Und was am schlimmsten war, mein Gedächtnis ließ mich im Stich. Während meiner Schul- und Studienzeit witzelte ich immer, ich bräuchte nur einen Blick auf ein Stück Papier zu werfen, um mir alles zu merken, was darauf notiert war. Ich war immer flink, hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis und konnte mir Einzelheiten von Gesprächen merken, die Jahre zurücklagen.
Aber jetzt war ich furchtbar vergesslich (das berüchtigte „benebelte“ Gehirn). Wenn ich in ein Zimmer ging, hatte ich vergessen, was ich dort wollte. Ich wusste mitten im Satz nicht mehr weiter („Du weißt schon, das Tier mit dem Fell? Ja, eine Katze!“). Das war ein wirklich unheimliches Gefühl und es wurde so schlimm, dass ich mich untersuchen ließ, um eine Demenz auszuschließen. Es war außerdem anstrengend, meine blamablen Gedächtnisprobleme vor den Menschen in meinem Umfeld zu verbergen. Das gelang mir recht gut, bis mein Mann eines Tages einen Kommentar abgab: „Schatz, ich weiß, was mit deinem Gedächtnis los ist, also habe ich beschlossen, dir Dinge aufzuschreiben, damit du sie später anschauen kannst.“ Ich war am Boden zerstört. Ich fühlte mich, als würde ich mich selbst und meinen Verstand verlieren und nun bemerkten das auch andere.
„Nun ja, Sie werden einfach älter …“
Ich suchte zahlreiche Ärzte auf und hoffte auf konstruktive Antworten, doch die meisten sagten, alle meine Symptome seien „normal“, „keine große Sache“ und manche unterstellten mir sogar: „Vielleicht spielt sich das alles nur in Ihrem Kopf ab.“ Sie verschrieben mir Medikamente gegen die Allergien, den Säurereflux und sogar ein Antidepressivum gegen meine „Angst.“
Eine der amüsantesten Aussagen war: „Nun ja, Sie werden einfach älter. Tendenziell wird unser Gedächtnis schlechter, wir ermüden schneller und nehmen zu, wenn wir älter werden.“ Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich damals 26 Jahre alt war?
Die ganze Zeit hielt ich mich in puncto Gesundheit für vorbildlich. Ich aß kaum außer Haus und kochte die meisten meiner Mahlzeiten komplett selbst, entschied mich für Vollkornweizen, fettarme Milch und Milchprodukte und aß nur selten rotes Fleisch. Ich brachte oft eine selbst gemachte Quiche oder Muffins und Kuchen von zu Hause für meine Kollegen mit und backte gerne Vollkornkekse für meinen Mann und sogar spezielle Leckerli aus Vollkornweizen für unseren Hund.
Ich bemühte mich so sehr um meine Gesundheit. Ich verabredete mich mit Kollegen zum Spazierengehen in der Mittagspause, hielt mich zu Hause mit Fitnessvideos auf Trab und ging oft auf dem Heimweg ins Sportstudio (doch all das machte mich nur noch müder). Ich rauchte nicht und beschränkte das Trinken von Alkohol auf seltene gesellschaftliche Anlässe. Ich war zu müde für Geselligkeit, denn die Anforderungen des täglichen Lebens, wie das Einkaufen und der Haushalt, erschöpften mich!
Ich begann zu glauben, das sei eben mein Leben und ich hätte es einfach zu akzeptieren. An mein Reizdarmsyndrom, die Blähungen und die Müdigkeit hatte ich mich gewöhnt. Und auch daran, aufzuwachen, zur Arbeit zu gehen, nach Hause zu kommen, zu essen und schlafen zu gehen, ohne dass Energie übrig blieb für meine Träume vom Reisen, Schreiben, davon, Kontakte zu Mitmenschen zu pflegen, Kurse zu besuchen und die Welt zu verändern.
Als ich 27 war, litt ich bereits seit fast zehn Jahren unter diesen Symptomen und sie hatten sich ständig verschlimmert. Anfangs waren sie geringfügig, kamen und gingen und wirkten sich kaum auf mein tägliches Leben aus, doch inzwischen hatten sie mein Leben verändert. Ich ging zu keinen Ärzten mehr – die meisten von ihnen sagten, ich sei entweder depressiv, gestresst oder litt am Reizdarmsyndrom (RDS) und müsse lernen, mit all meinen Symptomen zu leben. Andere behaupteten, alle Symptome befänden sich nur in meinem Kopf. Ich wusste, dass ich nicht depressiv war, doch mir wurde klar, dass es vielleicht an der Zeit war, das RDS, die chronische Müdigkeit, den Gedächtnisverlust und andere rätselhafte Zustände als Teil meines Schicksals zu akzeptieren. Ich hörte auf, Hilfe zu suchen, und litt still vor mich hin.
Doch dann wurde es noch viel schlimmer. Ich bekam Panikattacken. Wenn mein Mann zum Joggen ging, setzte ich mich nach einer guten Viertelstunde ins Auto, um ihn zu suchen, voller Angst, dass er einen Unfall gehabt oder noch schlimmer, dass er eine andere Frau kennengelernt hatte und mit ihr abgehauen war! Ich wusste, dass all das irrational war, aber ich konnte nicht verhindern, dass ich durchdrehte.
Mein Haar verlor seinen Glanz und fiel büschelweise aus (das fiel mir besonders schwer, denn ich liebte meine Löwenmähne). Meine Haut wurde sehr trocken, ich bekam Falten und hatte geschwollene Augen, mein Gesicht schien immer aufgedunsen zu sein. Ich war in den Zwanzigern, sollte also in der Blüte meiner Jahre sein, doch ich fühlte mich alt und müde.
Es schien, als reagierte ich auf einfach alles allergisch, und mein chronischer Husten weckte mich nachts und trieb mich in den Wahnsinn. Meine Karpaltunnelschienen musste ich täglich rund um die Uhr tragen und Yoga, mein Lieblingshobby, ganz aufgeben. Bei den Fallüberprüfungen der Klienten, die viel Schreibarbeiten und Dokumentationen erforderten, musste ich kürzertreten. Diesen Teil meiner Arbeit hatte ich immer am liebsten gemacht, denn ich traf die Klienten von Angesicht zu Angesicht und musste ihre gesundheitlichen Bedürfnisse umfassend beurteilen.
Irgendwann reichte es mir. Ich war frisch verheiratet und ich hatte das Gefühl, meine Gesundheit und mein Leben gingen in die Binsen. Mein Mann und Familienmitglieder fragten sich, warum es mir immer schlechter zu gehen schien. Der chronische Husten machte mich wahnsinnig. Meiner Kollegin vertraute ich an: „Ich bin schon fast soweit, mir den Kopf abschneiden zulassen, wenn der Husten dadurch aufhört.“ Ich begann, verzweifelt nach Antworten zu suchen.
Können Sie das nachvollziehen?
Ich beschloss, wieder auf „Ärzte-Tour“ zu gehen, doch diesmal war ich geschickter im Umgang mit dem medizinischen System. In meiner Zeit als beratende Apothekerin und Fürsprecherin der Patienten war mir bewusst geworden, dass Ärzte – obwohl sie es meist sehr gut meinten –, nicht alles über meinen Körper wissen konnten. Ich musste für mich selbst eintreten, um meinem Gesundheitszustand auf den Grund zu kommen.
Ich suchte verschiedene Ärzte auf und sprach sie auf diagnostische Tests an, von denen aufgrund meiner Symptome Antworten zu erwarten waren. Manche Ärzte waren äußerst fürsorglich und verständnisvoll, andere völlig abweisend, aber ich ließ mich nicht abschrecken und hörte nicht auf, bis ich meine Antwort gefunden hatte.
Endlich eine Diagnose
Schließlich erfuhr ich, dass ich die Autoimmunerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis und dadurch eine subklinische Schilddrüsenunterfunktion hatte, die auch als leichte Störung der Schilddrüse bezeichnet wird. Endlich gab es einen Grund für meinen Haarausfall, meine Gefühlsschwankungen, die Angstzustände, die Müdigkeit und die meisten anderen Symptome. Ich war zwar erleichtert über die Diagnose, doch gleichzeitig auch sehr enttäuscht. Ich war eine junge Fachfrau im Gesundheitswesen, die nach besten Kräften versuchte, gesund zu sein, und trotzdem hinterging mich mein Körper. Immerhin war es nach schulmedizinischem Wissen mein eigener Körper, der sich selbst angriff, nicht irgendein rätselhafter Erreger, und man konnte nichts tun, um den Angriff zu stoppen.
Die ersten Wochen waren von Kummer erfüllt. Ich weinte mich bei meinem Mann, meiner Mutter und meiner besten Freundin aus, äußerte meine Sorgen, dass es mir nie wieder besser gehen würde, ich nie Kinder haben oder mich je wieder hübsch fühlen könnte. (Ich hatte mehr als ein Drittel meiner Haare verloren, färbte sie schließlich blond und ließ mir einen Bob schneiden, um die „Löcher“ dazwischen zu überdecken, aber ich sah sie trotzdem).
Doch dann wachte ich eines Morgens auf und dachte an meine Klienten. Wenn sie mit all ihren Einschränkungen glücklich sein und weitermachen konnten, dann konnte ich das auch. Wenn ich schon ein Mensch mit Hashimoto war, dann wollte ich wenigstens der möglichst gesündeste Mensch mit Hashimoto sein.
Damals verbrachte ich viel Zeit mit Surfen auf der Internetseite von PubMed, der größten amerikanischen Datenbank von