Dies war ein Schlüsselmoment für mich. Wenn das Festival sogar bei Künstlern, die viele Festivals kennen, so gut ankommt, mussten wir alles dafür tun, damit das Projekt weitergehen kann. Schulden schleppen wir immer noch mit uns rum. Daran haben wir uns gewöhnt und das Projekt Mediaval entwickelt sich stetig weiter und wird immer noch besser und noch schöner.
Jetzt 2020 stehen wir wieder einer großen Herausforderung gegenüber. Im Zuge der Covid 19-Pandemie sind alle großen Veranstaltungen abgesagt. Wir kämpfen ums Überleben, aber Aufgeben ist keine Option. Ich werde alle Register ziehen, um das Festival am Leben zu erhalten.
Auch die vorliegende Anthologie ist ein kleiner Mosaikstein im Überlebensplan des Festivals. Die Geschichten sind so vielfältig und fantasievoll wie das Mediaval selbst.
Mein Dank geht an Amandara und all die tollen Autoren, die Geschichten beigesteuert haben.
Viel Spaß beim Lesen wünscht Euch
Euer
Bläcky
Ich freue mich auf ein baldiges Wiedersehen mit Euch allen!
www.festival-mediaval.com
© Inga Sommer
Nils Krebber
Der Hamburger Ingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik ist seit drei Jahrzehnten passionierter Rollenspieler. Schon seit langem führt er seine Freunde in fremde Welten und konfrontiert sie mit dystopischen Zukunftsszenarien, heroischer Fantasy oder reißerischen Western. 2018 trug er »Keine Helden – Piraten des Mahlstroms« – seinen Debütroman – in das Literaturzelt. Was er mit hinausnahm, war die Überzeugung, dass er nicht alleine ist in dieser bunten Welt, und es noch viele Geschichten zu lesen, hören und erzählen gilt.
Festivalzauber
Sein erster Hinweis auf das Festival ist ein blaues Leuchten am Horizont. Er ist benebelt von der Reise – hunderte Kilometer in stickigen Zügen, fremde Bahnhöfe, und dann – nichts. Er folgt dem Plan auf seinem Smartphone einen Berg hinunter, dann wieder herauf. Inmitten einer fre2137mden Stadt irrt er umher, es gibt keine Schilder, keine Hinweise, obwohl es doch das größte Mittelalterfest Europas sein soll. Auch keine Passanten, keine anderen Reisenden. Es ist spät am Freitagabend, ganz Selb hat schon die Bürgersteige hochgeklappt. Er schultert seinen Rucksack, vergisst sein Telefon und folgt dem blauen Licht.
Einen weiteren Berg herunter, dann wieder hinauf. Jetzt dringen erste Laute an sein Ohr, Echos von Stimmen und Dudelsäcken. Dank der engen Straßen kann er weiterhin nichts vom Gelände sehen, aber da, über den Dächern, schimmert verheißungsvoll das geisterhafte Leuchten. Jetzt sieht er andere Gäste, sie wirken alle abwesend, fremd. Keiner nimmt Notiz von ihm. Er muss dreimal umkehren, weil er am Eingang irgendwie vorbeigelaufen ist, doch schließlich findet er den Zugang – zwei Wagen. Hinter den Schaltern sitzen mit Pelzen und Waffen bestückte Krieger, wie aus einem Fantasyfilm. Er zeigt ihnen sein ausgedrucktes Ticket, worauf ihm der Bärtige mit einem freundlichen Lächeln sein Band ums Handgelenk legt.
»Nimm es niemals ab – ohne das Band kommst du nicht mehr heraus.«
»Du meinst herein, oder?« Aber der Hüne lächelt nur und wendet sich wieder seinem zerlesenen Programmheft zu, während er sich aus einem Horn eine gelbe Flüssigkeit hinter und über die geflochtene Bartpracht gießt.
Er übertritt die Schwelle, und mit einem Male verschwindet die Stadt, die Reise, alles da draußen aus seinem Kopf. Die Wege sind mit verschiedenen Farben ausgeleuchtet. Von überall her schallt Musik. Ziellos wandert er einen Kiesweg hinauf, und lässt sich treiben, bis er an die erste Bühne kommt. Hunderte von Gestalten wiegen auf dem Rasen hin und her, gebannt von den Klängen der Dudelsäcke und Drehleiern auf der Bühne. Keltische Weisen schallen über ihn hinweg und nehmen ihn in ihren Bann. Die Musik trägt ihn zurück in eine Zeit, die es nie gegeben hat, die er aber in seinem Herzen immer schon gespürt hat. Eine Zeit, als die Welt voller Mythen und Geheimnisse war, als in den Wäldern nicht nur wilde Tiere, sondern auch flüchtige Elfen und weise Zauberer warteten.
Die Musiker auf der Bühne tragen Schottenröcke und sonst wenig. Sie lassen ihre langen Haare fliegen, als wären sie von Dämonen besessen. Der wilde Rhythmus erfasst auch ihn. Seine Schritte führen ihn wie automatisch unter die Tanzenden. Um ihn herum schwitzende Körper, wehende Haare, wildes Keuchen. Er verliert sich in der Musik, in der Bewegung. Als der letzte Ton verhallt, fällt jede Müdigkeit von ihm ab. Er macht sich auf die Suche nach dem nächsten Tanz, dem nächsten Erlebnis.
Er irrt durch die Nacht, erblickt hier und dort seltsame Gestalten mit spitzen Ohren und merkwürdigen Gerätschaften in der Hand. An einem Stand ersteht er einen Krug mit Honigwein, dann folgt er den süßen Klängen einer Harfe. Hinter einem Gebüsch findet er ein paar Gleichgesinnte, die um eine Frau in einem weißen Kleid hocken und der Musik ihres Instrumentes lauschen. Ihre Finger bewegen sich so zart über die Saiten, dass er gar nicht glauben kann, dass solch kräftige Töne daraus hervorzuzaubern sind. Als sie ihre Stimme zum Gesang erhebt, erfüllt ihn eine so tiefe Sehnsucht, eine solche Einsamkeit, wie er sie in seinem jungen Leben nie gekannt hat. Tränen laufen frei seine Wangen herunter, er schert sich nicht darum, wer ihn sieht. Zwei Hände greifen nach seinen, führen ihn zu Boden, nehmen ihn in den Arm. Auf ihren Gesichtern glitzern Tränen – oder sind es Sterne, die dort in ihren Augen funkeln? Es kümmert ihn nicht. Er schließt die Augen und gibt sich der Trauer hin, von der die Harfe und die Stimme erzählen, fällt mit ihr in schwere Melancholie. Einen Moment lang spielt er mit dem Band an seinem Arm, macht sich klar, dass dies alles nur Illusion ist. Dann ertönen die ersten Akkorde eines neuen Liedes. Als er die Augen öffnet, ist die Spielerin davongezogen, ersetzt von einem bärtigen Burschen mit einer Gitarre, der eine wahnwitzige Weise schmettert.
Irgendetwas Verrücktes über echte, wahre Helden, aber was immer es ist, es holt ihn zurück aus seiner Trauer und erfüllt sein Herz mit Freude. Der wuselige Mann strahlt eine solche Lebenslust aus, dass es ihn auf die Beine treibt. Er zieht weiter durch die Dunkelheit, zu einem Zelt, in dem ein glatzköpfiger Gnom aus einem Buch rezitiert. Es geht um Koboldkönige und verwunschene Prinzessinnen. Dann fliegt das Buch zur Seite. Der wunderliche Gnom beginnt, frei zu sprechen, steht auf und ruft zum Kampf, zum Widerstand, zur Revolution im Wunderland. Es ist eine Ode an die Freiheit, ein Aufruf zum Erschaffen, ein Appell an jeden einzelnen, sich seine Träume nicht vorschreiben zu lassen. Noch nie hat er jemanden gehört, der so voller Leidenschaft ist, so erfüllt von Liebe zum geschriebenen Wort.
Elektrisiert von dieser Energie bedankt er sich bei der Schutzfee dieses kleinen Ortes der Ruhe. Wo das geschriebene Wort zum Nachdenken anregt und zum Verweilen einlädt. Aber er kann nicht bleiben, denn die Klänge weiterer fremder Instrumente locken ihn. Und so eilt er vom Chor der Raben zum Hof der Apokalypse, er tanzt mit Elben und trinkt mit Wikingern. Er teilt das Brot mit einem Ritter und stößt an mit einem Haufen wilder Piraten. Die Nacht wird zum Tag und wieder zur Nacht. Das Licht und die Musik ziehen ihn immer wieder zurück, treiben ihn von Bühne zu Lichtung zu Lesung, bis es schließlich, und er weiß nicht mehr, wie, zu Ende geht.
Der Zauber ist vorbei, die Zelte werden abgebaut. Das fahrende Volk zieht weiter, die Elben und Kobolde und Wikinger und Ritter werden zu Menschen, ziehen sich die Maske des Alltags an und verbergen sich in den Schatten der Zivilisation. Als er den Hof verlassen will, bleibt er mit seinem Band an einem Ast hängen. Er schaut auf das kleine Stück Stoff, das ihn zurückhält. Er lässt den Blick schweifen und erkennt die normalen Menschen hinter der Schminke, die angeklebten Ohren, das nachgemachte Fell. Dann reißt er das Band mit einem Ruck ab.
Denn er hat sie gesehen – sie haben sein Herz berührt, und er weiß jetzt, dass er sie immer wieder finden kann. Die Elfen und Zwerge, die Feen und Zauberinnen, Ritter und Spielfrauen. Sie sind wahrhaftig – in ihrer Musik, in ihren Geschichten, in ihren Weisen – und jetzt in seinem Kopf, seinem Herz und seiner Seele. Er kam her als verschreckter Junge und geht als befreites Wesen – er weiß noch nicht,