Und ewig küsst mich Dornröschen wach. Wolfgang Haecker Paul. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Haecker Paul
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347064119
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kein Strom in der Batterie. Kein Strom in der Batterie hieß nicht genügend Reichweite, um zur Firma fahren zu können.

      Ein genauer Blick auf den Batteriestand gab mir ein wenig von der verlorenen Hoffnung zurück. Ich sah doch noch eine Möglichkeit, dass ich es geradeso hin und auch zurück schaffen könnte. Dass der Ladestecker nicht mehr in der Steckdose steckte, musste nicht groß über Scotland Yard oder Interpol recherchiert werden. Wer die Schuld dafür trug, war auch kein mysteriöser Fall: Die Lösung war offensichtlich. Es war schlicht und einfach meine „Lademeisterin“. Denn nur, wenn die Sonne sich mehr als deutlich am Himmel zeigte, erlaubte sie das Laden aller Geräte. Auch mein Auto musste wohl Opfer ihrer Ladestrategie geworden sein. Wenn also keine Sonne da war, zog sie unbarmherzig alles an energiehungrigen Quellen aus den Steckdosen heraus, was irgendwie auch nur annähernd Strom verbrauchen könnte.

      Eine neue Welle von Schauder überkam mich. Hatten sie nicht für heute Regen angesagt? Ohne Sonne kein Strom. Keine Energie heißt auch: Keinen Ofen betreiben, der ein leckeres Abendessen zusammenbrutzeln könnte. Na, toll. Sie würde vermutlich auch alle Lampen ausschalten, wenn nicht sogar ganz herausdrehen. Während ich über all das nachdachte, ergriff eine unsichtbare Hand meine Kehle und drückte erbarmungslos zu. Das Schlucken viel mir plötzlich schwerer. Hieß das etwa auch, dass ich heute Abend weder den Fernseher noch den Computer benutzen konnte? Nachdem sich schon ein deutlich sichtbarer Film von frischem Schweiß auf meiner Stirn gebildet hatte, fiel mir glücklicherweise ein, dass mein Computer wohl aufgeladen sein müsste. Also, auch wenn ich im Dunkeln sitzen würde, könnte ich zumindest noch einige wichtige Dinge am Computer erledigen. Zum Beispiel meinen Facebook Account checken oder ein Spiel weiterspielen, an dem ich schon so lange festhing. E-Mails lesen. Wie gesagt: die wichtigen Dinge.

      Das Ganze zwar im kalten Zimmer bei eisigen Temperaturen (so um die 20°C), aber was soll‘s.

      Sichtlich erleichtert atmete ich auf, stieg nun schon etwas frohgelaunter ein und startete den Wagen.

      Der Motor war wie immer nicht zu hören, was für ein E-Auto ja nicht untypisch ist. Denn egal, was man am elektrisch betriebenen Gefährt einschaltet, ist nichts zu hören außer dem Abrollgeräusch der Reifen auf dem Asphalt. Gerade, als ich eilig losfahren will, hält mich mein Nachbar Frank an. Ein Hüne von einem Menschen. Bei ihm würde man sich gut vorstellen können, dass selbst seine eigenen Kinder Angst vor ihm haben. Dabei scheint er im Grunde genommen sogar sanftmütig, so hoffte ich zu mindestens. Richtig einzuschätzen vermochte ich diesen Kerl aber bis dato nicht. Und so versuchte ich stets, ihm lieber aus dem Weg zu gehen. Denn: Wenn ich eines nicht mochte, dann waren es seine endgelagerten Witze. Aber ich ahnte, dass mir an diesem Morgen kein Schrecken erspart bleiben würde, dachte ich noch, als er auch schon auf mich zukam, um einen seiner typischen arktisch gefrorenen Scherze zu reißen. Auf alle erdenklichen Arten hatte ich schon versucht, unbemerkt an ihm vorbeizukommen, ohne in ein Gespräch verwickelt zu werden. Nichts davon hatte funktioniert. Ob Tarnanzug oder sonstige Verkleidung. Auf dem Boden schleichend, sodass er mich nicht durch irgendein Fenster erspähen konnte. Sogar schon unter dem Haus entlang, über einen nahegelegenen Kanal, habe ich es versucht, ihm zu entwischen. Alles zwecklos.

      Irgendwann werde ich es schaffen. Da bin ich mir sicher.

      Der Kanal, von dem ich sprach, war übrigens leider dermaßen von Exkrementen verstopft, dass ich zu Umkehr gezwungen wurde. Drei ganze Tage benötigte ich danach, um den Gestank aus der Kleidung wieder herauszubekommen. Noch dazu wurde ich genau für diese Zeit in den Garten verbannt und schlief in einem Zelt, dass wir uns vor vielen Jahren angeschafft hatten. „Zum Auslüften“, wie meine Hausherrin sagte. Alles habe ich versucht, um den Gestank loszuwerden, aber nichts hat geholfen. An Frank vorbeizukommen schien wirklich unmöglich. Eine Vermutung dazu hatte ich allerdings: Er musste seismische Detektoren rund um das Haus in den Boden verbaut haben.

      Bei der geringsten Erschütterung, die schon von einer Fliege ausgelöst werden könnte, stand er sofort auf der Straße und fing dann, wen auch immer, sofort ab, um ihm oder ihr den neuesten seiner Witze zu erzählen. Der eigentlich weder neu noch witzig war.

      Naaaaaaa, Paul, brüllt er mir wie immer energiegeladen und dermaßen laut durch die Scheibe meines Autos entgegen, als wäre sie nicht vorhanden. Erst als ich genau hinsehe, entdecke ich: Sie war tatsächlich heruntergefahren. Na egal, jetzt war es sowieso zu spät. Verdammt, wie soll ich es noch pünktlich ins Büro schaffen?

      Naaaaaa, Paul. Raùl Paul, wiederholt er und macht sich aus meinem Namen einen selbstgebauten Witz, der mir aber so lächerlich erscheint, dass ich leider nur mitleidsvoll grinsen kann. Denn er kennt meinen Vornamen nur zu gut. Aaaahhh, der Frank! Mein Bester, entgegne ich in meiner eloquenten Art, die heute Morgen jedoch weniger überzeugend erscheinen musste. Hast du wieder einen neuen Schwank zu erzählen? Mist, dachte ich, biss mir schon auf die Zunge, weil ich nun wusste, dass ich ihn auch noch dazu ermutigt hatte, mir seine endzeitgelagerten Witze zu erzählen. Und prompt setzte er an. Er ließ mich wissen, dass er den Witz auch schon seiner Frau Babsi erzählt hatte. Die Arme hatte aber auch was mitzumachen, mit ihrem Mann, dachte ich. Ich hoffte nur für Babsi, dass sie genauso witzeresistent ist wie ihre neue Garage mit der nun eingebauten Feuertüre gegen ausbrechende Feuerstürme jeglicher Art. Weiter dachte ich an seine armen Kinder, Jan-Nicklas und Jennifer-Loreen. Schon für die Namensgebung müsste sich Frank eines Tages bei seinen Kindern entschuldigen, von den Witzen mal ganz abgesehen, dachte ich.

      Klar sagt er, und reißt mich schlussendlich aus meinen Gedanken. Einem netten Nachbarn muss man doch zu morgendlicher Stunde erheitern.

      Bevor ich überhaupt eine Möglichkeit gehabt hätte, etwas zu sagen, setzt er unnötigerweise sogar noch nach: „Hast doch sonst keinen Spaß mehr im Leben, in deinem Alter, Mann.“

      Noch bevor ich ihn darauf aufmerksam machen kann, dass ich erst 57 Jahre alt bin und sehr wohl noch viel Spaß am Leben habe – es sei denn, ein Nachbar möchte mich unnötigerweise erheitern – startet er schon einen seiner berüchtigten Witze, die genauso gefroren waren wie mein Gemüt. Als er fertig ist, quäle ich mir ein Lächeln ab. Er jedoch lacht sich über seinen eigenen Witz halb tot. Dabei nutze ich den günstigen Moment seiner Unaufmerksamkeit und entferne mich geräuschlos. Im Rückspiegel sehe ich, dass er sich immer noch vor Lachen auf die Schenkel klopft. Nachdenklich setze ich meine Fahrt fort und frage mich nun, ob ich wirklich keinen Spaß verstand oder warum Franks Witze bei mir nicht die mindeste Reaktion auslösten.

      Bis auf eine: Denn, außer, dass ich nach diesen Witzattacken immer Pickel auf meiner Haut entdeckte, für die ich aber „Gott sei Dank“ eine durchaus wirkungsvolle Hautcreme hatte, passierte sonst wirklich gar nichts. Dabei schwor ich mir, doch mal in mich zu gehen und über das Thema erneut nachzudenken. Vielleicht würde ich doch noch irgendeine Spur Humor in mir entdecken.

      Ich befürchtete allerdings, dass man da schweres Geschütz auffahren müsste. Gleich morgen würde ich mich mal nach einem Humortherapeuten erkundigen.

       Kapitel 3 – Büroalltag ohne Grenzen

      Endlich konnte ich es nun ruhiger angehen lassen. Der Morgen hatte schließlich hektisch genug begonnen. Erst der fast leere Wagen, dann der vor guter Laune überschäumende Nachbar. Was sollte mir denn heute noch passieren?

      Ich hoffte, dass sich mir kein weiteres Hindernis mehr in den Weg stellen würde, wenigstens bis zur Firma. Lautlos glitt mein Fahrzeug dahin. Ich lauschte dem Radiosender meiner Wahl, dessen Sprecherwitze um einiges besser waren als die meines Nachbarn, der sie vielleicht aus einer Stiftung für verwaiste Witze bezog. Oder aus einer Organisation für gestrandete Komiker. Meine Laune stieg zaghaft an, als ich ganz plötzlich abrupt bremsen musste. Was auf meiner Strecke vom Dorf bis zu meiner Arbeitsstelle eher unüblich war. Nicht mal eine einzige Ampel lag auf meinem Weg. Jetzt aber zeichnete sich irgendetwas schattenartig hinter dem frühmorgendlichen Nebel vor mir ab. Zuerst eine größere Gestalt – und mir fiel unwillkürlich Frank wieder ein. Mist! Der Kerl verfolgt mich sogar in meinen Gedanken. Dann aber sah ich mehrere kleinere Schatten. Nein, das konnten nicht seine Kinder sein. Frank und seine Familie hier im Wald?

      Wie kam ich nur auf so einen Quatsch. Aber … was war das da vor mir denn dann? Vorsichtig fuhr ich näher heran und sah, dass es sich um eine Wildschweinfamilie