Jim schien bei allem Ärger über Michael T. Swann seinen Humor wiedergefunden zu haben.
Dann deutete er in Richtung von Swanns Bürotür.
"Trotzdem", meinte er. "Ich frage mich, ob ich mir so etwas bieten lassen muss!"
"Du kennst Swann doch. Er wird sich beruhigen - und du dich auch!"
"Vermutlich hast du recht, Patti! Bist du eigentlich so vernünftig auf die Welt gekommen oder hat sich das erst später entwickelt?"
"Na, hör mal!"
Er grinste.
"War ja nur 'ne Frage", lachte er dann. Er sah auf die Uhr. "Ich muss jetzt los. Eine Standpauke von Swann reicht mir am Tag!"
Er wollte gehen, aber ich hielt ihn noch einen Moment zurück.
"Jim..."
"Ja?"
"Hast du Tom heute morgen schon gesehen?"
"Ja. Aber du bist heute ein bisschen spät dran. Er ist schon unterwegs."
"Schade."
Jim grinste breit. "Na, ich denke ihr seht euch doch oft genug. Außerhalb der Bürozeiten in der Redaktion wohlgemerkt!"
Ich lächelte milde und hob die Augenbrauen.
"Hast du noch nichts davon gehört, dass wir neuerdings 26 Stunden täglich in der Redaktion anwesend sein müssen? Da wird die Zeit schon mal ziemlich knapp, um sich anschließend noch zu treffen!"
Jim zwinkerte mir zu. Das war ein Spaß nach seinem Geschmack.
"Fragt sich, ob das eine neue Sparmaßnahme des Verlages ist oder Mr. Swann sich nachts allein in diesem großen Haus fürchtet..."
Wir bemühten uns beide, so dezent zu lachen, dass man es nicht bis in Mr. Swanns Büro hören konnte. Die Milchglasscheibe in der Bürotür war nämlich nicht gerade das, was man heutzutage unter einer guten Schallisolierung verstand.
*
ICH VERBRACHTE DIE nächsten anderthalb Stunden damit, Routinearbeiten zu erledigen. Unter anderem bearbeitete ich verschiedene Pressemeldungen so, dass daraus Artikel für unsere Zeitung wurden, gestaltete Überschriften und Unterzeilen zu den Bildern.
Ich war dermaßen konzentriert, dass ich für eine Weile alles andere vergaß.
Selbst das leichenblasse Gesicht der jungen Frau, der man einen Strick um den Hals gelegt hatte.
Meine Finger glitten über die Computertastatur, und ich schrak zusammen, als plötzlich der Griff zweier Hände meine Schultern erfasste.
"Hallo, Patti", begrüßte mich eine Stimme mit unverwechselbarem, dunklen Timbre. Eine Stimme, deren Klang mir durch und durch ging und mir einen wohligen Schauder über den Rücken trieb.
Ich drehte mich herum.
"Tom...", flüsterte ich und sah in ein paar grüngrauer Augen. Tom Hamilton - ehemals Korrespondent für eine große Nachrichtenagentur - war seit einiger Zeit genau wie ich als Reporter für die LONDON EXPRESS NEWS tätig und inzwischen hatte ich mich unsterblich in diesen gutaussehenden, dunkelhaarigen Mann verliebt.
Unsere Lippen trafen sich zu einem kurzen Kuss.
"Ich hoffe, du hast mich auch richtig vermisst", raunte er mir zu.
"Du hast ja keine Ahnung, wie sehr", erwiderte ich und strich ihm leicht über das Kinn. "Bist du wenigstens einer interessanten Story auf der Spur?"
Tom machte eine wegwerfende Geste.
"Ich war in Old Baily. Wegen einer Gerichtsreportage. Leider ist man über die Personalien des Angeklagten nicht hinweggekommen. Die Verhandlung ist vertagt worden, und ich frage mich jetzt, wie ich aus der ganzen Sache noch einen Artikel mache..."
Ich erhob mich aus meinem Drehstuhl. Tom fasste mich am Oberarm und half mir auf. Unsere Blicke verschmolzen miteinander. Ich wünschte mir in diesem Moment, allein mit ihm zu sein. Nur wir beide, seine Arme um meine Schultern, unsere Körper so nah, dass jeder den Herzschlag des anderen spüren konnte...
Aber wir befanden uns leider an einer der unromantischsten Örtlichkeiten in ganz London: dem Redaktionsbüro der LONDON EXPRESS NEWS.
Tom strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus meiner Frisur herausgestohlen hatte.
"Leider werde ich den Rest des Tages wohl mehr oder weniger in den Katakomben verbringen müssen..." Mit den Katakomben meinte er das Archiv unseres Verlages, das sich im Keller befand.
"Was ist mit heute Abend?"
Er lächelte.
"Das geht in Ordnung."
"Ich freue mich drauf!"
"Ich mich auch."
"Um acht Uhr hole ich dich zu Hause ab, okay?"
"Ja..."
"Gehen wir nach dem Kino noch essen?"
"Aber zur Abwechslung mal nicht italienisch." Tom lachte. Er hatte eine Vorliebe für italienisches Essen, die ich normalerweise auch durchaus teilte. Und so waren wir vorwiegend in eines der zahlreichen italienischen Restaurants gegangen, die es in London gab. "Okay...", sagte er sanft.
"Weißt du, ich kann einfach für eine Weile keine Pasta mehr sehen", erwiderte ich. "Genug ist einfach genug!"
"Bis nachher!"
Er küsste mich zärtlich auf die Wange. Und dann sah ich ihm nach, wie er sich in Richtung der Tür bewegte, um auf den Flur und dann in den Aufzug zu gelangen. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch und fragte mich, ob dieses intensive Gefühl wohl irgendwann nachlassen oder sich ewig erhalten würde. Ein toller Mann, dachte ich. Und sein Herz gehörte mir. Ich würde es so schnell nicht loslassen.
*
ES WAR EIN GEWÖHNLICHER Tag in der Redaktion, an dem nichts besonderes mehr geschah.
Oder vielleicht doch.
Ich bekam nämlich ein dickes Lob von Michael T. Swann, der sich eine Reportage von mir vorgenommen und eigenhändig redigiert hatte. Und mit Lob ist Swann nicht sehr verschwenderisch. Vielleicht wollte er mich aber auch darüber hinwegtrösten, dass er meine Reportage auf die Hälfte zusammengestrichen hatte, weil plötzlich ein wichtiger Anzeigenkunde mit einem Großauftrag gekommen war. Es hatte leicht zu nieseln begonnen, als ich am frühen Abend das Verlagsgebäude verließ.
Einen Schirm hatte ich nicht dabei, denn der Tag hatte sonnig und warm begonnen. So blieb mir nichts anderes übrig, als den Parkplatz so schnell wie möglich zu überqueren. Ich atmete tief durch, hielt meine Handtasche fest und spurtete los. Dabei versuchte ich, darauf zu achten, nicht gerade in eine Pfütze zu treten. Aber es war schon zu spät. Ich fühlte, wie das Wasser in meinen linken Turnschuh eindrang. Zu Hause würde ich mich ohnehin für den Abend umziehen. Das war mein einziger Trost in dieser Sekunde. Den kirschroten Mercedes 190 hatte ich am äußersten Rand des Parkplatzes abgestellt. Da ich am Morgen ja etwas zu spät dran gewesen war, hatte es einfach keine andere Möglichkeit mehr gegeben. Und dabei hatte ich noch froh sein können, überhaupt eine Parkmöglichkeit zu finden.
Ich spurtete die lange Reihe von Pkws entlang und hielt dann kurz inne.
Der Regen wurde stärker. Das Haar klebte mir bereits am Kopf. Graue Wolken hatten den Himmel wie ein schmutziges Tuch überzogen. Es war verhältnismäßig dunkel geworden. So dunkel, dass die Helligkeitsmelder der Straßenbeleuchtung reagierten. Die Laternen leuchteten auf.
In