Milo ergänzte: „Es ist davon die Rede, dass Sie uns eine Teilnehmerliste des Northern Cannonball verschaffen könnten.“
„Kann ich. Das wird sich allerdings noch etwas hinziehen. Schließlich ist die Anmeldefrist für dieses Rennen noch nicht abgelaufen. Außerdem könnte ich Ihnen vielleicht die Möglichkeit verschaffen, einen Fahrer einzuschleusen. Normalerweise kommt niemand ins Fahrerfeld, der keine persönliche Empfehlung hat. Aber da könnte ich herankommen. So weit reichen meine Verbindungen.“
„Unser Ziel ist es, dieses Rennen möglichst im Keim zu ersticken“, sagte Milo. „Wenn wir also den Startpunkt und die genaue Zeit wüssten…“
„Nein, beim Northern Cannonball ist das alles anders, Agent Tucker. Wenn Sie denken, dass Sie einfach die beteiligten Fahrer nach dem Start einsammeln können, sind Sie schief gewickelt. Die Organisatoren haben durch die Fehler gelernt, die die Organisatoren vergleichbarer illegaler Rennen schon gemacht haben. Es geht nämlich einfach um viel zuviel Geld…“
Ich wechselte einen kurzen Blick mit Milo, der die Augen etwas verengte. Mein Kollege war bisher noch skeptisch, ob wir es vielleicht doch mit jemandem zu tun hatten, der am Ende nicht halten konnte, was er versprach. Ich teilte seine Skepsis. Andererseits wollte ich dieser Frage wirklich gründlich auf den Grund gehen.
„Hören Sie, ich will ganz offen sein“, sagte ich. „Bisher habe ich den Eindruck, dass Sie gar nichts haben, was uns wirklich interessiert, sondern nur viel Lärm um Nichts machen. An den Fahrern wären wir wirklich interessiert, aber damit halten Sie uns hin. Und ich nehme an, was Startpunkt und den genauen Starttermin angeht, sieht das genauso aus!“
„Ich kann Ihnen tatsächlich diese Daten nicht geben, aber wenn Sie mir einen Moment zuhören, dann werden Sie auch verstehen warum.“
„Da bin ich aber doch mal gespannt“, sage ich und lehnte mich zurück.
„Die Sache funktioniert so: Jeder beteiligte Fahrer bekommt über einen Mittelsmann einen GPS-Sender, den er an seinem Wagen befestigen muss. Per Email bekommen Sie ein Datum und eine Uhrzeit mitgeteilt. Vor diesem Zeitpunkt müssen Sie sich östlich des 75. Längengrades befinden.“
„Egal wo?“
„Suchen Sie sich einen strategisch günstigen Punkt aus, um einen guten Start auf dem Weg nach Seattle zu haben, Agent Trevellian. Aber wer den 75. Längengrad vorzeitig überschreitet ist draußen. Definitiv. Anhand des GPS-Signals ist das eindeutig zu sehen. Ziellinie ist der 124. Längengrad bei Seattle.“
„Wohin gehen die Signale?“
„In ein Hotel irgendwo in den Vereinigten Staaten oder sonst wo auf der Welt. Dort sitzen einige superreiche Motorsportfreaks oder Leute, die Wetten mit dem besonderen Kick lieben. Sie können im Gegensatz zu den Teilnehmern mitverfolgen, wer an welcher Position steht und ihre Wetten entsprechend gestalten. Auch während des Rennens noch.“
„Ich nehme an, dass es da nicht unbedingt sauber zugeht.“
„Angeblich sollen Drogensyndikate diese Wetten zur Geldwäsche nutzen. Selbst wenn sie auf den falschen setzen und für einen Schwarzgeld-Dollar nur zehn Cent wiederbekommen ist das noch ein Gewinn, weil das Geld über so viele Kanäle geleitet wird, dass es am Ende praktisch blütenweiß ist. Noch was: Es gibt ausdrücklich keine Regeln bei diesem Rennen – abgesehen von den Startmodalitäten, die ich Ihnen gerade berichtet habe.“ Ein überlegenes Lächeln erschien auf Clements Gesicht. „Wenn Sie Lust haben, Ihrem Konkurrenten die Reifen zu zerstechen, dürfen Sie das! Das macht die Sache für das Publikum besonders reizvoll – und vor allem unberechenbar, was die Wetteinsätze angeht.“
„Sie gehen offenbar davon aus, dass ich mitfahre. Aber das sehe ich ehrlich gesagt nicht.“
„Abwarten, Agent Trevellian.“
„Woher weiß der einzelne Fahrer, wer sein Konkurrent ist?“
Clement lachte. „Gar nicht! Das ist ja der Clou dabei! Jeder Fahrer eines Sportwagens, der einigermaßen PS unter der Haube hat, ist natürlich verdächtig, ein anderer Teilnehmer zu sein! Das exquisite Wettpublikum will natürlich auch sehen, wie sich exquisite Wagen messen! Ansonsten haben Sie keinen Anhaltspunkt! Die Leute, die für die Organisation dieses Rennens verantwortlich sind, haben diesen Modus in kleinerem Rahmen bei einem illegalen Rennen in South Dakota getestet und es hat sich gezeigt, dass durch diese Konstellation der Ungewissheit immer wieder interessante Dinge passieren. Ein Fahrer zersticht einem vermeintlichen Kontrahenten die Reifen, landet für ein paar Tage im Knast und verliert, obwohl er haushoher Favorit ist und so weiter…“
Ich nickte und begann langsam die Dimensionen des Spiels zu begreifen, das hier ablief.
„Ja, oder die Organisatoren schicken jemanden, der die Reifen zersticht oder sorgen auf andere Weise dafür, dass ein bestimmter Wagen nicht das Ziel erreicht – um Wetten zu manipulieren!“, vermutete ich.
„Durch das GPS-Signal ist die Rennleitung jederzeit über die jeweilige Position der einzelnen Wagen informiert, das ist richtig“, bestätigte Clement.
Den Manipulationsmöglichkeiten waren damit natürlich Tür und Tor geöffnet.
„Ich würde Ihren Wagen wirklich gerne mit den anderen Teilnehmern in Wettbewerb treten sehen!“
„Ich glaube, da haben Sie falsch gepokert.“
„Glaube ich kaum!“, sagte er und der Ausdruck absoluter Gewissheit, der jetzt in seine Züge trat, missfiel mir. „Ich habe hier den Köder, der Sie Ihre Bedenken vielleicht noch über Bord werfen lässt! Nein – ganz sicher sogar!“
„So?“
„Sagt Ihnen der Name Robert Dawn etwas?“
Milo und ich sahen uns an.
„Wenn wir denselben Robert Dawn meinen“, meinte Milo zögernd.
Clement grinste. „Wir meinen denselben. Den, der auf den Internetseiten des FBI als einer der zehn meistgesuchten Straftäter des Landes aufgeführt und seit Jahren vergeblich gesucht wird. Den Lohnkiller der Syndikate und jeden anderen, der bereit ist, seine horrenden Honorarvorstellungen zu erfüllen. Angeblich gehen sogar die Morde an mehreren Staatschefs in der dritten Welt auf sein Konto, aber das sind Gerüchte, von denen ich nicht weiß, ob Robert Dawn sie vielleicht nur deshalb streut, damit seine potentielle Kundschaft beeindruckt ist und ihn trotz seiner Super-Honorare noch engagiert, anstatt die Drecksjobs von irgendeinem Straßenköter erledigen zu lassen.“
Der Name Robert Dawn war jedem G-man seit Jahren geläufig.
Es gab mindestens zwanzig Morde im Umkreis des organisierten Verbrechens, die ziemlich eindeutig mit ihm in Verbindung gebracht werden konnten und bei mindestens noch einmal so vielen Taten war eine Beteiligung dieses Killers nicht ausgeschlossen.
Robert Dawn lebte irgendwo in- oder außerhalb der Vereinigten Staaten unter falschem Namen und falscher Identität.
Er machte sich im Gegensatz zu vielen anderen aus der Zunft der Hit-men überhaupt nicht die Mühe, seine Handschrift zu verbergen. Häufig hinterließ er am Tatort mit voller Absicht Spuren, die auf ihn als Täter hinwiesen oder er benutzte eine Waffe, die er bereits bei früheren Verbrechen verwendet hatte. Aus seiner Sicht der Dinge vergrößerte das wohl seinen Nimbus. Jeder unaufgeklärte Mafia-Mord, der mit ihm in Verbindung gebracht wurde, war inzwischen Werbung für sein zynisches Geschäft. Wer Robert Dawn engagierte, konnte sicher sein, dass die Sache diskret erledigt wurde und der Killer clever genug war, um nicht der Polizei in die Arme zu laufen, so lautete die unterschwellige Botschaften dieser Taten. Denn letzteres war der Albtraum jedes Auftraggebers, da Lohnkiller natürlich in Gefangenschaft dazu neigten, die Schuld nicht allein zu übernehmen, sondern in einem Deal mit der Staatsanwaltschaft ihre Auftraggeber zu nennen.
„Was hat Robert Dawn mit diesem Rennen zu tun?“, fragte Milo.
„Er ist einer der Teilnehmer“, erklärte Clement. „Das