28 <https://arxiv.org/abs/2003.03318> ↵
29 <https://arxiv.org/abs/1908.08313> ↵
30 <http://www.their.tube/leftist> ↵
31 <https://foundation.mozilla.org/en/blog/examining-ais-effect-on-media-and-truth/> ↵
32 <https://www.nytimes.com/2019/03/29/technology/youtube-online-extremism.html> ↵
33 <https://youtube.googleblog.com/2019/01/continuing-our-work-to-improve.html> ↵
34 <https://blog.youtube/inside-youtube/the-four-rs-of-responsibility-raise-and-reduce> ↵
35 <https://www.getrevue.co/profile/caseynewton/issues/an-ex-youtube-engineer-has-a-warning-for-democracy-95073> ↵
36 <https://www.bloomberg.com/news/features/2019-04-02/youtube-executives-ignored-warnings-letting-toxic-videos-run-rampant> ↵
37 <https://www.spiegel.de/netzwelt/web/corona-verschwoerungstheorien-und-die-akteure-dahinter-bill-gates-impfzwang-und-co-a-2e9a0e78-4375-4dbd-815f-54571750d32d> ↵
Warum Island keine eigene Verfassung hat. Eine nordische Saga
Nach der Finanzkrise wagten die Isländer eine weltweite Premiere: Sie schrieben ihre Verfassung neu – im Internet. Das Projekt scheiterte. Weil das alte Establishment zurückschlug.
Erschienen als optische Version mit Fotografien[1] in der Republik, 05. September 2018
Einzigartiges Inselvolk: Nach der Finanzkrise starteten die Isländer ein nie gesehenes Crowdsourcing-Experiment in Sachen Demokratie.Wenn die Isländerinnen die Geschichte ihrer gescheiterten Demokratie-Revolution erzählen, reden sie gern in Bildern. Sie erzählen von mäandrierenden Öltankern oder brennenden Schlössern. Von Helden und Bösewichten.
Die Guten, die Bösen, das sind dann gern Figuren aus berühmten Isländersagas. Wie beispielsweise Grettir Ásmundarsonar[2], einer der stärksten isländischen Wikinger. Nach seinem Sieg über Glámur, den bösen Untoten, wird er verflucht und am Schluss von seinen eigenen Anhängern verbannt.
In unserer Demokratie-Saga wirken Grettir und Glámur ebenfalls mit.
Der tragische Held Grettir: die Sozialdemokratische «Allianz».
Der nicht totzukriegende Glámur: die konservative Unabhängigkeitspartei.
Unsere Geschichte spielt in den Jahren 2009 bis 2013 – und das letzte Kapitel ist noch nicht geschrieben.
Wieder eine bankrotte Vulkaninsel
Die Isländer akzeptieren nur eine Form von höherer Macht: die Natur. Die Erde lebt hier jede Minute. Auslaufende Gletscher, die den Strassenverkehr aufhalten. Eruptierende Vulkane, die den Flugverkehr stilllegen.
Deswegen planen die Einwohnerinnen Islands nur ungern weit im Voraus. Sie haben sich mit ihrer Insel arrangiert. Die Route ist schon wieder überschwemmt? Ein Gletscherstrom, wo vorher Strasse war? Der morgige Ausflug fällt ins Wasser? Trinkt man halt noch ein Bier im Pub.
Es gibt nur eine Katastrophenart, die die Isländer wirklich aus der Fassung bringt – die menschengemachte. Eine wie im Herbst 2008: Über Nacht gehen drei isländische Banken pleite. Die Börse bricht um 90 Prozent[3] ein. Noch im August 2008 war Island eines der reichsten Länder der Welt, mit den meisten Auslandsinvestitionen und einem grosszügigen Wohlfahrtsstaat. Am 1. Oktober 2008 ist es nur noch eine bankrotte Vulkaninsel. Wie zu Beginn der 1960er-Jahre, nur mit noch mehr Schulden. Kein anderes Land wird so hart getroffen von der Finanzkrise.
Den Dänemark-Klon loswerden
Die Unabhängigkeitspartei dominierte jahrzehntelang die Politik. Ihr Credo: «Wachstum, Wachstum, Reichtum». Unterstützt von den Banken, die billige Kredite streuen wie Geysire.
Doch nach der Bankenpleite sackt die isländische Krone ins Bodenlose. Und die Schulden in Fremdwährungen schnellen in die Höhe. Für das Einfamilienhaus wird plötzlich die Hypothek im Wert eines Palastes fällig.
Der Zorn der Isländerinnen ist gross.
Ein Bösewicht, ein Glámur, muss her. Und ein Held, der ihn erschlägt.
Der isländische Premierminister Geir Haarde dankt ab, Island wählt. Es ist eine turbulente Zeit, in der Tomaten geworfen, auf Kochtöpfen getrommelt und auf Transparenten Guillotinen für Banker gefordert werden. Jeden Monat versammelt sich halb Island vor dem Rathaus in Reykjavik. Und das in den düsteren Wintermonaten. Die «Kitchenware»[4] ist klar: Ein weiterer Crash lässt sich nur verhindern, wenn man das Problem an der Wurzel packt. Indem man die Macht der Banken bricht. Und zwar mit einer neuen Verfassung.
Denn nicht nur fehlt der jetzigen Verfassung ein angemessenes System von «Checks and Balances». Sie ist im Grunde auch nur geliehen.
Es handelt sich um eine Kopie der dänischen Verfassung. Eine Notlösung. Denn während die Kontinentaleuropäer einander im Zweiten Weltkrieg niedermetzelten, nutzte Island die Gelegenheit, sich endgültig von Dänemark loszueisen. Am 17. Juni 1944 wurde die Republik ausgerufen. Die Vulkaninsel mit den damals knapp 140’000 Einwohnerinnen[5] war endlich unabhängig. Doch für einen echten, langwierigen Verfassungsprozess blieb keine Zeit.
Das Baby der neuen Regierung
Obwohl im «Dänemark-Klon» nicht explizit erwähnt, herrscht über allen Grundrechten noch der Geist eines dänischen Königs. Darum soll das Land nun, im Nachgang der Finanzkrise, endlich auch eine eigene Verfassung erhalten. Geschrieben von allen Bürgerinnen und Bürgern des Landes, von Isländerinnen für Isländer. «Wir waren überzeugt: Mit isländischen Werten werde diese Gier getilgt», sagt Robert Bjarnason, Mitgründer der heutigen Citizens Foundation und erfolgreicher Politikunternehmer.
«Wir wollten unsere Würde zurückhaben», sagt Smári McCarthy, ein isländischer Abgeordneter der Piratenpartei. McCarthy ist ein konsequenter Mann. Will man mit ihm über damals sprechen, über den Zusammenbruch und die Zeit, als plötzlich alles möglich schien, dann wählt er den Treffpunkt sehr bewusst. Die «Te & Kaffi»-Filiale am Laugavegur. Das sei die «isländische Antwort auf den Raubtierkapitalismus von Starbucks». Die amerikanische Kaffeekette hat es bis heute nicht geschafft, Fuss zu fassen auf der widerborstigen Vulkaninsel.
Live-Chats zur Verfassung
Das Verfassungsprojekt startet erfolgreich. Zuerst sind sich alle Parteien über das