„Na ja, lassen wir das den Richter klären. Haben Sie sich schon darum gekümmert, ob Peschke vernommen werden kann?“
„Ja, Herr Hauptkommissar. Aber es geht nicht.“
„Noch bewusstlos?“
„Nein. Ein zweiter Infarkt. Tot.“
Der Hauptkommissar sprang vom Stuhl.
„Menschenskind, ist das wahr? Der olle Peschke tot? Mensch, Kolbig, wissen Sie, dass Peschke die Kegelbahn für den Polizeisportverein gestiftet hat? Verdammt noch eins, Kolbig, das ist ’n Schlag ... Der hätte auch noch was für eine neue Aschenbahn auf dem Sportplatz zugegeben. Wann ist die Beerdigung?“
„Keine Ahnung, Herr Hauptkommissar.“
„Stellen Sie das fest. Da spielt eine Kapelle von uns.“
Kolbig rollte die Augen.
„Aber, Herr Hauptkommissar, er ist doch immerhin an einem mehr oder weniger selbstverschuldeten Unfall ...“
„Unfall, richtig. Ein Unfall. Und wie war das mit der Herzgeschichte? Kann das nicht sein, dass er den Infarkt bekommen hat, dass ihm die Karre davonlief, ohne überhaupt etwas bemerkt zu haben? Könnte doch sein. Kolbig. Na, nun überlegen Sie mal: Die Kegelbahn hat gut und gerne ihre acht Mille gekostet, wenn man bedenkt, dass Peschke die Materialien zum Selbstkostenpreis stellte. Kolbig, für acht Mille kann die Polizeikapelle mal ’n Marsch blasen. Trauermarsch, versteht sich. Mein Gott, der olle Peschke auf dem Friedhof. Ein tüchtiger Mann war er ja. Nur auf seine Tochter, auf die hätte er besser aufpassen müssen. Aber ich seh’ es ja an meinen. Man hat dauernd Dienst, und wenn
man keinen Dienst hat, ist da und dort Versammlung, tausend Dinge, und die Gören, die treiben zu Hause ihren Schabernack. Und die Mütter, na ja, man weiß ja, wie das geht. Die schaffen’s nicht. Unsere Kinder, Kolbig, das ist das Problem. Wir haben zu wenig Zeit für sie. Daran liegt es. Lehrer müsste man sein. Die sitzen den ganzen Nachmittag zu Hause herum. Und dann die Ferien. Unsereiner schuftet von früh bis spät. – Kolbig, stellen Sie fest, wann Peschke beerdigt wird. Ich sorge dafür, dass die Musik antanzt.“
*
PESCHKE WAR BEGRABEN, und die Polizeikapelle hatte dazu gespielt.
Der Schülerchor des Gymnasiums hatte gesungen. Es war, wie man so sagt, ein schönes Begräbnis.
Dr. Wolf nahm nicht daran teil. Frau Peschke verstand ihn zu gut, doch Inge wollte das nicht verstehen. Es kam aber zu keiner Auseinandersetzung deswegen, denn dazu ergab sich keine Gelegenheit. Und so schwelte die Verstimmung zwischen beiden.
Frau Peschke übernahm das Geschäft. Niemand hielt es für möglich, dass sie mit dieser Bürde fertig werden könnte. Frau Peschke selbst bezweifelte das ebenfalls. Deshalb machte sie einen Schritt, zu dem Peschke die Weisheit gefehlt hätte. Sie besprach sich mit dem alten Ritter, und zwei Wochen später hieß es Peschke & Ritter. Und Frau Peschke, die trotz ihrer Trauer um ihren Mann nicht den Kopf hängenließ, stieg mit beiden Beinen in ihr neues Leben ein.
Inge half ihr eine Zeitlang, doch dann nahte ihr Prozess, und Dr. Wolf konnte ihr wenig helfen. Er bekam nämlich einen Forschungsauftrag der Universität und verließ die Klinik.
Zu Inges Prozess wollte er dabei sein, doch der Termin wurde kurzfristig verlegt, er kam – da er nichts davon wusste – zu spät. Inge war schon verurteilt. Drei Monate Gefängnis und zehn Jahre Führerscheinentzug. Die Strafe wurde zur Bewährung auf Grund mildernder Umstände ausgesetzt. Inge hatte Glück gehabt.
Aber es war nicht mehr die Inge, die Dr. Wolf kannte. Sie war still, hörte kaum zu, wenn er etwas zu ihr sagte, trug schwarze Kleider, was zwar wegen der Trauerzeit verständlich war, doch sie hätten dennoch etwas schick sein können. Das waren sie aber nicht.
Bald merkte Dr. Wolf, dass ihr alles gleichgültig zu werden begann, auch er. Inge saß nur noch im Büro, rechnete ab, machte Kalkulationen, gab Bestellungen auf und dergleichen Dinge. Sie arbeitete bis in die Nacht, war ständig übermüdet und sah dementsprechend aus. Auf ihr Äußeres gab sie nichts; ob Dr. Wolf von Bonn zu Besuch kam, schien ihr gleichgültig zu sein.
Schon lange wehrte sie Liebesbezeigungen ab. Erst im Hinblick auf den Tod des Vaters, später sagte sie, sie sei zu müde, und schließlich kam auch Dr. Wolf immer seltener.
Längst war Frau Hartwig wieder zu Hause, Mutter und Kind gesund. Und längst auch hatte der Verwaltungsrat den Vertrag von Professor Oberweg verlängert, den Neubauplan genehmigt und so manche Mark in neue Instrumente und medizinische Apparaturen gesteckt.
Eigentlich hätte alles gut sein können, wenn Inge anders gewesen wäre. Einmal traf Dr. Wolf den alten Herrn Ritter wieder, der ihn erneut aufforderte, ihn zu besuchen, seine Teilhaberin über den grünen Klee lobte und sehr mit der Welt zufrieden zu sein schien.
Dann wurde Inge krank, eine Grippe, die einfach nicht besser wurde, aber die Behandlung übernahm der Hausarzt, und das war Dr. Werner. Dr. Wolf besuchte Inge, doch sie fühlte sich noch schwach und bat ihn, die klärende Aussprache zwischen ihnen zu verschieben. Sie wolle ihn wissen lassen, wenn er sie wieder besuchen könne.
Nach der Krankheit fuhr sie zur Erholung, ohne ihm Bescheid zu sagen. Der Anruf zu einem Besuch war ebenfalls ausgeblieben. Dr. Wolf beschloss, mit der Mutter zu reden, um klare Verhältnisse zu schaffen.
Inzwischen aber hatte sich in der Klinik auch einiges getan. Professor Oberwegs Neubau wurde noch vor dem Winter in Angriff genommen. Dr. Wolf, kaum aus Bonn zurückgekehrt, musste Dr. Holmann vertreten, der die Leitung der Klinik für den Professor übernommen hatte. Denn für Professor Oberweg gab es nun nur noch eines: den Neubau.
Dr. Wolf hatte ein Zimmer bei einer älteren Dame, die sich immer freute, wenn er einmal in diesem Zimmer schlief. Das kam aber im Monat nur drei- bis viermal vor. Meist dehnte sich Dr. Wolfs Dienst bis in die Nacht aus, so dass er gleich in der Klinik blieb. In seinem Büro stand eine Couch, auf ihr schlief er.
Neben seinem Büro befand sich seit einigen Monaten das Zimmer von Fräulein Dr. Schendt, der neuen Kollegin aus der Stuttgarter Privatklinik, deren Personal Professor Oberweg „en bloc“ übernommen hatte.
Fräulein Ellen Schendt war Assistenzärztin, siebenundzwanzig Jahre jung, brünett und im Grunde nicht das, was man eine Schönheit nennt. Dazu war ihr Gesicht etwas zu herb, ihre Figur zu eckig und ihr Gang war jungenhaft. Wenn sie einem Kollegen die Hand gab, erinnerte das an den Händedruck eines Zimmermanns, nicht an den einer schwachen Frau. Und schwach war Fräulein Dr. Schendt gewiss nicht.
Dr. Brecht nannte sie ein Pferd. Dr. Holmann meinte, aus ihr wäre besser ein Junge geworden, und Dr. Wolf hatte zunächst überhaupt keine Meinung. Er nahm sie zwar als Kollegin zur Kenntnis, doch dass es sich bei ihr um eine Frau handelte, schien ihm ganz entgangen zu sein.
Bis zu jener Nacht im November.
Draußen stürmte und goss es. Ein Wetter, bei dem man keinen Hund auf die Straße jagte. Dr. Wolf lag in seinem Büro und schlief, denn heute war ihm der Weg zu seinem Zimmer zu umständlich gewesen, obgleich er schon am Nachmittag mit allem fertig geworden war.
Fräulein Dr. Schendt hatte Nachtdienst. Auch Schwester Gerda hatte Nachtdienst. Schon am Abend hatte sich Dr. Wolf gefragt, wie es möglich war, dass jemand ausgerechnet diese beiden gemeinsam in den Nachtdienst einteilen konnte. Bis ihm eingefallen war, dass er selbst das so veranlasst hatte. Er wollte das morgen ändern.
Schwester Gerda hatte sonst nur Tagdienst. Da fiel es niemandem weiter auf, dass sie ein lauter Trampel war, mit Feldwebelstimme auf den Gängen herumbölkte und besonders im Umgang mit männlichen Patienten, vor allem den jüngeren Leuten, die richtige derbe Art hatte.
Fräulein Dr. Schendt hätte in dieser Beziehung in jedem Falle Schwester Gerdas Tochter sein können. Sie war