DAS GEHEIMNIS DER SHAOLIN-MÖNCHE
In der westlichen Welt wurde Shaolin zunächst als »Kung Fu« über Spielfilme, sogenannte Eastern, bekannt, in denen Bruce Lee oder Jackie Chan ihr Können zeigten. Heutzutage beeindrucken eher die öffentlichen Aufführungen von Shaolin-Mönchen, in denen die Kämpfer Nadeln durch Glasscheiben werfen oder gusseiserne Stangen auf dem Schädel zertrümmern. Was aber steckt hinter dieser Kampfkunst?
Der Begriff Shaolin nimmt Bezug auf das chinesische Kloster Shaolin, was »Waldkloster am Berg Shaoshi« bedeutet, und bezeichnet eine buddhistische Lebensphilosophie, die auf Geistes- und Körpertraining basiert. Die geistige und ethische Grundlage für die Shaolin-Philosophie ist der Chan-Buddhismus, der in Japan später zum Zen-Buddhismus wurde. Ziel ist die Entwicklung innerer Stärke, um dadurch letztendlich die Befreiung von Leid und den Weg zum Glück zu finden. Die Entwicklung innerer Stärke soll aber nicht nur der eigenen Befreiung dienen, sondern auch bei der Befreiung aller fühlenden Wesen mithelfen. Dieser altruistischen Ausrichtung dienen die Shaolin-Mönche, indem sie ihren Geist und ihren Körper stark machen und ihr Wissen weitergeben. Shaolin-Kung-Fu ist die aus diesem Geistes- und Körpertraining im Kloster entwickelte Kampfkunst.
Wenn wir in diesem Buch von Shaolin-Mönchen sprechen, meinen wir übrigens auch Shaolin-Nonnen. Das Yong-Tai-Kloster, in unmittelbarer Nähe zum Kloster der Shaolin-Mönche, ist ein reines Nonnenkloster.
In der einzigen reinen Mädchenschule für Kung Fu in China trainieren 70 chinesische Mädchen und werden zu Kung-Fu-Kämpferinnen ausgebildet. Ihr Leben ist nicht vergleichbar mit dem harten Drill, dem die Kinder aus der Kampfschule Shaolin Tagou ausgesetzt sind, die der Regisseur Inigo Westmeier in seinem Film »Drachenmädchen« zeigt.
ÜBUNGEN MIT LANGER TRADITION
Glaubt man der Legende, wurden die Mönche des chinesischen Shaolin-Klosters ursprünglich in Kampftechniken ausgebildet, um Raubüberfälle abzuwehren. Im 8. Jahrhundert kam der buddhistische Gelehrte Bodhidharma aus Indien zum Kloster. Durch ihn inspiriert, wurden die Kampftechniken zum Kung Fu weiterentwickelt und die altüberlieferten taoistischen Energie-Übungen des Taijiquan und Qigong einbezogen, um die Mönche bei ihrem viele Stunden dauernden Geistestraining (Meditation und Mentaltraining) zu unterstützen. Was entstand, war eine Mischung aus Körper- und Energieübungen, Geistestraining, buddhistischer Weisheitslehre und verschiedenen Atemtechniken – die Kunst des Shaolin, die Selbstdisziplin, Hingabe, altruistisches Verhalten, körperliche und innere Stärke verbessert.
EINE PHILOSOPHIE DER STÄRKE
Shi Yan Bao, der an diesem Buch mitwirkte, ist Großmeister des Shaolin, einer von nur ganz wenigen weltweit. Der Mönch der 34. Generation lebte selbst fast 30 Jahre im Kloster und ist einer der besten Kung-Fu-Kämpfer der Erde. Nachdem er viele Jahre als Kung-Fu-Trainer der Shaolin-Mönche tätig war, reiste er durch die Welt, um die Shaolin-Techniken zu lehren.
Stellt man Shi Yan Bao die Frage nach dem Geheimnis der Shaolin-Mönche, so gibt er eine einfache Antwort: »Du musst den Geist und den Körper stark machen.« Bei ihm gelingt das so gut, dass er sich zum Beispiel eine Gusseisenstange auf den Kopf schlägt, die dann in tausend Stücke zerspringt (die Stange, nicht sein Kopf!). Wie Drucktests gezeigt haben, sind solche Schläge auf den Schädel so stark, dass dabei Platzwunden entstehen und Knochen brechen müssten. Nicht so bei Shi Yan Bao und anderen Shaolin-Meistern: Ihnen wird – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht mal ein Haar gekrümmt. Das ist mit unserem Verstand nicht erklärbar. Und doch ist es so, es ist keine Zauberei, sondern Realität. Diese Tatsache erklären die Shaolin-Meister wie Shi Yan Bao mit dem schnellen Sammeln und Bündeln (Fokussieren) von Energie in einem beliebigen Punkt des Körpers. Eine Fähigkeit, die grundsätzlich jeder Mensch besitzt, wenn er bereit ist, hierfür besondere Übungen für Geist und Körper zu erlernen und diese regelmäßig anzuwenden. In diesem Buch werden wir Ihnen einige solcher Übungen vorstellen, obwohl es natürlich nicht das Ziel Normalsterblicher ist zu lernen, sich eine Eisenstange auf den Kopf zu schlagen und dabei unverletzt zu bleiben, oder – eine andere Übung der Shaolin-Mönche – sich zwei Speere in den Hals zu rammen, ohne Wunden davonzutragen. Doch wenn wir etwas von dieser enormen inneren Kraft entwickeln könnten, würden auch wir in vielerlei Hinsicht profitieren. Wir könnten diese Kraft für unsere Ziele nutzen.
STARK AUF GANZER LINIE
Das Training der Shaolin-Mönche entspricht einem ganzheitlichen Konzept, das die Zusammenhänge von Körper und Geist berücksichtigt und alle Bereiche des menschlichen Lebens umfasst. Die jahrtausendealte Lehre deckt sich dabei in verblüffender Weise mit Erkenntnissen der modernen Wissenschaften. Ob Gehirnforschung, Ernährungswissenschaften, Medizin, Verhaltensbiologie oder Positive Psychologie – was in den letzten paar Jahrzehnten an westlichen Instituten erforscht wurde, praktizieren Shaolin-Mönche seit Jahrtausenden. Ihnen genügt als Beleg für die Richtigkeit ihres Tuns das, was am Ende dabei herauskommt: ein Mensch mit kräftigem, vitalem Körper, der seine Gedanken kontrollieren kann, zufrieden ist und Verantwortung für sich und andere übernimmt. Jeder Gedanke, jedes Gefühl und jede Handlung wird nach den Leitkriterien »heilsam« oder »unheilsam« abgewogen.
In diesem Zeichen stehen auch das intensive Training, die konsequente Selbstdisziplin und die strengen Verhaltensrichtlinien der Mönche.
Zum Shaolin-Erfolgsmodell gehören die folgenden Faktoren:
ERNÄHRUNG
Die Ernährung der Shaolin-Mönche deckt sich im Wesentlichen mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: so viel wie möglich Gemüse, Salat, Getreideprodukte (je weniger ausgemahlen, desto besser), Hülsenfrüchte und Obst essen, reichlich Wasser oder Tee trinken, wenig Fleisch und so wenig Fett und Zucker wie möglich und: nicht zu viel essen. Mäßigung führt zum gesunden Mittelweg.
BEWEGUNG
Die Shaolin-Mönche praktizieren Kung Fu, Qigong, Taijiquan und Tong tsi Gong (eine intensive Yogaform). Die Übungen erhöhen gezielt die Lebensenergie, das Qi, und bringen diese Energie in Fluss – was übersetzt »Gong« bedeutet. Sie finden einige Beispiele für Qigong-Übungen im Kapitel »Den Körper kräftigen« ab > sowie weiterführende Literatur auf >.
ENTSPANNUNG UND SCHLAF
Wichtig für Geist und Körper ist gemäß Shaolin-Philosophie auch ausreichend Schlaf. 7,5 Stunden pro Nacht empfiehlt die moderne Schlaf- und Gehirnforschung. Tagsüber sind außerdem immer wieder kurze Entspannungsphasen (Pausen) wichtig. Vor allem Menschen, die viel und schnell arbeiten, sollten jede Stunde einige Minuten abschalten und entspannen. Den Shaolin-Mönchen dienen dazu verschiedene Übungen und Meditationen, von denen ebenfalls einige in diesem Buch vorgestellt werden.
GEISTESTRAINING UND MEDITATION
Ziel des Shaolin-Geistestrainings, zu dem Meditationen und Mentaltraining gehören, ist zunächst die – im positiven Sinne – Kontrolle der Gedanken, denn negative, unkontrollierte und destruktive Gedanken sind die Hauptursache allen Leidens (siehe auch >). Diese zentrale buddhistische Auffassung teilen auch die Shaolin-Mönche. Im Gegensatz zu Schmerz, der durch etwas von außen zugefügt wird, ist Leid also selbst gemacht. Wenn wir aber selbst es sind, die Leid produzieren, können wir es folglich auch selbst vermeiden, so die Logik der Shaolin. Doch wie sieht das konkret aus? Leid wird vermieden durch die Sammlung und gezielte Ausrichtung unserer Gedanken mittels der Vorstellungs- beziehungsweise Imaginationsfähigkeit. Durch entsprechende Übungen lernen wir, Kraft aufzubauen und diese gezielt gegen negative Gedanken zu lenken. Mit den Methoden des Shaolin-Geistestrainings werden wir uns noch ausführlich beschäftigen.