Es gab für die Menschen jedoch anderes, was schwer wog: Weder Sinclair, der Stallmeister, noch George Felton waren irgendwo zu finden. Niemand hatte sie während des Brandes irgendwo gesehen, und bisher waren auch noch keine verkohlten Leichen in den Trümmern gefunden worden.
Kevin McBride und Maggie O’Connor waren nicht nach Hause gefahren. Sie hatten sich stattdessen weiterhin nützlich gemacht, obwohl der Arzt ihnen eindringlich ans Herz gelegt hatte sich lieber auszuruhen. Er vermutete bei beiden eine Rauchvergiftung, und damit sollten sie nicht spaßen.
Doch die beiden hatten sich intensiv um die Tiere gekümmert, die sich in Hausnähe auf den Koppeln befanden, und durch das Feuer verängstigt und wild waren.
Die Köchin von Clarion Manors hatte draußen eine Suppenküche improvisiert, und von dort her drang nun plötzlich ein verlockender Duft über den ganzen Hof. Auch die Feuerwehrleute strömten schnuppernd zusammen, schließlich hatten sie alle die ganze Nacht schwer gearbeitet.
„Drinnen in der Küche kann niemand mehr kochen“, verkündete die Köchin, „aber wer gut arbeitet, muss auch gut essen. Also bitte, greift zu.“
Sie hatte zwei Hausmädchen und den Butler gnadenlos ins Haus gescheucht, um genügend sauberes Geschirr aufzutreiben. Und nun breitete sich für kurze Zeit regelrechte Picknickstimmung aus, als alle Personen mit Tellern oder Terrinen bewaffnet sich einen Platz suchten, um etwas Heißes, Nahrhaftes zu essen. Es gab auch ausreichend Tee und Kaffee, und vor allem natürlich eine Menge Diskussionen. Ganz besonders wurde darüber spekuliert, wo Sinclair und Felton abgeblieben waren.
Maggie und Kevin hatten sich zusammen einen Platz gesucht, etwas entfernt saß ein Trupp der Feuerwehrleute.
Constable Mulrooney war natürlich auch schon da, aber nun fuhr auch der Wagen von Inspektor Glenbright in den Hof ein.
„Ha, seht ihr, da kommt Scotland Yard, es scheint sich doch um Brandstiftung zu handeln. Habt ihr was gefunden?“, fragte einer der Feuerwehrleute.
„Man munkelt, Felton habe finanzielle Probleme gehabt“, sagte ein anderer.
Maggie hörte mit halbem Ohr zu, sie bekam tagtäglich viel Klatsch und Tratsch, und eigentlich interessierte sie noch mehr von der Sorte nicht.
„Das kann schon sein, aber was willst du damit ausdrücken?“, fragte ein anderer.
„Nun, vielleicht hat er sein Anwesen selbst angesteckt. Die Versicherung wird eine Menge Geld auf den Tisch legen müssen.“
„Das ist eine ziemlich kühne Behauptung“, kam die vorsichtige Erwiderung. „Und du solltest sie vielleicht nicht aussprechen, bevor du dafür Beweise hast.“
„Pah, Beweise. Ich sage dir, heute Nachmittag schon wird sich das halbe Dorf den Mund darüber zerreißen.“
„Dann musst nicht ausgerechnet du damit anfangen.“
„Man wird ja wohl noch laut denken dürfen.“
Nun reichte es Maggie aber. Sie sprang auf, und noch bevor Kevin sie zurückhalten konnte, trat sie zornbebend vor die Gruppe der Männer.
Kevin musste vor sich selbst zugeben, dass sie selbst jetzt in ihrem lädierten Zustand noch eine Augenweide war. Ihr rotes Haar lag rauchgeschwärzt wirr um den Kopf, Gesicht und Hände starrten vor Schmutz, und ihre Kleidung war brandfleckig und teilweise zerrissen. Aber die grünen Augen blitzten angriffslustig durch den Schmutz auf den Wangen.
„Wie könnt ihr es wagen, einen Mann zu verleumden, der gerade einen solchen Verlust erlitten hat“, rief sie wütend.
„He, ich habe doch niemanden verleumdet“, protestierte der Mann.
„Und was war das dann hier gerade?“, fauchte sie weiter.
„Ich habe nur laut gedacht, was alle Leute bald schon denken werden. Schließlich fragt sich hier jeder, wo Felton und Sinclair sind. Da tauchen solche Fragen auf. Und die Polizei wird das vermutlich auch gleich fragen.“
Er nickte dem Inspektor zu, der langsam auf die Gruppe der Feuerwehrleute zukam.
Maggie zog eine Grimasse. „Der schon wieder!“
Kevin zog Maggie beiseite, und die beiden setzten sich erst einmal in einen stillen Winkel.
Der Hauptmann der Feuerwehr und Constable Mulrooney erklärten den Beamten von Scotland Yard die Sachlage und die Hinweise. Schließlich begann die Feuerwehr langsam damit ihre Ausrüstung wieder einzupacken.
Es deutete wirklich einiges auf Brandstiftung hin, und die beiden Beamten waren sicher nicht zum Spaß hier.
Kevin und Maggie hatten sich auf ein paar Strohballen gesetzt und lehnten sich jetzt müde zurück. Eigentlich hätten sie jetzt zurück nach Hause fahren können und hätten es auch gern getan. Doch beide waren sicher, dass der Inspektor nach Fragen haben würde; wahrscheinlich auch über George Felton.
Ohne dass er es wollte, fielen Kevin plötzlich die Augen zu, und er dämmerte vor sich hin. Maggie saß halb dösend neben ihm, und ihr Kopf ruhte an seiner Schulter.
Als ein paar kräftige Hände nach ihr griffen, fuhr sie erschreckt auf, dann erkannte sie Sinclair. Sie wollte Kevin neben sich wecken, doch Sinclair drehte ihr rasch einen Arm nach hinten und legte ihr eine Hand auf den Mund.
„Wenn Sie still sind, geschieht Ihnen nichts. Kommen Sie jetzt mit!“
Maggie wehrte sich, sie verstand nicht, was der Mann jetzt von ihr wollte. Doch er verstärkte seinen Griff, und der Schmerz trieb ihr Tränen in die Augen. So ließ sie sich widerstandslos von ihm führen.
Sinclair zerrte sie in Richtung der Fels, die zum Meer hinabführten, und niemand schien sie zu bemerken.
Irgendwann hielt er an. Ein Loch befand sich mitten im Boden, scheinbar ein uralter Brunnen. Eine Strickleiter führte hinunter. Sinclair nahm die Hand von ihrem Mund.
„Los, runter da“, befahl er hart.
„Sagen Sie mal, sind Sie noch zu retten? Was soll das?“, protestierte sie. „Wo sind Sie gewesen. Und wo ist George Felton? Clarion Manors hat gebrannt, und keiner von Ihnen beiden war anwesend.“
Sinclair lachte irre und nickte heftig. „Ja, natürlich hat es gebrannt. Schließlich habe ich es selbst angesteckt. Und nun machen Sie schon, dass Sie da hinunter kommen.“
„Sie sind ja verrückt“, rief Maggie. „Warum tun Sie das? Und sagen Sie mir endlich, wo George Felton sich aufhält.“
„Er ist gut aufgehoben und wird mir keine Rechte mehr streitig machen“, kicherte der Stallmeister.
Der Griff des Mannes um das Handgelenk der Frau hatte sich etwas gelockert, und so sah sie eine Chance sich zu befreien. Sie gab ihm einen heftigen Stoß und versuchte gleichzeitig, sich aus dem Griff zu befreien. Doch sie hatte nicht mit seiner Geistesgegenwart gerechnet. Statt sie loszulassen fasste er härter zu und schlug ihr dann ins Gesicht. Dann griff er auch noch nach ihrem anderen Arm, so dass sie ihm ins Gesicht blicken musste.
„Entweder Sie werden jetzt vernünftig da hinunter gehen, oder ich werde Sie bewusstlos schlagen und hinunterschleifen.“
Maggie sah ein, dass sie im Augenblick nichts anderes tun konnte. Aber sie hoffte, dass ihre Chance noch kommen würde.
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