Den genannten Ausstellungen wären weitere an die Seite zu stellen; sie sind ohnehin weit überwiegend nur dem deutschen Sprachraum entnommen. Andere Schauen, etwa in Paris und London wären zu zitieren, ebenso die längst etablierten Formate, die zwei Künstlernamen kombinieren – ob zum intimen Zwiegespräch oder zum finalen Duell, sei dahingestellt. Zu erinnern ist hier an Ausstellungen aus den letzten Jahren wie Picasso – Matisse im Pariser Grand Palais, an Rembrandt – Caravaggio im Amsterdamer Van-Gogh-Museum oder Cézanne – Giacometti im Louisiana Museum in Humblebæk bei Kopenhagen.
Die Erfolgsgeschichte der Blockbuster hat längst ihre Spuren in der gesamten Museumsszene hinterlassen. Das zeigen jüngste Statistiken. Für das Jahr 2009 meldet der Deutsche Museumsbund knapp 107 Millionen Museumsbesuche.23 Rund 6,4 Millionen Besuche kommen für Ausstellungshäuser noch einmal hinzu. Beeindruckender als diese pauschalen Angaben selbst: Die hohen Besuchszahlen verdanken sich vor allem Sonderausstellungen und dabei insbesondere den Blockbustern.
Daneben spielen Faktoren eine wichtige Rolle, die oft mit den großen Ausstellungen einhergehen: Museen erweitern ihre Öffnungszeiten, bauen das Vermittlungsprogramm aus oder überraschen das Publikum mit An- oder Neubauten. Dabei tun sich vor allem die Kunstmuseen hervor. Sie stellen nur rund zehn Prozent aller Museen in Deutschland, bieten aber rund zwanzig Prozent aller Sonderausstellungen an. »Kunstmuseen sind deshalb so erfolgreich, weil sie so aktiv sind.«24 Diese Aktivitäten konzentrieren sich im Wesentlichen auf die großen Kunstausstellungen. Allerdings hat der Boom auch Konsequenzen. Blockbuster sichern Erfolg, werden allerdings auch als Resultate bloßen Kulturmarketings angefeindet.
Der geraffte Überblick zeigt, womit Blockbuster ebenso beeindrucken wie befremden: Sie werden als Phänomene der Rekordwerte, mithin als Arrangements bloßer Zahlen in veräußerlichter Weise wahrgenommen, diskutiert und nicht zuletzt auch geplant. Armin Zweite, seinerzeit Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, beklagte diesen Umstand im Verlauf einer Podiumsdiskussion, die sich nach Abschluss der Matisse-Ausstellung im April 2006 mit »Sinn und Unsinn von Großausstellungen«25 beschäftigte, und verlangte entschieden, über Besucherzahlen und Medienresonanzen hinaus die künstlerische Qualität der Megapräsentationen in den Blick zu nehmen. »Großausstellungen sind Ausstellungen großer Kunst und großer Themen«, definierte Peter-Klaus Schuster, bis 2008 Generaldirektor der Berliner Staatlichen Museen, in der gleichen Diskussion den Blockbuster und entsprach dem Format mit seiner eigentümlich zirkulären Formulierung auf wahrscheinlich nicht intendierte, damit aber umso instruktivere Weise. Die Großausstellung genügt sich selbst – und den von ihr markierten Rekordzahlen.
Ist das wirklich alles? Dass Blockbuster Geld verdienen müssen, damit sich der exorbitante Einsatz von Geldmitteln, Personalressourcen und nicht zuletzt Spitzenwerken der Kunst überhaupt tragen lässt, steht außer Frage. Dabei hat sich als Erfahrungswert herausgestellt, dass Budgets von Blockbuster-Ausstellungen nach folgenden Positionen in Drittel aufgeteilt werden können: ein Drittel für die Versicherungssumme, ein weiteres für Transport und Restaurierung und das dritte Drittel schließlich für Werbung, zusätzliches Personal, Katalogproduktion und weitere Posten.
Die großen Ausstellungen stehen unter dem Druck extremer Erwartungen: Sie sollen für die von Etatsorgen geplagten Museen Geld verdienen, mit hohen Besucherzahlen Argumente für den kulturpolitischen Diskurs bereitstellen, Erweiterungsbauten von Museen rechtfertigen, der örtlichen oder regionalen Ökonomie mit kulturtouristischen Effekten Impulse verleihen, das Image ganzer Städte aufpolieren. Die Qualität der gezeigten Kunst oder der Stellenwert der jeweiligen Präsentationen innerhalb der Ausstellungs- und damit auch Kunstgeschichte scheint da kaum noch eine Rolle zu spielen. Als bloßen »Teil der Wirtschaftsförderung« hat Jean-Christophe Ammann, Ausstellungsmacher und ehemaliger Chef des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (MMK) die Blockbuster bezeichnet, sie als entäußerlichte Feier einer abgelegten Vergangenheit und als »tonnenschwere Dinos« des Ausstellungsgeschehens verabschiedet.26 Andere Museumsleute, die Blockbuster-Schauen verantworten, halten dagegen und behaupten einen genuinen Wert der Bilderdefilees im Megaformat. Das Publikum lasse sich durch bloße Riesenevents in den Museen nicht mehr täuschen, sagte Werner Spies in der bereits zitierten Podiumsdiskussion des Deutschlandfunks. Die Museumsbesucher seien längst kenntnisreich und deshalb nicht mit jedem Marketingversprechen zu locken. »Jede Ausstellung, die etwas Neues bietet, wird zwangsläufig zur Großausstellung«, so Spies.
Doch wie behalten wir nun im Gewirr der Zahlen und widersprüchlichen Statements die Übersicht? Die Antwort: Mit dem Versuch einer vorläufigen Definition des Blockbusters als Format der Kunstausstellungen in Museen und Ausstellungshäusern. Dabei stellen wir Schlüsselbegriffe voran:
Kunst: Blockbuster wählen ihre Gegenstände unter den Stars der Kunstgeschichte, vorzugsweise jenen der klassischen Moderne zwischen 1870 und 1920. Die Ausstellungen versammeln Spitzenwerke der Kunst, die als kostbare Leihgaben den Sensationswert der Präsentation unterstreichen.
Besucher: Blockbuster wenden sich an ein denkbar breites Publikum, das den Kreis der Kunstkenner weit überschreitet. Zum Format gehören hohe Besucherzahlen von mindestens 200.000 Besuchern. Oft liegt dieser Wert noch weitaus höher.
Event: Blockbuster durchbrechen die Routine des Ausstellungsbetriebs. Sie stellen Spitzenereignisse dar, die ein außergewöhnliches Kunsterlebnis versprechen, das nicht wiederholbar ist. Der Blockbuster wird mit einer Fülle gesonderter Formate wie Vernissagen, Diners, Führungen und so weiter als Event inszeniert.
Marketing: Der Blockbuster wird mit einer Marketingkampagne am Markt der Kultur- und Freizeitangebote platziert. Ein erheblicher Teil seines Budgets fließt in die Werbung. Publikum wird auf diese Weise gezielt akquiriert.
Finanzierung: Blockbuster benötigen Etats in einer Höhe, die in der Regel nicht mehr oder nur noch zu einem Teil über öffentliche Haushalte zu finanzieren sind. Den Geldbedarf von Blockbustern decken in praktisch allen Fällen Sponsoren und Stiftungen.
Medien: Blockbuster werden mit ihrem Sensationswert und ihrem hohen Marketingaufwand auch zum Gegenstand medialer Darstellung. Dies gehört auch zu der Strategie einer Finanzierung durch Sponsoren, die im Gegenzug für ihre Zuwendungen eine Kommunikationsleistung in Anspruch nehmen dürfen.
Diese vorläufige Definition schafft nicht nur einen ersten Überblick, sie bereitet auch vor, was nun folgen soll: eine tiefer gehende Analyse des Formats.
Dies geschieht in zwei Schritten: Zunächst werden beispielhaft konkrete Ausstellungen vorgestellt. Dann werfen wir einen Blick auf die Struktur eines idealtypischen Blockbusters.
»Eine Ausstellung muss vor allem sinnvoll sein.« Gespräch mit Götz Adriani, Kunsthalle Tübingen
Von Blockbustern sprach man bislang vor allem mit Blick auf Kinofilme. Inzwischen werden auch große Publikumsausstellungen als Blockbuster bezeichnet. Können Sie mit diesem Wort etwas anfangen?
Meines Wissens war die ursprüngliche militärische Bedeutung absolut negativ besetzt. Das hat sich allmählich geändert. Letztendlich geht es um massentaugliche Events in einem überhitzten Ausstellungsbetrieb. Als in den 1980er- und 1990er-Jahren Ausstellungen mit ausnehmend hohen Besucherzahlen in Tübingen stattfanden, gab es den Begriff in dieser Form noch nicht.
Sie haben mit Ausstellungen in der Kunsthalle Tübingen schon früh große Erfolge beim Publikum erzielt. Sehen Sie sich als Erfinder des Formats der Kunst-Großausstellung?
Man zählt mich wohl zu diesem Erfinderkreis. Allerdings war mein Ausgangspunkt immer der der Qualität und nicht der der Quantität. Eine Ausstellung muss nicht groß sein, sie muss gut sein und dadurch die Besucher überzeugen. Nicht zuletzt deshalb habe ich mich niemals einem auf leichte Konsumierbarkeit erpichten Publikum populistisch angedient. Mein Ziel war und ist es anspruchsvolle Ausstellungen zu verwirklichen, die es in dieser Form in Deutschland oder im deutschsprachigen Raum noch nicht gegeben hat. Heute ist es zugegebener Maßen schwieriger diesbezüglich erfolgreich zu sein, da die Konkurrenzsituation größer ist. Das Alleinstellungsmerkmal der Tübinger Ausstellungen von Cézanne, Degas und Renoir bis zu Rousseau oder Picasso – aber