So gewaltig sind jene Erdteile, daß sie die Welt vom Eis des Nordens bis zum Eis des Südens umspannen. Und jenseits von ihnen liegt ein riesiger Ozean. In ihm befinden sich unzählige Inseln, und diese Inseln stellten einst die Gipfel der Berge eines großen Landes dar – das versunkene Land Lemuria.
Und die beiden Kontinente sind Zwillinge, verbunden durch einen schmalen Streifen Land. Die Westküste des nördlichen Kontinents ist rauh und zerrissen. Mächtige Gebirge türmen sich gegen den Himmel. Aber diese Gipfel waren einmal Inseln, und auf diese Inseln gelangte einst der namenlose Stamm von Norden her. Das war vor so vielen tausend Jahren, daß man müde wird, sie zu zählen. Tausend Meilen entfernt im Nordwesten war der Stamm in den fruchtbaren Ebenen entstanden, die in der Nähe der Meeresstraße liegen, die den nördlichen Kontinent von Asien trennt.“
„Asien!“ rief ich verwirrt.
Der Alte warf mir einen zornigen Blick zu und fuhr nach einem Augenblick wieder fort:
„Dort, im fernsten Nebel der Vergangenheit, hatte sich ein kriechendes Meereswesen zum Affen, vom Affen zum Affenmenschen und vom Affenmenschen zum Wilden entwickelt.
Und Wilde waren sie noch, als sie grausam und kriegslustig die Küste herabkamen. Sie waren geschickte Jäger, denn Jahrhunderte lang hatten sie sich von der Jagd ernährt. Sie waren kräftig gebaut, nicht besonders groß, jedoch zäh und muskulös wie der Leopard. Kein Volk könnte ihnen widerstehen. Und sie waren die ersten Menschen.
Sie kleideten sich in Tierfelle, und ihre Steinwerkzeuge waren grob behauen. Sie nahmen die westlichen Inseln in Besitz, über denen stets die Sonne lachte. Und da lebten sie Tausende von Jahren. Und die westlichen Inseln waren reich und fruchtbar und das Meer friedlich. Da legte der Stamm die Waffen beiseite und begann, die Künste des Friedens zu pflegen. Sie lernten, ihre Steingeräte zu polieren, Getreide und Früchte anzubauen, den Boden zu bestellen. Und sie waren zufrieden, und die Erntegötter lachten ihnen. Und sie lernten spinnen und weben und den Bau von Hütten. Und sie wurden Meister der Töpferei und in der Bearbeitung von Pelzen.
Weit im Westen, jenseits der Wogen, lag das große, düstere Land Lemuria. Und wiederum erschienen viele Boote am Horizont. In diesen befanden sich Angehörige des halbmenschlichen Volkes der See. Vielleicht waren sie aus fremdartigen Seeungeheuern entstanden, denn sie besaßen Schuppen wie der Hai und konnten stundenlang unter Wasser schwimmen. Immer wieder schlug sie der Stamm zurück, doch immer wieder kamen sie, denn Abtrünnige des Stammes flohen nach Lemuria. Im Osten und Süden erstreckten sich riesige Wälder, die von wilden Tieren und Affenmenschen bewohnt waren.
So glitten die Jahrhunderte unter den Schwingen der Zeit hinweg. Stärker und stärker wurde der namenlose Stamm, immer mehr bewandert in der Kunst des Handwerks, immer weniger bewandert in der Kunst des Krieges und der Jagd. Und langsam kletterten die Lemurier auf der Leiter der Entwicklung weiter.
Da erschütterte eines Tages ein ungeheures Beben die Welt. Der Himmel vermischte sich mit dem Wasser, und dazwischen erzitterte das Land. Donnernd, als kämpften Götter gegeneinander, erhoben sich die Inseln des Westens aus dem Meer und bildeten die neue Westküste des nördlichen Kontinents. Und Lemuria versank unter den Wellen. Übrig blieb nur noch eine große, gebirgige Insel, umgeben von einer Unzahl kleinerer, die zuvor die Gipfel der Gebirge gewesen waren.
Und an der Westküste erhoben sich brüllend Vulkane und spien feuriges Gestein, das jegliche Spur der Zivilisation am Ufer überdeckte. Aus fruchtbarem Land war Wüste entstanden.
Ostwärts floh der Stamm und trieb die Affenmenschen vor sich her, bis er die weiten, fruchtbaren Ebenen fern im Osten erreichte. Dort wohnten sie jahrhundertelang, bis die Eisfelder nach Süden vordrangen. Wieder floh der Stamm, und eine tausendjährige Wanderschaft begann.
Südwärts zogen sie und trieben stets die Tiermenschen vor sich her. In der großen Entscheidungsschlacht wurden diese vernichtend geschlagen, flohen weit in den Süden und gelangten über die sumpfigen Inseln, die damals dort das Meer übersäten, nach Afrika, von wo aus sie nach Europa vordrangen, wo es noch keine Menschen gab.
Die Lemurier, die Zweite Rasse, wanderten in den nördlichen Kontinent ein. Es waren kleine, untersetzte Menschen mit Augen, die an fremde Meere erinnerten. Sie wußten wenig vom Handwerk, errichteten jedoch sonderbare Bauten und hatten vom namenlosen Stamm gelernt, Werkzeuge aus poliertem Obsidian und Jade herzustellen.
Die mächtigen Eisfelder dehnten sich weiter aus und drängten den namenlosen Stamm südwärts. Zwar erreichte das Eis nie den südlichen Kontinent, doch bestand dieser bloß aus schlangenverseuchtem Sumpfland. Daher bauten die Namenlosen Boote und segelten zum meerumspülten Atlantis. Die Atlanter waren die Dritte Rasse. Groß und schlank von Gestalt, bewohnten sie Höhlen und lebten von der Jagd. Für das Handwerk besaßen sie kein Geschick, doch waren sie Künstler. Befanden sie sich nicht auf der Jagd oder im Krieg miteinander, so verbrachten sie die Zeit damit, die Wände ihrer Höhlen mit Zeichnungen und Gemälden von Menschen und Tieren zu versehen. Dem namenlosen Stamm waren sie nicht gewachsen, und so wurden sie vertrieben. Auch sie gelangten nach Europa und führten dort erbittert Krieg mit den vor ihnen eingewanderten Tiermenschen.
Dann brach Krieg aus unter den Stämmen der Namenlosen, und die Sieger vertrieben die Besiegten. Unter diesen befand sich ein uralter Zauberer, und der belegte Atlantis mit einem Fluch. Kein Mensch sollte von Atlantis wissen, kein Boot sollte jemals dort landen, noch eines von Atlantis andere Gestade erreichen. Unbekannt sollte Atlantis liegen, bis Schiffe mit Drachenköpfen aus der nördlichen See kämen, bis vier Heere auf der Insel der Seenebel einander zur Schlacht trafen, und bis ein großer Führer aus dem Volk des namenlosen Stammes hervorging.
Sodann ruderten sie von Insel zu Insel nach Afrika, folgten der Küste nach Norden und gelangten in die Mittlere See, die von sonnigen Ufern eingerahmt war.
Dort lebte der Stamm Jahrhunderte lang, wuchs, wurde stark und mächtig und breitete sich über die Länder aus. Von den Wüsten Afrikas bis zu den Wäldern des Nordens, vom Nil bis zu den Bergen Albas tummelten sie sich, bebauten ihre Felder, weideten ihr Vieh, webten ihre Stoffe. Sie bauten Pfahldörfer in den Seen der Alpen und errichteten Steintempel in den Ebenen Britanniens. Sie vertrieben die Atlanter und schlugen die rothaarigen Rentier-Leute.
Da brachen aus dem Norden die Kelten mit ihren Schwertern und Speeren aus Bronze hervor. Von den nebligen Ländern des allgewaltigen Schnees kamen sie, von den Ufern der fernen Nordsee. Und sie waren die Vierte Rasse. Die Pikten flohen vor ihnen, denn die Kelten waren groß und stark. Sie besaßen graue Augen und lohfarbenes Haar. Auf der ganzen Welt bekämpften Kelten und Pikten einander, und stets siegte der Kelte, denn die Stämme hatten in den langen Zeiten des Friedens die Kunst des Krieges verlernt. Sie flohen in die Einöden der Welt.
Und so flohen die Pikten von Alba nach Westen und Norden und vermischten sich dort mit den rothaarigen Riesen, die sie vor langen Zeiten aus den Ebenen vertrieben hatten.
So vergingen die Zeitalter, und die Rasse veränderte sich. Aus dem zierlichen, schwarzhaarigen Volk und den ungeschlachten, rothaarigen Wilden entstand eine neue Rasse, verkrüppelt an Körper und Geist. Sie wurden grausam und hinterlistig im Kampf, aber das alte Können war vergessen. Vergessen war der Webstuhl, der Töpferofen und die Mühle. Das Geschlecht der Häuptlinge jedoch erhielt sich rein. Und einer davon bist du, Bran Mak Morn, Wolf der Heideländer.“
Stille entstand. Der schweigende Ring der Zuhörer lauschte immer noch träumend, als vernahmen sie noch das Echo der Worte des Zauberers. Der Nachtwind flüsterte. Das Feuer griff auf neuen Zunder über, aus dem Flammen emporschossen, die wie Arme in die Dunkelheit griffen.
Die monotone Stimme fuhr fort:
„Der