollmütze hatte ein Loch und war entschieden zu warm für die Jahreszeit. Der graue Bart war so verfilzt, dass sich darin schon ganz von allein Rastalocken zu bilden begannen. Die Nase war knallrot, der Geruch nach Bier und Erbrochenem einfach nicht zu ignorieren.

      "Dieser Herr hier hat eine Beobachtung gemacht", sagte der Uniformierte.

      Der Herr rülpste erst einmal.

      Dann sagte er: "Ich habe sie genau gesehen... Ganz genau! Und würde sie auch wiedererkennen!"

      "Wen?", fragte Moeller.

      "Die drei jungen Männer!"

      "Wie sahen die denn aus?"

      "Die trugen Ledersachen und alberten hier herum."

      "Wo genau?"

      "An den Müllcontainern. Sie haben mit Feuerzeugen herumgespielt, Kartons aus dem Papiercontainer herausgefischt und dann angezündet. Ich habe mich verzogen. Bis zur Brücke bin ich gegangen und habe mir ein besseres Plätzchen gesucht. Tja, und dann hat's wenig später gebrannt..."

      "Der sieht doch alles doppelt", raunte Simitsch Moeller leise zu. Aber nicht leise genug. Der Zeuge hatte es mitgekriegt.

      "Sie nehmen mich nicht ernst, woll? Nur, weil ich nicht so ein feiner Pinkel bin!" Die Farbe seiner Nase ging jetzt auf den Rest seines Gesichts über. Aber bevor er richtig ärgerlich werden konnte griff Moeller ein. Diplomatie ist mein Geschäft!, dachte er dabei. Manchmal jedenfalls. Klaus Simitschs Stärke war das jedenfalls nicht.

      "Was halten Sie davon, wenn Sie mit uns aufs Präsidium kommen, um ein Protokoll und ein Phantombild zu machen?"

      Der Mann sah auf.

      Sein Gesicht nahm wieder seine Normalfarbe an.

      "Wenn ich ein Frühstück dafür kriege."

      "Kriegen Sie!"

      "Aber das bezahlst du, Moeller!", knurrte Simitsch.

      5

      Der Obdachlose, der sich als Zeuge gemeldet hatte, lieferte drei einigermaßen überzeugende Beschreibungen von Jugendlichen. Die Phantombilder waren brauchbar und einer der Abgebildeten davon war sogar so etwas wie ein guter Bekannter. Er hatte mehrere Verfahren wegen Körperverletzung hinter sich und hieß Ferdinand Sarow, geboren in Alma Ata, Kasachstan. Als Sohn deutschstämmiger Aussiedler war er im Alter von zwölf Jahren nach Deutschland gekommen. Jetzt war er 19.

      Noch zwei Jahre, dachte Moeller, als er Sarows Gesicht auf dem Computerschirm auftauchen sah. Noch zwei Jahre, dann war es endgültig vorbei für ihn mit der milden Behandlung nach dem Jugendstrafrecht.

      "Sie halten doch Ihr Wort, woll?", sagte der Obdachlose in Moellers Gedanken hinein.

      "Häh?", gähnte Moeller.

      "Na, von wegen Frühstück und so!"

      Inzwischen hatte es draußen zu regnen begonnen. Die Tropfen klatschten gegen die Fensterscheiben des Büros. Klar, dass er nicht raus will, dachte Moeller. Nicht bei dem Mistwetter.

      "Sie haben sich Ihre Gratisnacht in unserem Hotel redlich verdient", meinte Moeller dann.

      Simitsch verzog nur das Gesicht.

      "Weißt du eigentlich, dass du da gerade kostbare Steuermittel verschleuderst, Moeller?", knurrte er zwischen den Zähnen hindurch und schob sich seine Krawattennadel zurecht. Irgendwie hatte das Ding die Eigenschaft, dauernd schief zu sitzen.

      Der Obdachlose verbrachte die Nacht also in einer Ausnüchterungszelle des Präsidiums.

      Als Moeller am nächsten Morgen wieder zu seiner Dienststelle fuhr, besorgte er unterwegs Brötchen.

      Lüdenscheid wird oft auch Regenscheid genannt, weil es hier angeblich öfter regnet als anderswo. Aber heute machte die Stadt ihrem schlechten Ruf keinerlei Ehre. Die Sonne schien. Moeller lenkte seinen rostigen Omega quer durch die Stadt. Es ging immer wieder auf und ab, den Hügel hinauf und wieder hinunter. Bei gutem Wetter stellte Moeller sich manchmal vor, er befände sich in den Straßen von San Francisco. Nur, dass die Straßen von Lüdenscheid ein bisschen schmaler waren und statt der Golden Gate Bridge gab es nur die Talbrücken mit der A45, der berüchtigten Todesbahn, die dieser Gegend auch internationales Renommee brachte. In den USA wurden Videobänder unter dem Titel ACCIDENTS ON GERMAN AUTOBAHN vertrieben. Und die A45 war natürlich immer dabei.

      Vor unvorstellbar langer Zeit soll ein längst vergessener Herrscher den Auftrag zum Bau einer Siedlung in dieser Gegend gegeben haben. Und die ersten Siedler wanderten nun von Anhöhe zu Anhöhe, konnten sich aber nicht entscheiden, auf welcher die Siedlung errichtet werden sollte. "Lüd, entscheid! - Leute, entscheidet euch!", hätten daraufhin die Gesandten der Herrschaft gerufen, woraus schließlich die Ortsbezeichnung 'Lüdenscheid' entstand. Dass man dieser Aufforderung bis heute nicht nachgekommen war, konnte jeder sehen, der auf der A45 an der Stadt vorbeifuhr. Alle Anhöhen waren besiedelt.

      Als Moeller im Präsidium ankam, war Klaus Simitsch natürlich schon längst da.

      "Es gibt Frühstück", sagte Moeller, als er eintrat. "Am besten du holst unseren Gast mal aus seiner Suite, Klaus!"

      "Bin ich der Butler?"

      "Trage ich einen Anzug?"

      "Moeller, ich hoffe, du wirst irgendwann mal versetzt und ich bekomme einen richtigen Kollegen auf das Büro - keinen Herbergsvater für obdachlose Zeugen!"

      6

      Eine Stunde später fuhren Moeller und Simitsch zum Hebberg.

      Dort befand sich die Adresse von Ferdinand Sarows Eltern.

      Sarow war dort nach wie vor gemeldet.

      Simitsch weigerte sich regelmäßig, in Moellers rostigen Omega zu steigen. Darum fuhren sie mit dem gut gepflegten Volvo, den Simitsch sein Eigen nannte.

      Simitsch fuhr betont vorschriftsmäßig, deshalb dauerte die Fahrt vom Präsidium zum Hebberg etwas länger, als Moeller es für notwendig hielt.

      Aber heute war Moeller zu müde, um darüber zu meckern.

      Er registrierte beiläufig das Hauptpostamt und das Rathaus auf der Linken. Dort begann die Fußgängerzone und der Verkehr kroch, weil viel zu viele insgeheim hofften, doch noch irgendwo einen der wenigen Parkplätze am Straßenrand zu finden und nicht eines der Parkgelegenheiten um den Sternplatz herum aufsuchen zu müssen. In einem scharfen Knick führte die Straße vor der Fußgängerzone wieder Richtung Norden und wechselte zweimal den Namen. Erst hieß sie Humboldt-, dann Gas- und dann Werdohler Straße. Noch viel später würde sie sich dann Werdohler Landstraße nennen.

      Moeller gähnte, als sie links am Arbeitsamt vorbeikamen und zum zweitenmal beim Forstamt. Dazwischen ging eine Straße ab, die passenderweise Dukatenweg hieß, weil hier das Finanzamt angesiedelt war. Moeller erinnerte sich mit Grausen daran, dass er im letzten Jahr des öfteren dort vorstellig geworden war, weil die Finanzdirektion es einfach nicht anerkennen wollte, dass die Kosten für ein Saxophon für Moeller Werbungskosten waren. "Schließlich stelle ich damit doch meine geistige Gesundheit wieder her, die mir im Job zeitweilig verloren geht", hatte er argumentiert. "Und damit betreibe ich gewissermaßen eine berufliche