Der Kleine auf dem Fahrersitz neben ihm war hellauf begeistert von der Fahrt.
„Ich wollte immer schon einmal auf einem Fahrersitz Platz nehmen“, sagte er zu Dan. „Dad ließ
es nicht zu. Er sagte, die Stagecoachfahrer seien viel zu wild und hätten alle den Ehrgeiz, die Pferde am schnellsten rasen zu lassen. Sie fahren sehr langsam, Mister.“
Nun, der Kleine hatte recht. Dan stand der Sinn ganz und gar nicht danach, ein Rennen mit der Stagecoach zu machen. Er ließ die Pferde im Schritt gehen und beobachtete unablässig die Umgebung. Über ihm am Himmel sah er Geier ihre Bahn ziehen, die, von der frischen Beute angelockt, sich bald auf das tote Pferd stürzen würden, um ihre Aufräumarbeit zu beginnen. Dan wusste nur zu gut, wie sehr er im Augenblick von seinen Beobachtungen und vom Zufall abhängig war. Es kam die Sorge um Ann Palmer hinzu. Immer wieder fragte er sich, ob die Stammesangehörigen sie wohl erwischt und zu den Rohhäutern zurückgebracht hatten. Wenn das der Fall war, würde sie ihr weiteres Leben in einer Hölle zubringen müssen.
Sie fuhren vorsichtig weiter. Dan hing seinen Gedanken nach. Doch immer wieder schaute er misstrauisch umher. Der Junge neben ihm wurde unruhig.
„Was ist, Kleiner?“
Der kleine Ranchersohn deutete nach rechts zu einer Hügelkette hin, hinter deren bewaldeter Buschmauer goldiger Staub aufstieg, der langsam weiterzog.
„Reiter“, sagte der Kleine scheinbar gelassen, als wäre er ein indianischer Kundschafter, der den Feind ausgemacht hatte.
Es gab keinen Zweifel, der Staub musste von Reitern aufgewirbelt worden sein, die den Hügelkamm überritten hatten und sich nun auf der anderen Seite des Hanges weiterbewegten. Mit schmal gezogenen Augenlidern schaute Dan zu der Staubwolke hin.
„Rüdiger“, wandte er sich an den Rancher, „es sieht so aus, als kämen einige Reiter von der Pferdewechselstation.“
„Ich beobachte es bereits ebenfalls“, kam die Antwort des Ranchers. „Es mögen diese hartgesottenen Rohhäuter sein, die des Wartens müde sind und erkannt haben, dass sie vergeblich auf das Mädchen warteten. Um so besser für die Kleine, dass die Rohhäuter abzogen. Wir werden sie bei unserer Ankunft bei der Station sicher nicht vermissen. Offen gestanden, diese Rohhäuter sind mir unheimlicher als es echte Sioux sind. Bei letzteren weiß man gleich an der Kostümierung und an der Hautfarbe, woran man mit ihnen ist. Leider weiß man das bei den Rohhäutern nie zu sagen.“
„Sie kennen sie, Rancher?“
„Nicht besonders gut. Mir genügt es, dass man mir vor einigen Jahren beim Vorbeizug der Rohhäuter über ein Dutzend Färsen stahl und schlachtete, dass einige dieser Burschen so dreist waren, mir die Hühner und Enten aus den Ställen zu holen. Ich kann diese Leute einfach nicht sehen. Bei ihrem Anblick kribbelt es mir in den Fingern.“
„Es sind Nomaden, genügsam und ständig unterwegs. Sie belasten sich nicht mit Reichtümern und leben dennoch.“
„Gewiss, auf Gottes ureigener Welt leben eine Menge sonderbarer Menschen“, erwiderte Frank Rüdiger aus dem Wagen heraus. „Vielleicht ist es gut so, dass sie alle verschieden sind. Man kann sie mit Blumen vergleichen in einem bunten Garten. So lange man mich in Frieden lässt, habe ich nichts gegen andere einzuwenden.“
Dan antwortete nicht. Er hatte die Staubwolke nicht einen Augenblick lang aus den Augen gelassen. Sie kam jetzt näher, und es war zu befürchten, dass die unter ihr reitenden Männer in einem Tal sichtbar wurden.
„Ich ziehe es vor, in eine Deckung zu fahren“, wandte Dan sich an den Rancher. „Die Rohhäuter kommen auf dem Weg heran, und ich möchte ihnen nicht begegnen.“
„Freund, Sie haben einen Grund dafür?“
„Einen sehr stichhaltigen, Rancher. Ich möchte nicht der Hase sein, den viele Hunde zu Tode hetzen. Ich habe diese Menschen wahrhaftig nicht herausgefordert, doch zu meinem Pech mögen sie mein Gesicht nicht mehr leiden. Ich ziehe es vor, ihnen meinen Anblick zu ersparen.“
„So ähnlich erging es mir, als die Kavallerie uns Boomers auf Anweisung der Regierung wieder aus diesem herrlichen Lande vertreiben wollte“, erwiderte der Rancher rau. „Sie warfen uns vor, dass wir einen Staatsvertrag gebrochen hätten. Was heißt das schon? Die Regierung selbst hat immer wieder ihre Verträge mit den Redmen gebrochen. Die Siedlerflut ist einfach nicht aufzuhalten. Das Pech der Indianer ist, dass sie um viele Jahre zurück sind, und ein weiteres Pech, dass sie trotz des Eindringens der Weißen in ihr Gebiet von ihren Kämpfen untereinander nicht abließen. Eines Tages wird die Regierung das Land Oklahoma offiziell zur Besiedlung freigeben. Wir, die wir die US-Armee zurückschlagen konnten, sind wohl nur deshalb so gut davongekommen, weil man an höchster Stelle weiß, dass die Siedler doch nicht zurückzuhalten sind.“
Er brach ab, denn Dan Flemming bog mit dem Wagen von der Fahrroute ab und brachte ihn hinter Bäumen und Gestrüpp zum Halt. Als er vom Bock kletterte, kam auch Rüdiger aus der Kutsche heraus. Er trug seinen Revolver griffbereit und erklärte Dan: „Falls es Schwierigkeiten geben sollte, ich bin auf Ihrer Seite.“
„Ich auch, Dad“, meldete sich der Junge. „Gib mir doch bitte jetzt ein Schießeisen, Dad.“
„Nein“, erklärte der Vater. „Du brächtest es unter Umständen fertig und würdest wie ein Mann kämpfen. Das Schlimme dabei ist, dass der, der wie ein Mann kämpft, auch wie ein Mann sterben müsste, und zu letzterem bist du noch viel zu jung.“
Der Vater gab seinem Sohn strikte Anweisungen, und Dan erkannte immer mehr, dass es gar nicht so übel war, diesen Mann zum Bundesgenossen zu haben.
Die beiden Männer verließen das Versteck der Coach, um die Bewegung der Rohhäuter von einer geschützten Stelle aus besser beobachten zu können. Sie brauchten nicht lange zu warten. Über ein Dutzend Reiter kam aus einem Taleinschnitt auf die Stagecoachlinie geritten. Schon von weitem machte Dan sie als Rohhäuter aus. Jeden einzelnen von ihnen hätte er nach der Art zu reiten mit Namen nennen können. Dans Befürchtungen, dass sie Ann als Gefangene bei sich haben könnten, erwies sich zum Glück als falsch. Das trug dazu bei, dass er erleichtert aufatmen konnte.
Der Trupp ritt nicht direkt auf der Stagecoachlinie, sondern parallel zu ihr. Rasch kamen sie bis auf fünfzig Schritte heran. Wenig später war der vorderste von ihnen vorbeigeritten und bog von der Stagecoachlinie ab.
„Glück für uns“, sagte der Rancher. „Wenn sie diesen Kurs beibehalten, werden sie weder das tote Pferd noch die Spuren des Kampfes finden und keine Zeit damit verschwenden, uns zu folgen. Fahren wir weiter, Freund!“
Nun, Dan hatte nichts dagegen. Die Stagecoach rollte weiter. Eine Stunde war sie unterwegs, als in einem Tal die Pferdewechselstation sichtbar wurde. Beim Näherkommen erkannte man, dass der Corralzaun niedergerissen worden war. Niemand war damit beschäftigt, ihn wieder aufzurichten. Nur ein Mann hockte auf dem Vorbau, der einen frischen, weithin leuchtenden weißen Kopfverband trug. Er hielt eine doppelläufige Schrotflinte zwischen den Knien. Er hob sie an, als er den fremden Fahrer auf dem Bode der Stagecoach erkannte und rief, als das Gefährt in Hörweite war:
„Was soll das? Wer sind Sie? Was ist mit der Stagecoach passiert?“
Dan beachtete die auf ihn gerichtete Schrotflinte nicht, sondern betrachtete das Gebäude. Er konnte erkennen, dass ein Kampf stattgefunden hatte, denn er sah frische Einschusslöcher im Holz des Gebäudes.
„Es sieht so aus, als hätte eine Siouxhorde einen Angriff auf die Station gemacht“, sagte er zu dem böse dreinblickenden alten Mann.
In diesem Augenblick kletterte Rüdiger aus der Coach und ging auf den alten Mann zu und redete auf ihn ein. Das hatte den Erfolg, dass die drohende Haltung des Alten augenblicklich verflog und die Schrotflinte mit ihrer gefährlichen Ladung aus gehacktem Blei