Von Geistern, Zombies und Unsterblichen. Эдгар Аллан По. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Эдгар Аллан По
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783958555105
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sie kam nicht wieder herunter. Schließlich fanden sie sie tot auf dem Fußboden ihres Ankleidezimmers. Sie hatte aus Versehen etwas zu sich genommen, irgendetwas Schreckliches, das sie im Theater brauchen. Ich weiß nicht, was es war, aber es enthielt entweder Blausäure oder Bleiweiß. Ich sollte meinen, es war Blausäure, denn sie scheint sofort tot gewesen zu sein.«

      »Harry, Harry, es ist furchtbar!«, rief der Jüngling.

      »Ja; es ist natürlich sehr tragisch, aber du musst dafür sorgen, dass du nicht hinein verwickelt wirst. Ich las im Standard, dass sie siebzehn Jahre alt war. Ich hätte gedacht, sie wäre fast noch jünger. Sie sah so ganz wie ein Kind aus und schien so wenig vom Theaterspielen zu verstehen. Dorian, du darfst dir die Sache nicht so auf die Nerven gehn lassen. Du musst mitkommen und mit mir essen, und nachher gehn wir noch ein bisschen in die Oper. Die Patti singt, und alle Welt wird da sein. Du hast Platz in der Loge meiner Schwester. Sie hat ein paar patente Weiber bei sich.«

      »So habe ich also Sibyl Vane ermordet«, sagte Dorian Gray halb zu sich selbst – »sie so sicher ermordet, als hätte ich ihre kleine Kehle mit einem Messer durchschnitten. Aber die Rosen sind trotz alledem nicht weniger lieblich. Die Vögel in meinem Garten singen gerade so fröhlich. Und heute werde ich mit dir essen und dann in die Oper gehn und vermutlich nachher irgendwo soupieren. Wie überaus dramatisch das Leben ist! Wenn ich das alles in einem Buche gelesen hätte, ich glaube, ich hätte darüber geweint. So aber, nun es tatsächlich geschehn ist, nun es mir geschehn ist, scheint es viel zu wundervoll für Tränen. Hier liegt der erste glühende Liebesbrief, den ich im Leben geschrieben habe. Seltsam, dass mein erster glühender Liebesbrief an eine Tote gerichtet ist. Ob sie wohl noch etwas empfinden, diese weißen schweigenden Leute, die wir die Toten nennen? Das möchte ich wissen. Sibyl! Kann sie empfinden, oder wissen, oder lauschen? O Harry, wie habe ich sie einmal geliebt! Es scheinen mir Jahre verflossen seitdem. Sie ist mir alles gewesen. Dann kam dieser furchtbare Abend – war es wirklich erst gestern? – wo sie so schlecht spielte und mir fast das Herz zerriss. Sie hat mir alles erklärt. Es war furchtbar pathetisch. Aber ich war nicht ein bisschen gerührt. Ich dachte, sie sei ein oberflächliches Geschöpf. Dann geschah plötzlich etwas, das mich in Angst und Schrecken jagte. Ich kann dir nicht sagen, was es war, aber es war furchtbar. Ich beschloss, zu ihr zurückzukehren. Ich fühlte, dass ich Unrecht getan hatte. Und nun ist sie tot. Mein Gott! Mein Gott! Harry, was soll ich tun? Du weißt nicht, in welcher Gefahr ich bin, und es gibt nichts, was mir Halt geben kann. Sie hätte das für mich getan? Sie hatte kein Recht, sich zu töten. Es war selbstsüchtig von ihr.«

      »Mein lieber Dorian«, antwortete Lord Henry, nahm eine Zigarette aus seinem Etui und zog eine goldene Streichholzbüchse heraus – »der einzige Weg, auf dem je eine Frau einen Mann bessern kann, besteht darin, dass sie ihn so gründlich langweilt, dass er alles Interesse am Leben verliert. Wenn du dieses Mädchen geheiratet hättest, wärst du ein Schuft geworden. Natürlich hättest du sie freundlich behandelt. Man kann zu Menschen, aus denen man sich nichts macht, immer freundlich sein. Aber sie hätte bald herausgefunden, dass du völlig gleichgültig gegen sie bist. Und wenn eine Frau das an ihrem Manne merkt, fängt sie an, sich entweder schrecklich nachlässig zu kleiden, oder sie trägt höchst elegante Hüte, die der Mann irgendeiner andern Frau bezahlen muss. Von dem sozialen Missverhältnis, das sehr stark gewesen wäre, will ich nichts sagen; ich hätte die Sache nicht zugegeben und versichere dich, dass es in jedem Fall eine ganz und gar verfehlte Geschichte gewesen wäre.«

      »Vermutlich«, sagte der Jüngling halblaut, der im Zimmer auf und ab ging und furchtbar blass aussah. »Aber ich hielt es für meine Pflicht. Es ist nicht meine Schuld, dass diese furchtbare Tragödie mich verhindert hat, zu tun, was recht war. Ich erinnere mich, du hast einmal gesagt, es sei etwas Verhängnisvolles um gute Vorsätze – sie kämen immer zu spät. Bei meinen war es jedenfalls so.«

      »Gute Vorsätze sind nutzlose Versuche, Naturgesetze beeinflussen zu wollen. Ihr Ursprung ist pure Eitelkeit. Ihr Resultat: vacar. Sie geben uns hie und da so eine Art unfruchtbare wollüstige Aufregung, die auf die Geschwächten einen gewissen Reiz ausübt. Das ist alles, was zu ihren Gunsten gesagt werden kann. Sie sind einfach Schecks, die die Menschen auf eine Bank ausstellen, bei der sie kein Konto haben.«

      »Harry«, rief Dorian Gray, der herantrat und sich neben ihn setzte, »warum kann ich diese Tragik nicht so sehr empfinden, wie ich sollte? Ich denke nicht, dass ich herzlos bin. Oder hältst du mich dafür?«

      »Du hast in den letzten vierzehn Tagen zu viel Torheiten begangen, als dass du auf diese Bezeichnung ein Anrecht hättest, Dorian«, antwortete Lord Henry mit seinem sanften, melancholischen Lächeln.

      Der Jüngling runzelte die Stirn. »Diese Erklärung gefällt mir nicht, Harry«, erwiderte er, »aber ich freue mich, dass du mich nicht für herzlos hältst. Ich bin es durchaus nicht. Ich weiß, dass ich es nicht bin. Und doch muss ich zugeben, was geschehen ist, ergreift mich nicht so, wie es sollte. Es scheint mir wie ein wundervoller Abschluss eines wundervollen Stückes zu sein. Es hat all die schreckensvolle Schönheit einer griechischen Tragödie, einer Tragödie, in der ich selbst eine große Rolle spielte, aber in der ich nicht verwundet wurde.«

      »Es ist eine interessante Frage«, sagte Lord Henry, dem es köstlichen Genuss gewährte, mit dem unbewussten Egoismus des Jünglings zu spielen – »eine überaus interessante Frage. Ich denke mir, die wahre Erklärung lautet so: Es kommt oft vor, dass die Wirklichkeitstragödien des Lebens auf so unkünstlerische Art geschehen, dass sie uns durch ihre lächerliche Sinnlosigkeit, ihre völlige Stillosigkeit kränken. Sie greifen so an, wie es alles Gewöhnliche tut. Sie wirken auf uns mit nackter, brutaler Gewalt, und wir lehnen uns dagegen auf. Manchmal jedoch greift eine Tragödie in unser Leben ein, die die künstlerischen Elemente der Schönheit in sich birgt. Wenn diese Elemente der Schönheit wahrhaft sind, wendet sich die ganze Sache lediglich an unsern Sinn für dramatische Wirkung. Mit einem Male merken wir, dass wir nicht länger die Spieler, sondern die Zuschauer des Stückes sind. Oder besser gesagt, wir sind beides. Wir sehn uns selbst zu und werden von der Schönheit des Schauspiels bezaubert. Was ist im vorliegenden Fall in Wirklichkeit geschehen? Jemand hat sich aus Liebe zu dir getötet. Ich wollte, ich hätte je so ein Erlebnis gehabt. Es hätte mir für den Rest meines Lebens Liebe zur Liebe gegeben. Die Menschen, die mich angebetet haben – es hat deren nicht sehr viele gegeben – wollten alle hartnäckig weiterleben, lange, nachdem ich aufgehört hatte, mich um sie zu kümmern, oder sie, sich um mich zu kümmern. Sie sind hässlich und fett geworden, und wenn ich sie treffe, fangen sie sofort mit Reminiszenzen an. Das schreckliche Gedächtnis der Weiber! Was für eine furchtbare Sache ist das! Und was für ein völliges Stehenbleiben des Geistes offenbart es! Man sollte die Farbe des Lebens schlürfen, aber sich niemals an seine Einzelheiten erinnern. Einzelheiten sind immer gemein.«

      »Ich muss Mohn in meinen Garten säen«, seufzte Dorian.

      »Das tut nicht not«, erwiderte sein Gefährte. »Das Leben hat immer Mohn für uns in Bereitschaft. Natürlich; manchmal schleppen sich die Dinge hin. Einmal trug ich eine ganze Saison hindurch nichts als Veilchen, als eine Form künstlerischer Trauer um einen Roman, der nicht sterben wollte. Schließlich jedoch ist er gestorben. Ich weiß nicht mehr, was ihn getötet hat. Ich glaube, es war ihr Vorsatz, mir die ganze Welt zum Opfer zu bringen. Das ist immer ein schrecklicher Augenblick. Er führt einem die Schrecknisse der Ewigkeit zu Gemüte. Schön. Würdest du es nun glauben? – vorige Woche bei Lady Hampshire sitze ich beim Essen neben der fraglichen Dame, und sie tat es nicht anders, sie musste die ganze Sache noch einmal durchsprechen, die Vergangenheit ausgraben und die Zukunft aufrühren. Ich hatte die ganze Geschichte unter einem Narzissenbeet beerdigt. Sie scharrte sie wieder heraus und versicherte mich, ich hätte ihr Leben vernichtet. Ich bin verpflichtet, festzustellen, dass sie mit kolossalem Appetit dem Essen zusprach, so wurde ich nicht im Mindesten ängstlich. Aber was für eine Geschmacklosigkeit! Der einzige Reiz der Vergangenheit ist, dass sie vergangen ist. Aber die Weiber wissen nie, wann der Vorhang gefallen ist. Sie möchten immer noch einen sechsten Akt, und sowie das Stück gar kein Interesse mehr bietet, nehmen sie sich vor, es fortzusetzen. Wenn man sie ihren Weg gehn ließe, hätte jedes Lustspiel einen tragischen Ausgang, und jede Tragödie gipfelte in einer Farce. Sie sind entzückend künstlich, aber sie haben keinen Sinn für Kunst. Du bist glücklicher als ich. Ich versichere dich, Dorian, keine einzige der Frauen, die