„Wo nur der verflixte Bengel wieder ist!“, sagte Rüdiger böse. „Aber vielleicht ist es besser so, wenn er nicht sieht, wie wir den Fahrer in eine Decke rollen und in die Stagecoach legen. Es ist kein erfreulicher Anblick, und so ein Kind kann einen Schock fürs Leben bekommen. — Was haben Sie nur, Flemming?“
„Rufen Sie Ihren Jungen, Rüdiger!“, erwiderte Dan rau. „Ich will nicht, dass er in der Gegend herumstreicht. Er ist der Sohn eines Westmannes und gewiss nicht so empfindlich, wie Sie ihn hinstellen wollen. Er muss unter unseren Augen bleiben, er soll die Pferde halten.“
„Was soll das, Flemming?“
„Tun Sie, was ich Ihnen sage“, erwiderte Dan rau, dem es beinahe leid tat, geholfen zu haben. Nur zu leicht konnte der Junge den Rappen entdecken, und dann .. .?
„Dad“, hörte man jetzt die Stimme des Jungen aus der Richtung, in der der Rappwallach sich befand, „Dad, komm rasch her, Blacky ist wieder da! Blacky steht hier versteckt. Wir haben Blacky wieder, Dad!“
Die Augen des Ranchers wurden weit, sein Blick erstarrte. Heiser kam es über seine Lippen: „Junger Mann, Sie haben nicht nur meinem Sohn und mir das Leben gerettet, Sie haben mir auch mein Lieblingspferd, den Rappwallach zurückgebracht! Ich kann es kaum glauben. Steht dort wirklich Blacky, Flemming?“
„Ja“, entgegnete Dan, „Ihr Sohn irrt sich nicht. Es ist ein Rappwallach mit einem Schaufelbrandzeichen.“
„Und Sie haben ihn den beiden blonden Männern abgejagt? Sie waren auf dem Weg zur Ranch, um ihn zurückzubringen?“
„Es verhält sich nicht ganz so, Rancher. Ich bin auf der Flucht vor einem starken Rudel Rohhäuter. Ich hätte Blackys Schnelligkeit zuerst einmal für mich selbst eingesetzt.“
„Wenn es weiter nichts ist, Flemming“, erwiderte Rüdiger. „Auf der letzten Pferdewechselstation sind in der Nacht in der Tat vor der Ankunft der Stagecoach eine Handvoll Rohhäuter eingetroffen und machten sich dort breit. Die ganze verwahrloste Bande ist schwer bewaffnet gewesen. Doch keiner der Burschen war gekommen, um mit der Stagecoach zu fahren. Sie lagerten sich rings um die Station. Sie alle machten keinen freundlichen Eindruck. Soviel ich ihren Gesprächen entnehmen konnte, drehte es sich um eine junge, bildschöne Frau, die ihrem Mann auf und davon gegangen ist. Man rechnete damit, dass sie diese Stagecoachlinie zur Durchführung ihrer Flucht benutzen würde.“
„Großer Gott, Ann ...!“
„Sie kennen die gesuchte Frau, Flemming?“
„Ja“, erwiderte Ben. „Wenn sie auf der Flucht ist, geht sie durch die Hölle.“
„Sie steht Ihnen sehr nahe?“
„Ja“, erwiderte Ben mit gepresst klingender Stimme. „Jetzt kann ihr allerdings niemand helfen, nicht einmal ich. Ich habe das nicht gewollt, Ann ..“
„Junger Mann, wenn sie Glück hat, kann sie ihren Häschern entwischen“, erwiderte Rüdiger. „Von jetzt an stehen Sie unter meinem Schutz. Ich bin mächtig, und wenn ich es will, habe ich eine Hundertschaft zur Verfügung, gegen die eine Kampfgruppe der Rohhäuter nichts ausrichten kann. Wir werden Ihre Ann schon finden, nur keine Sorge! Aber warum hören Sie nicht zu, Flemming?“
Dan antwortete nicht. Er hatte eine Decke aus der Stagecoach geholt und war dabei, den toten Fahrer darin einzuhüllen. Ohne Hilfe trug er ihn dann zur Stagecoach und legte ihn in das Gefährt hinein.
„Auf seiner letzten Fahrt soll er wie ein Fahrgast gefahren werden“, erwiderte Dan auf Rüdigers Protest hin. „Ihr Sohn kann zu mir auf den Fahrersitz kommen. Dort kommt er schon und bringt Blacky. Er soll ihn hinten an die Kutsche binden, und Sie steigen dann zu dem toten Fahrer in die Kutsche, Rancher. Sie werden seine Ehrenwache sein.“
„Tun Sie immer genau das, was Sie sich in den Kopf setzen, Flemming?“
„Nicht immer, Rancher. Wenn ich erkenne, dass jemand einen besseren Vorschlag hat, akzeptiere ich den. Worauf warten wir also noch?“
„Auf die Beantwortung einer Frage, junger Mann. Waren die beiden blonden Männer, die Blacky stahlen, Ihre Freunde?“
„Sie schalten schnell, Rüdiger.“
„Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, dass es nur die eigene Not war, die Sie Blacky von der Weide holen ließ?“
„Ich gebe zu, dass Blacky zum Zweck meiner Flucht von der Weide geholt wurde“, sagte Dan mit fester Stimme.
„Ich will Ihre Beweggründe nicht wissen, denn ich glaube und vertraue Ihnen, Flemming“, sagte Rüdiger. „Meine Crew wird die Jagd einstellen. Fahren wir also los!“
4.
Dan Flemming hob den Jungen zu sich auf den Fahrersitz, dann kletterte er über das Wagendeck und kontrollierte, ob der Junge das Pferd ordentlich angebunden hatte. Dan musste feststellen, dass der Junge seine Sache gut gemacht hatte.
„Mister“, sagte der Knirps, „wenn ich jetzt noch eine Kanone haben könnte, dann bin ich so gut wie Buffallo Bill. Der Rückschlag eines Revolvers kann mich schon lange nicht mehr umwerfen.“
„Soll das heißen, dass du schon einmal versucht hast zu schießen?“, fragte Dan ihn, als er den Fahrerplatz einnahm und die Zügel ergriff.
Der Junge nickte stolz.
„Ich habe Dads Colt ausprobiert“, sagte er selbstbewusst. „Ich habe auf einen alten Stetson geschossen und Löcher wie in einen Käse hineingeschossen. Dad hat es anfangs nicht gern gesehen, doch dann nahm er mich auf die Truthahnjagd mit, und zu meinem Geburtstag bekam ich eine richtige Winchester. Hätte ich sie nur auf diese Reise mitnehmen dürfen, ich würde Dad beschützt haben.“
„Du hättest die Waffenmündung wirklich auf einen Menschen gehalten?“, fragte Dan überrascht.
Der Kleine nickte heftig.
„Ich will ein richtiger Westmann werden“, sagte er dann stolz.
„Dann ist es nur gut, dass dich dein Vater ohne Waffe mitnahm, Kleiner“, erwiderte Dan. „Wenn du älter geworden bist, wirst du auch wissen warum. Es ist ein großer Unterschied, ob man auf Truthähne oder auf Menschen schießt. Letzteres lastet schwer auf den Schultern, und wenn du nicht ganz stark bist, drückt es dich eines Tages nieder. — Vorwärts, ihr alten Tanten!“, rief er dann den Gespannpferden zu und ließ die Stagecoach anrollen.
Frank Rüdiger, der im Inneren der Kutsche Platz genommen hatte, streckte jetzt den Kopf zum Fenster heraus und sagte zu Dan:
„Vielleicht hätten wir meinem Jungen den Toten nicht vorenthalten sollen, junger Freund. Der Kleine soll wissen, wie ein Mensch aussieht, wenn der Tod ihn eingeholt hat. Je früher er es weiß, um so besser. In diesem Land darf ein Junge nicht verweichlicht werden.“
„Rancher, er wird die Schattenseiten des Lebens noch früh genug zu sehen bekommen“, erwiderte Dan vom Fahrersitz her.
Dan Flemming war nicht wohl bei dem Gedanken, an der Pferdewechselstation auf die Rohhäuter zu treffen. Er würde vor der Station absteigen und eines der Rohhäuterpferde zu erwischen versuchen. Pferdediebstahl wurde bei den Rohhäutern als Sport betrachtet, solange man