Andreas Augen waren voller Tränen. „Nein. Nein, Großvater, es ist nicht so. Bei Mutter kam alle Hilfe zu spät, als sie von einem Auto erfasst und durch die Luft geschleudert wurde. Paps aber hat eine Chance.“ Ihre Stimme war kaum zu verstehen.
Julian trat vor. „Wenn Sie erlauben...“ Er untersuchte Andreas Vater kurz und bat dann: „In meinem Zimmer steht ein Notfallkoffer. Hol ihn, ja?“
Andrea nickte nur und lief sofort los.
Während Julian versuchte, dem Kranken gut zuzureden und ihm die Angst zu nehmen, sah ihn der alte Arzt nachdenklich an. „Sie wohnen bei uns?“, fragte er schließlich.
„Ja. In der Strandmöwe.“
„Gut. Ich hab kaum noch die richtigen Medikamente. Bin schon seit fast fünf Jahren im Ruhestand.“
Andrea kehrte atemlos zurück, reichte Julian den Koffer, den er mit ruhigen Bewegungen öffnete. Er überlegte nicht lange und injizierte ein Medikament, mit dem sie in der Klinik die besten Erfolge erzielt hatten.
Dann wartete er angespannt, ob sich die Züge des Patienten ein wenig entkrampfen würden. Und wirklich, das Mittel schlug schnell an!
Als der Notarzt endlich zusammen mit zwei Sanitätern eintraf, war Andreas Vater über den Berg. Und auf der Intensivstation des Cuxhavener Krankenhauses würde er optimal weiter betreut werden.
„Wir fahren auch hin, ja?“ Bittend sah Andrea den jungen Arzt an.
„Sicher.“ Julian nickte und sah dem Kollegen nach, der sich gerade von Andreas Großvater verabschiedete und dann hastig der Trage mit dem Kranken folgte. „Und dann erzählst du mir, wer du wirklich bist, ja?“
Die Sorge um ihren seit Jahren schwer herzkranken Vater war aus Andreas Gesicht gewichen. Ihre Augen waren wieder so klar wie zuvor, als sie antwortete: „Ich bin Andrea. Das Mädchen, das dich liebt, Julian.“
Er zog sie fest in die Arme. „Und ich liebe dich, kleine Meerhexe. Nur... was tust du hier? Was ist mit den Hotels?“
Ein kleines Lächeln glitt über Andreas Gesicht. „Die Hotels gehören bald mir - wenn ich einen Mann heirate, der hier einmal Kurarzt werden will. Wir sind schließlich ein Kurort, die Patienten brauchen optimale Betreuung. Und meiner Familie gehören die beiden größten Hotels am Ort - und zwei kleine dazu. Schlimm?“
„Furchtbar schlimm!“ Julian lachte. „Vor allem, weil ich noch nicht weiß, ob ich nicht doch lieber Chirurg bleiben möchte.“
„Kannst du doch, Junge“, mischte sich der alte Arzt ein. „Heirate die Deern nur erst mal, damit sie nicht mehr fürchten muss, nur um des Geldes geliebt zu werden. Alles andere findet sich dann schon.“
„Kluger Großvater!“ Andrea umarmte den alten Herrn.
„Da nich für“, schmunzelte der. „Küss lieber deinen Doktor. Und dann fahrt los zur Klinik. Dein Vater wartet sicher auf euch. Für das andere habt ihr noch Zeit - ein ganzes Leben lang...“
ENDE
Alfred Bekker
DER FISCH
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DIE BEIDEN KLEINEN Angler waren Brüder und saßen schon eine geraume Weile am Seeufer und hielten ihre selbstgebauten Angeln erwartungsvoll in den Händen.
Es waren einfache Holzruten mit Nylon-Schnüren, die eigentlich auf die Rolle mit dem Drachenband gehörten.
Aber der Drachen war ihnen abgestürzt, als ihn das letzte mal hatten steigen lassen und Papa war noch nicht dazu gekommen ihn zu repariern. Außerdem wäre im Augenblick ohnehin kein Wind gewesen und so hatten sie die Drachenschnur auf diese Weise einer sinnvollen Verwendung zugeführt.
Die beiden Kleinen saßen da, schauten auf das Wasser hinaus, beobachteten die Segler und die Windsurfer, die aus der Entfernung mit ihren bunten Segeln fast wie Schmettterlinge wirkten - und warteten.
Die Windsurfer waren an anderen Tagen rasend schnell, aber heute krochen sie nur über den See.
Und auch sie Segelboote bewegten sich kaum. Alles schien an diesem Tag mewhr oder weniger stillzustehen. Die beiden Kleinen warteten, doch nichts geschah.
Sie warteten auf einen Fisch, aber dummerweise wollte einfach kein Fisch an den kleinen Metallha-ken anbeißen, sie aus Papas Schrabenkasten heraus-gesucht und an das Ende der Nylonschnüre gebunden hatte.
"Ich glaube, das wird heute nichts mehr!" meinte Thomas, der Jüngere von beiden. "Würdest du denn an so einem Haken anbeißen, wenn du ein Fisch wärst?"
wandte er sich dann an Michael, der schon acht Jahre war und deshalb glaubte, sehr viel schlauer zu sein als Thomas.
Manchmal war er es allerdings auch.
"Vielleicht sind keine Fische da!" murmelte Michael. "Kann doch sein!"
"Das glaube ich nicht", erwiderte Thomas und deutete mit einer Hand in die Ferne. "Siehst du den Mann mit der grünen Hose dort hinten?"
"Sehe ich."
"Der angelt auch. Seit wir hier sitzen, hat er schon drei Fische aus dem Wasser geholt! Ich habe darauf geachtet!"
Nach einer kurzen Pause meinte Michael dann: "Vielleicht liegt es daran, daß wir keinen Köder haben! Ich habe einfach nicht daran gedacht!"
"Was nehmen wir als Köder!"
"Einen Wurm, eine Made - irgend soetwas!"
Sie legten die Angeln zur Seite und suchten nach kleinen Tieren, die man als Köder benutzen konnte.
Sie fanden einen Regenwurm, den sie brüderlich untereinander teilten. Jeder befestigte eine Hälfte an seinem Angelhaken.
Und dann hieß es erneut ersteinmal warten.
Aber nicht lange. Das Wunder, mit dem schon keiner der beiden mehr gerechnet hatte geschah.
Thomas hatte einen Fisch an der Angel, der versucht hatte, sich den Wurm zu holen.
"Was soll ich machen?" rief Thomas.
"Zieh ihn an Land! ihm! Heute abend kann Mama ihn in braten!" Als der Fisch an Land war, zappelte er.
Michael hielt ihn mit einem beherzten Griff fest und entferte den Haken.
"Sollen wir ihn gleich totmachen?" fragte Thomas mit einem Unterton, der verriet, daß er sich nicht ganz wohl bei der Sache fühlte.
Entweder Michael war wieder einmal besonders schlau und wußte bescheid, oder er fühlte dasselbe Unbehagen, daß auch seinem jüngeren Gefährten zu schaffen machte.
Jedenfalls sagte er: "Nein! Mach den Eimer voll Wasser. Wenn wir ihn leben lassen, hält er sich besser. Schließlich wissen wir ja nicht, ob die Mama ihn heute oder vielleicht erst