In Zeiten der Technologie-Monopole und einem enormen Machtzuwachs in Richtung globale Plattformen ist Transparenz wichtiger denn je. Wenn wir verstehen, wie Netzwerke und Apps unsere Meinungen prägen, unsere Spuren zu umfangreichen Profilen verknüpfen und weiterverkaufen, können wir als Konsumentinnen und Bürgern mündig wehren und mitbestimmen.
Und hier kommt die von Angwin immer wieder genannte «Accountability» zum Zug. Hinter Funktionen, Features und Updates stecken Entscheidungen und Handlungen von Akteuren. Angwin und ihr Team wollen diese Entscheidungen sichtbar und die Entscheidungsträger «accountable» – also verantwortlich – machen. Immer mehr neue Technologie-Journalismus-Projekte haben sich deshalb auch diesem Ziel verschrieben, so auch «Protocol», dem neuen Tech-Fachmagazin von Politico.
Die englische Sprache ist dabei präziser. Es kommt nicht von ungefähr, dass man im Englischen kaum vom Begriff Digitalisierung spricht, sondern eher von «digital transformation» oder viel gebräuchlicher und ganz sec: von «Tech». Der Terminus Digitalisierung suggeriert meiner Meinung nach Subjektlosigkeit und eine Homogenität eines abstrakten Vorgangs, der in der Realität so nicht existiert. Jeder versteht etwas anderes darunter: von Automatisierung, maschinellem Lernen, regelbasierten Algorithmen bis hin zu Robotern. Im englischsprachigen ist jedoch kaum von «Digitization» die Rede. Der Begriff «Tech» bezieht sich konkret auf Technologieunternehmen und impliziert auch eine Handlungskompetenz und damit verbunden auch Rechenschaftspflichtigkeit.
Technologie-Konzerne fällen Entscheidungen und erarbeiten Geschäftsmodelle. Der Begriff Tech zeigt also, dass viele Endprodukte eine Frage von Alternativen sind. Das Unvermögen der deutschen Sprache bei gewissen Begriffen zeigt sich in der deutschen Übersetzung von Privacy: Datenschutz. Dabei wäre es zeitgemässer, von Privacy zu sprechen, denn was als privat erachtet und wie man öffentlich repräsentiert wird, ist Gegenstand aktueller Debatten. Datenschutz widerspiegelt diese Auseinandersetzung nur unzulänglich.
Ich versuche meiner journalistischen Ausrichtung, aller sprachlichen Unschärfen zum Trotz, einen deutschen begrifflichen Deckmantel zu verpassen: demokratie-relevanter Tech-Journalismus. Den Begriff habe ich wohl selber kreiert. Wer diese Wortkonstellation in unterschiedlichen Suchmaschinen eintippt in deutscher Sprache, landet mit hoher Wahrscheinlichkeit auf meinem Twitter-Profil und meinen Blog. Mit demokratie-relevantem Tech-Journalismus meine ich die kritische Beobachtung und Analyse von Technologien mit politischen und gesellschaftlichen Implikationen.
Die hier publizierten Republik-Beiträge sollen die Breite dieses Themengebiets aufzeigen: Bildung, Abstimmungshacking, Regulierungen, Handelskrieg, Gesichtserkennung, Wahlbeeinflussung, Google-Schulen, der digitale Pass etc. Ich habe aus dem Fundus von Texten diejenigen ausgewählt, die bis heute nicht an Aktualität und Relevanz verloren haben. Denn obwohl sie in der Vergangenheit erschienen sind, dominieren sie noch heute die politische Agenda oder beschäftigen noch manche Führungslenker von Datenkonzernen. Einige meiner Recherchen sind Konflikte, die bis heute noch andauern. Oder sie lösten Fragen aus, die bis heute unbeantwortet bleiben. Aus diesem Grund habe ich zu einigen älteren Texten aus den letzten Jahren ein Recherche-Update hinzugefügt, mit neu präsentierten Fakten und Kurzanalysen von mir. Die Buchreihe «Das Netz ist politisch» ist eine Chronik der Tech-Welt. Die Bände sollen die Schnittstelle von Digitalisierung und Gesellschaft fortlaufend dokumentieren und einordnen.
Mit dieser Buchreihe möchte ich zu einem aufgeklärteren Diskurs über den Einsatz von Technologien beitragen. Der Technologie-Journalismus im deutschsprachigen Raum steht trotz der enorm hohen Bedeutung und Tragweite für Staat und Gesellschaft immer noch am Anfang. Eine Diskussion über Qualitätsstandards oder etwa Ausbildungswege tut not und würde auch zu einer Professionalisierung dieser jungen journalistischen Disziplin beitragen.
Nur so werden Tech-Journalistinnen befähigt Unternehmenskommunikation von Technologie-Konzernen kritisch zu hinterfragen und einzuordnen. Nur so können Bürger informierte Entscheidungen fällen und Forderungen gegenüber Politik und FührungslenkerInnen der Konzerne fällen. Und nur so sind Politikerinnen imstande, demokratiefördernde und rechtsstaatlich konforme Gestaltungskriterien für Technologien zu formulieren, die an die Privatindustrie herangetragen und eingefordert werden.
Und nicht umgekehrt.
Ansonsten entscheidet der Markt für uns. Nicht immer mit gesellschaftlich erwünschten Folgen.
Adrienne Fichter, September 2020
Es brodelt in der Youtube-Hölle
Wo Michelle Obama ein Mann, eine College-Schiesserei nur inszeniert und Justin Trudeau ein Idiot ist: Die Google-Tochter Youtube ist zum Paradies für Verschwörungstheoretiker geworden. Nun reagiert der Konzern. Endlich.
Erschienen in der Republik, 31. Juli 2018
Diese Frage[1] hat Youtube-Chefin Susan Wojcicki geschmerzt: «Mutter, stimmt es, dass es biologische Gründe gibt, weshalb es weniger Frauen in Führungspositionen von Tech-Unternehmen gibt?»
Ihre Tochter hatte das Manifest von James Damore[2] gelesen. Der Google-Ingenieur versuchte darin, mit biologischen Argumenten zu erklären, weshalb Frauen weniger geeignet für Spitzenjobs seien als Männer.
Das Memo stiess im liberalen Silicon Valley auf viel Kritik. Google-Chef Sundar Pichai distanzierte sich, Wojcicki schrieb im Magazin «Forbes» eine vernichtende Kritik. Damore wurde im August 2017 geschasst, der progressive Frieden im Silicon Valley wiederhergestellt.
Doch Wojcicki blendete etwas Entscheidendes aus: welche Rolle ihre eigene Plattform Youtube – ein Tochterunternehmen von Google – bei der Bildung von Damores kruden Weltanschauungen spielte. Der damals 28-jährige Harvard-Absolvent verschlang nach eigenen Angaben[3] alle Videos von Jordan Peterson, einem umstrittenen kanadischen Psychologieprofessor, der berühmt ist für seine Anti-Transgender-Ansichten. So geriet Damore immer tiefer in den Sog von dessen pseudowissenschaftlichem Biologismus, Chauvinismus und Antifeminismus.
Klick-Müll bestrafen
Brandredner wie Jordan Peterson gibt es viele auf Youtube. Die Plattform wurde in den letzten Jahren immer populärer unter Konservativen und Rechtsextremen.
Der Grund dafür ist der Empfehlungsalgorithmus. Dieser präsentiert uns ein tägliches, individualisiertes Menü, und zwar aufgrund dessen, was wir früher gesucht haben, was uns jetzt interessieren könnte und was wir künftig wahrscheinlich suchen werden.
Dabei werden die Empfehlungen immer extremer[4]: Wer sich für Vegetarismus interessiert, erhält am nächsten Tag Veganismus-Empfehlungen. Wer sich Tipps für regelmässiges Jogging holt, bekommt später Marathonläufe angepriesen.
Die Konsequenz[5]: Wer nur Youtube konsumiert, glaubt nach einigen Wochen, Michelle Obama sei in Wirklichkeit ein Mann, die Erde flach, der Klimawandel inexistent und etliche Schulmassaker in den USA bloss «Inszenierungen».
Algorithmusoptimierung 2012
Das war nicht immer so. Das Geburtsdatum[6]