Gesammelte Erzählungen und Gedichte. Joachim Ringelnatz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Ringelnatz
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783958555174
Скачать книгу

      Die Schweinerei ist nun doch einmal Sitte und Brauch.

      Gott hat uns Weiber zu Schöpferinnen gesalbt.

      Schiebt also trotzig euren geladenen Bauch

Über die Friedhöfe hin. – Und kalbt!

      Chansonette

      War ein echter Prinz und hat Warzen im Bett.

      Und kniete vor jeder Schleife.

      Vaters Leiche lag auf dem Bügelbrett

      Und roch nach Genever und Seife.

      Wenn der Pfaffe unter meine Röcke schielt,

      Sagt die Alte, werd’ ich Geld bekommen.

      Meinem Bruder, der so schön die Flöte spielt,

      Haben sie die Nieren rausgenommen.

      Glaubst du noch an Gott? und spielst du Lotterie?

      Meine Schwester kommt im Juli nieder.

      Doch der Kerl ist ein gemeines Vieh.

      Schenk mir zwanzig Mark; du kriegst sie wieder.

      Außerdem: ich brauche ein Korsett,

      Und ein Nadelchen mit blauen Steinen.

      In ein Kloster möcht ich. Oder bei’s Ballett.

Manchmal muß ich ganz von selber weinen.

      Das Geschwätz in der Bedürfnisanstalt

       in der Schellingstraße

      Heute wurde Geld eingesammelt,

      Wo ich angestellt bin, in dem Büro,

      Für die Frau von jemand, der sich erhängte.

      Eine Büchse ging rum. Und jeder schenkte.

      Drei Mark; das ist bei uns immer so.

      Es braucht niemand zu wissen, wodran ich bin.

      Ich habe das Geld meiner Mutter gestohlen.

      Ich habe noch gestern acht Mark für Kohlen

      Bezahlt. Und die Alte stumpft doch bloß so hin.

      Und bei ihrer Schwindsucht und sowieso

      Kann es ja doch nicht mehr lange währen.

      Ich kann auch nicht ewig fünf Menschen ernähren

      Bei der Arbeit in dem Büro.

      Ich möchte mal wieder eine Musik hören;

      Das stimmt einen wieder mal froh.

      Worte eines durchfallkranken Stellungslosen in einen Waschkübel gesprochen

      Bloß weil ich nicht aus Preußen gebürtig.

      Wo hab’ ich nur den Impfschein verloren?

      Das lange Warten auf den Korridoren,

      Das ist so un-, so unwürdig.

      Wären wenigstens meine Haare geschoren.

      Und den Durchfall habe ich auch.

      Das geht mitten im Gespräch plötzlich eiskalt aus dem Bauch.

      Als mich Miß Hedwin erkannte und rief,

      Die hab’ ich vor Jahren, in Genf, einmal – versetzt.

      Nun sind meine Absätze schief.

      Und sie trug ein Reitkleid und fütterte Kücken.

      Aber ich darf mich nicht bücken.

      Denn meine – ach mein ganzes Herz ist zerfetzt.

      Ob ich gespeist habe?

      Ob mir die Hecke gefiele?

      Ja ich habe – gespeist. – (In Genf!

      Und zuletzt, vor drei Tagen, Semmel mit Senf)

      Und mich können alle Hecken

      Am Asche –.

      Vergessen sei Genf, vergessen die ganze Schweiz!

      Dürfte ich nur noch einmal in Seifhennersdorf oder Zeitz

      Steine klopfen.

      Ach! – ich möchte jenem verdammten Stellenvermittlungsbeamten

      Siebzehn Legitimationspapiere meines Großvaters mütterlicherseits

      In den Rachen stopfen!

      Auch hat mich vorübergehend durchzuckt:

      Ich wollte sterben nach einer grellen Raketentat.

      Ich habe Lysol und einen Drillbohrer verschluckt.

      Ich sandte ein Kuvert an den Hamburger Senat;

      In das Kuvert hatte ich kräftig gespuckt.

      Aber niemand glaubt an den Dreck.

      Nun ist meine Seife weg;

      Irgend jemand stöbert in meinen Taschen. –

      Ich kann mir doch nicht

      Das Gesicht

      Mit einem Bouillonwürfel waschen.

      Nun warte ich auf gigantisches Weltgeschehn.

      Wenn’s mich – zusammen mit den andern – zerfleischt,

      Wenn das Sterben der anderen, Glücklichen mich umkreischt,

      – Dann –

      Dann will ich mir eine Zigarette drehn!

      Nachtgalle

      Weil meine beiden Beine

      Erfolglos müde sind,

      Und weil ich gerade einsam bin,

      Wie ein hausierendes Streichholzkind,

      Setz ich mich in die Anlagen hin

      Und weine.

      Nun hab ich lange geweint.

      Es wird schon Nacht; und mir scheint,

      Der liebe Gott sei beschäftigt.

      Und das Leben ist – – alles, was es nur gibt:

      Wahn, Krautsalat, Kampf oder Seife.

      Ich erhebe mich leidlich gekräftigt.

      Ich weiß eine Zeitungsfrau, die mich liebt.

      Und ich pfeife.

      Ein querendes Auto tutet. –

      Nicht Gold noch Stein waren echt

      An dem Ring, den ich gestern gefunden. –

      Die nächtliche Straße blutet

      Aus tausend Wunden.

      Und das ist so recht.