„Wir müssen auf das Eintreffen des Arztes warten“, erwiderte einer der beiden Geldboten.
„Lieber Himmel, bis dahin verblutet Herr Ahlert doch. Sehen Sie nur, wie viel Blut er schon verloren hat.“
„Wir sind keine Ärzte. Wir können ihm nicht helfen.“
Susanne Egner schlug die Hände vors blasse Gesicht. „Ich kann es immer noch nicht fassen. Ein Überfall ... Wer denkt denn an so etwas?“
„Damit muss man leider immer rechnen“, sagte der Geldwagenfahrer.
„Was sind das für Menschen, die so etwas tun können?“, fragte Susanne Egner und ließ die Hände sinken. „Geld ist für sie alles. Ein Mensch zählt für sie gar nichts. Sie schießen ihn eiskalt nieder. Was ist schuld an dieser Verrohung?“
„So etwas hat es immer gegeben und wird es leider immer geben. Glauben Sie, dass Sie der Polizei helfen können?“
Susanne Egner schüttelte den Kopf. „Es ging alles so schnell. Der Mann war plötzlich da. Mir kam es vor, als wäre er aus dem Boden gewachsen. Er trug schwarze Lederkleidung und einen dieser riesigen Visierhelme, die Motorradfahrer aussehen lassen wie Astronauten. Der Mann hatte kein Gesicht... Ich meine, natürlich hatte er eines, aber ich konnte es nicht sehen.“
„Fiel Ihnen an ihm irgendetwas Besonderes auf?“, fragte der Mann.
Susanne Egner schüttelte den Kopf, ohne nachzudenken. „Es war nichts Besonderes an ihm, außer dass er von Kopf bis Fuß schwarz war.“
„Hat er irgendetwas gesagt?“, wollte der Fahrer wissen.
„Das weiß ich nicht“, antwortete die junge Frau. „Als ich mich wehrte, schlug er mich mit seiner Pistole sofort nieder. Ich erlangte das Bewusstsein erst wieder, als Sie hier waren ... Mein Gott, wo bleibt denn nur der Arzt so lange?“
Polizei und Krankenwagen trafen gleichzeitig ein. Der Rettungsarzt sah sich Volker Ahlert kurz an. „Sieht sehr schlimm aus“, bemerkte er.
Man legte den Supermarktleiter sehr vorsichtig auf eine Trage. Der Rettungsarzt wandte sich Susanne Egner zu.
„Ich bin in Ordnung“, sagte die junge Frau rasch. „Ich habe lediglich eine Beule abgekriegt. Sehen Sie zu, dass Herr Ahlert schnellstens ins Krankenhaus kommt.“
„Wir bringen ihn in die Wiesen-Klinik.“
„Hoffentlich ist es nicht schon zu spät“, flüsterte Susanne Egner, während der Arzt hinter seinen Leuten das Büro verließ.
Erschüttert blickte die junge Frau auf die große Blutlache. Konnte jemand, der soviel Blut verloren hatte, noch gerettet werden?
6
Es kam alle Jubeljahre mal vor, dass Dr. Richard Berends zum Kaffee zu Hause war. Heute war so ein Glückstag, und Therese Mansfeld, die gute Seele des Doktorhauses, hatte köstliche Bananenschnitten auf den Tisch gezaubert.
„Noch ein Stück, Herr Doktor?“, fragte die Haushälterin.
Der Chefarzt der Wiesen-Klinik lachte. „Nein, danke, Theresia. Ich bringe beim besten Willen nichts mehr hinunter. Ich habe bereits drei Schnitten gegessen.“
„Vier“, korrigierte ihn die Haushälterin.
„Um so schlimmer“, sagte der Chefarzt. „Hier, sehen Sie, wie meine Hose spannt. Sie mästen mich.“
„Wer schafft, braucht Kraft.“
„Ich bin Chirurg und kein Holzfäller“, sagte Dr. Richard Berends schmunzelnd.
Er wusste, dass es Therese Mansfeld mit ihm gut meinte. Sie bemutterte ihn manchmal so sehr, dass es ihm schon fast zu viel war.
„Sie wollen meinen Mann doch nicht vorzeitig unter die Erde bringen, Theresia“, sagte nun Dr. Charlotte Berends.
„Um Himmels willen“, entgegnete die Haushälterin.
„Die meisten Selbstmorde werden mit Messer und Gabel verübt“, erklärte die junge, blonde Internistin.
„Ich trage die restlichen Bananenschnitten sofort in die Küche“, sagte Frau Mansfeld.
„Ich möchte keinesfalls versäumen, Ihnen zu sagen, dass sie ganz hervorragend schmecken“, sagte der Hausherr.
Solches Lob hörte die Haushälterin immer gern.
„Wie kamen Sie an das Rezept“, wollte Charlotte wissen.
Therese Mansfeld zwinkerte schelmisch. „Das möchte ich nicht verraten. Nur soviel: Es war nicht ganz einfach, es mir zu verschaffen. Ich musste die Sache sehr trickreich angehen.“
„Das fiel Ihnen doch bestimmt nicht schwer“, bemerkte Richard schmunzelnd. „Als Gott Schlauheit und List verteilte, haben Sie zweimal ,Hier!‘ geschrien.“
Das wertete Therese Mansfeld als großes Kompliment. Mit stolzgeschwellter Brust rauschte sie ab. Charlotte und Richard blieben auf der Terrasse sitzen.
„Oh, sie ist eine wunderbare Frau“, schwärmte Richard. „Eine Perle. Ein Juwel.“
„Wenn sie nicht schon Anfang sechzig wäre, würde ich glatt eifersüchtig auf sie sein“, bemerkte Charlotte.
Sie genossen die warmen Sonnenstrahlen. Im Garten blühten die Ziersträucher, Bienen umsummten die gelben Forsythien.
Der kleine Michael, Charlottes und Richards Sohn und ganzer Stolz, hatte am Vormittag so viel herumgetollt, dass er nach dem Mittagessen in einen tiefen Schlaf gefallen war, der ihn noch nicht freigegeben hatte.
Charlotte erhob sich und ließ sich auf den Knien ihres Mannes nieder. Ihm kam es vor, als wären ihre schönen, braunen Augen heute dunkler als sonst.
„Es ist schön, dich wieder einmal für mich allein zu haben“, sagte sie und kraulte seine Nackenhärchen. „Für gewöhnlich muss ich dich immer mit einer Menge Patienten teilen.“
„Ich dachte, du hättest dich inzwischen daran gewöhnt“, sagte Richard lächelnd.
„Das habe ich“, entgegnete Charlotte. „Da ich selbst Ärztin bin, weiß ich, was wir den Menschen schuldig sind, und ich würde mich niemals beklagen. Aber wenn ich dich einmal für mich habe, dann genieße ich das, so gut ich nur kann.“ Sie küsste Richard liebevoll. „Bin ich auch eine wunderbare Frau?“
„Aber natürlich.“
„Eine Perle? Ein Juwel?“, wollte seine Frau wissen.
„Du bist für mich fast so unentbehrlich wie Theresia“, sagte Richard schelmisch.
„Oh!“ Es blitzte gefährlich auf in Charlottes Augen. „Du bist ein ... ein ..“
„Na, was denn?“, fragte Dr. Berends amüsiert. „Fällt dir nichts ein? Soll ich dir helfen?“
„Ein Scheusal bist du!“, erklärte sie fest.
„Das meinst du nicht ernst“, sagte Richard.
„Doch,