Tausendfache Vergeltung. Frank Ebert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Ebert
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957163127
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Herrscher über ein einflussreiches Medienimperium, saß in dem pompösen Ledersessel hinter seinem wuchtigen Mahagonischreibtisch. Er dachte nun schon geraume Zeit darüber nach, ob er das Seouler Redaktionsbüro heute anrufen sollte oder ob er mit dem Anruf etwa voreilig war. Schließlich gelangte er zu dem Ergebnis, dass es besser war, den Anruf nicht aufzuschieben. Jeder weitere Tag konnte ein verlorener Tag sein.

      „Hier David“, sagte er ruhig.

      Die Verbindung war klar und deutlich.

      „Ah, David – hallo“, gab Al zurück.

      „Al, weshalb ich anrufe …“

      „Ja?“

      „Ich dachte, heute sind Ihre hundert Tage vorbei, ich meine, seitdem Sie das Seouler Büro übernommen haben. Sie wissen, was das bedeutet?“

      „Hundert Tage? Ich bin zwar nicht der amerikanische Präsident, aber mir ist natürlich klar, dass die Schonzeit irgendwann zu Ende ist.“

      „Scherz beiseite, Al!“, mahnte Goldmann, der nicht besonders gut aufgelegt zu sein schien.

      „Machen wir’s kurz. Es gibt ein paar Dinge, über die wir noch nicht sprechen konnten, die Sie sich aber unbedingt hinter die Ohren schreiben sollten“, fuhr er fort.

      Er redete in einer festen Bestimmtheit, die Al von ihm nicht gewohnt war. Seine Tonlage kam ihm fast befremdlich vor.

      Al wusste, dass er jetzt genau zuhören musste. Trotzdem entgegnete er: „Habe ich etwas falsch gemacht?“

      „Quatsch, das meine ich nicht. Also, passen Sie auf!“

      Der alte Herr mit dem runden, weißhaarigen, lockenumkränzten Kopf, dem kurz geschnittenen, schneeweißen Schnauzer und der goldumrandeten Nickelbrille setzte sich zurecht. Jedes Mal, wenn er sich zurechtsetzte, erinnerte er Al an den griechischen Göttervater Zeus.

      „Wie schätzen Sie die Lage in Korea ein?“

      Die Frage überraschte Al. Goldmann kannte die Lage auf der ganzen Welt besser als jeder einzelne Mitarbeiter der LAN.

      Was führte er im Schild? Al beschloss, vorsichtig und verhalten zu antworten.

      „Scheint sich nicht viel verändert zu haben in den letzten zwölf Jahren“, wich Al aus, um sich sogleich zu korrigieren:

      „Ach, was sage ich – seit dem Waffenstillstand vor dreiundvierzig Jahren. Wenn ich vergleiche, was der heutige Präsident Kim Young-sam damals im Wahlkampf alles versprochen hat – nicht viel davon übrig geblieben …“

      David ging auf Al’s Antwort ein:

      „Immerhin ist er der erste wirklich zivile Präsident nach all den Generälen – was dem Land international gut ansteht.

      Er hat die Macht der Militärs zurückgedrängt …“, dozierte Goldmann.

      „ …hat dafür jetzt innenpolitische Probleme und die Nordkoreaner haben Oberwasser“, unterbrach Al. „Klar, dass die Opposition ihn so schnell wie möglich wieder loshaben möchte.“

      „Nicht nur die Oppositionellen fürchten um ihre Sicherheit.“

      „Dass das ganze Land in ständiger Angst vor einem Überfall aus dem Norden lebt, ist deutlich zu spüren, überall …“

      „Diese Angst ist nicht ganz unbegründet“, gab David zu bedenken. „Der Norden will die Wiedervereinigung. Vietnam ist wiedervereinigt, Deutschland auch, sogar bei den Jemeniten hat es geklappt.“

      „Aber um welchen Preis? Solange die im Norden ihre Juche-Ideologie nicht aufgeben und den Süden mit ihrem verfluchten Kommunismus überziehen wollen … Ideologie statt Reis.

      Von Phrasen wird keiner satt. Und der satte Süden, die volle Speisekammer vor der Haustür.“

      „Keiner weiß, wie die Kommunisten reagieren, wenn sie ihr Volk nicht mehr satt bekommen. Bedenken Sie, dass der wahre Regent Nordkoreas Hunger heißt. Ein verdammt schlechter Küchenmeister und ein noch schlechterer Politiker! Ich sehe da mehrere Möglichkeiten – rein theoretisch, versteht sich: Entweder die proletarischen Massen des Nordens stürzen ihre Regierung – was bei dem Personenkult, den sie betreiben, eher unwahrscheinlich ist – oder …“

      „ …oder sie treten die Tür zur Speisekammer ein“, ergänzte Al. „Beides hätte der Süden auszubaden, weil er die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen auf Jahre hinaus tragen müsste. Das kann sich der Tiger Südkorea einfach nicht leisten, er wäre erledigt.“

      „Und deswegen schickt der Süden Reis in den Norden?“

      „Klar. Hungerhilfe kommt den Süden billiger zu stehen.

      Lieber armen Kindern auf der Straße ein paar Schalen Reis auf die Hand als sie in das eigene Haus einziehen lassen.“

      Al rätselte immer noch, worauf der Alte hinauswollte.

      „Nun gut. Lassen wir das. Stellen Sie zunächst Kontakte zu wichtigen Leuten her, Leute, die Ihnen etwas nützen – das heißt uns …“

      „David, ich habe …“, warf Al ein.

      „Lassen Sie mich ausreden“, fuhr der Alte dazwischen. „Ihrem Vorgänger Bill ist es nicht gelungen, an wichtige Informationen heranzukommen, verstehen Sie? Ich will von Ihnen nicht auch so ein abgedroschenes Stroh bekommen.“

      „Hm.“

      Al musste an die chaotischen Zustände denken, die er im Redaktionsbüro vorgefunden hatte. Er wollte nicht unkollegial gegenüber Bill sein. Auch war es nicht seine Art, auf jemand anderes Kosten gut vor seinem Chef dazustehen.

      „Was wir hier brauchen, sind nicht nur gute Informationen. Ihre Informationen müssen wertvoll sein. Wertvoll heißt: Exklusivität, nicht der zensierte Schwachsinn, den dieser Presseattaché Woods von sich gibt. Die offizielle Haltung der amerikanischen Regierung bekomme ich aus Washington – und zwar aus erster Hand.“

      Der Alte räusperte sich. Al nutzte die Pause.

      „Ich bin dran!“, versicherte er knapp.

      Unbeirrt fuhr David fort: „Es nützt auch nichts, wenn Sie das Zeug zusammenschreiben, das Yonhap fabriziert. Die Haltung der südkoreanischen Regierung ist zwar wichtig, aber nicht maßgeblich.“

      Was wollte er damit sagen? Was mochte entscheidend sein?

      Al runzelte die Stirn. Er zog es vor, nichts zu entgegnen.

      „Ich will Informationen, die nur wir bringen können, keine andere Zeitung!“

      Al hörte, wie der Alte in seinem Büro auf die Tischplatte schlug. Dennoch rang Al sich durch, ihn zu fragen.

      „Wie stellen Sie sich das vor?“

      David lachte rau.

      „Bauen Sie Informationsstränge auf. Machen Sie ein Informationsnetz aus ihnen. Klären Sie Informationen, die Sie aus einer Hand bekommen, mit Informationen aus anderen Quellen ab. Arbeiten Sie wie … ja, wie ein Geheimdienst. Geld spielt dabei die geringste Rolle!“

      Das konnte nicht sein Ernst sein! Al war bei ihm in die Schule des Journalismus gegangen, hatte unter seiner Anleitung gelernt, mit dem Metier umzugehen. Auch ungewöhnliche Methoden hatte ihm David beigebracht. Und jetzt so ein Ansinnen? Wenn Al alles lag, aber das Zeug zum Agenten traute er sich nicht zu. Er konnte doch unmöglich seriöse Berichterstattung in Geheimdienstmanier betreiben!

      Dem Alten war Al’s Seufzer nicht entgangen. Er drang weiter in Al:

      „Bringen Sie Neuigkeiten. Am besten sind handfeste Skandale. Wen interessiert es, wenn Kim Young-sam einen Schnupfen hat? Aber wenn der Sohn des Präsidenten im Verdacht der Korruption steht, erwarte ich, dass Sie die Hintergründe aufklären, wie es sich für einen Investigativjournalisten gehört. Verstanden?“

      Al’s Gedanken jagten sich. Geld spielt keine Rolle, hatte er gesagt.

      „Korea