Die Legende vom Hermunduren. G. K. Grasse. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: G. K. Grasse
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Die Legende vom Hermunduren
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347036192
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      Er hörte den Aufmarsch der Kohorte, spürte das Schweigen der Männer und hob, weil er nicht wusste was vorging, seinen Kopf.

      Sie hatten unbewusst einen guten Standort gewählt und konnten ihre Blicke auf alle zum Abbrennen vorbereiteten Holzstöße genauso einschwenken, wie sie diesen auch auf die Front der angetretenen Centurien zu richten vermochten.

      Das Zentrum der Angetretenen bildeten die vier Centurien von Gaurus Kohorte, an beiden Seiten, von je einer Turma der Meldereiter flankiert. In der mittleren Centurie war ein Zwischenraum, den der Legat Verginius Rufus, der Pilus Prior Gaurus und der Signifer der Kohorte mit dem Signum, durchschritten. Ihnen folgten, in jeweils einer Reihe, drei Tubicines und drei Cornicines mit ihren Instrumenten. Die Gruppierung steuerte auf den mittleren Holzstoss, auf dem Aulus Ligurius Crito aufgebahrt war, zu und wandte sich zur breiten Front der Legionäre um. Dabei nahmen die Bläser des Cornu rechts und der Tuba links von Legat, Pilus Prior und Signifer Aufstellung. Jedweder Laut erstarb, als die Bläser ihre Instrumente hoben.

      Das erste Signal, welches ertönte, war der Laut der Tuba, die die erste Nachtwache ankündigte. Das nachfolgende Schweigen ging in die Töne der Cornicines über, der die Tonfolge des Angriffs blies. Letztlich trat der mittlere Cornicen einen Schritt vor, zog eine Bucina von seinem Rücken und blies das Signal zur Wachablösung.

      Es waren Gaurus Worte, die den Göttern den Dank für den Sieg bezeugten und für die gefallenen Helden um würdige Aufnahme baten.

      Gerwin hörte dem Pilus Prior nicht richtig zu. Seine Gedanken schweiften ab in Erinnerungen. Vor seinem inneren Auge entstanden Begegnungen, die sich in seinen Kopf eingebrannt hatten und er hörte Worte, die einstmals Aulus zu ihm sprach. Der Schmerz des Verlustes überrollte ihn und er bemerkte, dass er diesen Schmerz bereits schon einmal erlebte. Es war der Augenblick des Todes seiner Eltern, der sich in den Vordergrund drängte. Gerwin verglich und stellte keinen Unterschied im erlitten Schmerz fest und weil ihn dieser Gedanke unvermittelt traf, erkannte er, was er durch Aulus Tod verlor…

      Es war die Erkenntnis eines Verlustes, der dicht an den Schmerz heranreichte, den er beim Tod seiner Mutter empfand.

      Um jedweder Gefühlsregung vorzubeugen, die er in sich aufzukeimen spürte, stand er auf und streckte sich. War diese Geste auch scheinbar unpassend, folgten ihm seine drei Gefährten in der Bewegung und hörten danach gemeinsam die Worte des Legatus.

      „Ehren wir die im Kampf Gefallenen!“

      „Es gibt im Tod keinen Unterschied zwischen dem Miles Legionarius, einem Centurio oder einem Legat! Es ist der Tod, der sie gleich macht! Unter unseren Opfern aber befindet sich ein Mann, der eine Schuld trug, die kein Milites vergisst, solange ein solcher Mann lebt!“

      „Einst gehörte dieser Mann einer Vexillation an, deren Ende unglücklich ausging und von da an galt der Mann als ‚Verlorener’. Weil er als einer der Letzten vom Schlachtfeld wich und einem besseren Feind nicht auch noch sein Leben darbieten wollte, nahm er eine Schuld auf sich, die er gegenüber den Helden der vergangenen Schlacht nun beglich.“ Des Legats Blick glitt über die Formation.

      „Aulus Ligurius Crito war zu keinem Zeitpunkt ein Feigling oder Verräter, obwohl er die schimpflichste Tat vollzog, die ein Legionär begehen konnte. Er verließ lebend ein Schlachtfeld… Aber nicht um sich zu verbergen, zu verkriechen oder um zitternd im Verborgenen um sein Überleben zu fürchten… Nein! Er kehrte zurück und bot sich mir an, dorthin zu gehen, wo er seine Schuld, so denn die Götter ihm günstig gestimmt waren, begleichen konnte. Er übernahm, mit noch anderen Verlorenen, Missionen in Feindesland, zu denen kaum ein anderer Mann bereit gewesen wäre…“ Der Legat prüfte die Minen der Angetretenen, inwieweit die Männer seine Worte aufnahmen.

      „Viele…“ Der Legat setzte eine Pause zwischen seine Worte. „… oder auch nur Wenige, sahen den Augenblick seines Todes. Sie sahen einen Mann in Würde sterben und waren es nur Wenige, so sollte uns deren Zeugnis ausreichen. Unbestritten ist, dass Crito in der Spitze unseres Vorstoßes in die feindlichen Linien seine Schuld verlor! Wer von euch wagt es, meine Worte zu bezweifeln? Er trete vor die Front!“

      Diese Aufforderung war ein Wagnis, dass nur ein einziger Mann zerstören konnte. Der Legat ging dieses Wagnis ein. Er verfolgte noch eine weitere Absicht, für die er die Hinnahme der Männer einfordern musste. Also lauerte er auf den einen Mutigen, der sich gegen ihn zu stellen wagte…

      Es gab diesen ‚Einen’ nicht!

      Für ihn war es, in diesem Augenblick, bedeutungslos, ob diese Einheitlichkeit im Denken und Fühlen seiner Legionäre seiner Person, seinem Können oder seiner Funktion als ihr Legat geschuldet blieb… Es war genauso unwichtig, ob sich ein Widerspruch, in einer möglichen Angst vor Gerwins Zorn verlor oder ob der eine Mutige die Rache der anderen Verlorenen fürchtete… Sie entschieden sich in seinem Sinne und nicht ein Einziger begehrte auf.

      „Crito war nicht der Einzige der einstmals verlorenen Söhne, der dort den Tod zum Feind trug! An seiner Seite kämpften auch Andere, die gleich ihm, nach der Befreiung von einer Schuld suchten, die ihnen ein Anderer aufgebürdet hatte…“

      Verginius Rufus vermied sowohl die Namen dieser erwähnten Männer, als auch der, die er als Schuldige eines vergangenen Kampfes glaubte, ausgemacht zu haben.

      „Diese Männer kämpften nicht weniger mutig, nicht weniger entschlossen und suchten nicht weniger nach der Tilgung ihrer Schuld… Aber sie überlebten, weil die Götter dies so entschieden… Wer von euch wagt es, meine Worte zu bezweifeln? Er trete vor die Front!“

      Erneut scheute Verginius Rufus dieses Risiko nicht. Er wusste aber auch, dass eine dritte Herausforderung anders ausgehen konnte. Also wandte er sich seinem eigentlichen Ziel zu.

      „Die, die dort neben dem früheren Pilus Prior Aulus Ligurius Crito kämpften, konnten, auch wenn sie erneut überlebten, keine Feiglinge sein!“ Bewusst vermied er an dieser Stelle das Wort ‚Verräter’, denn dies könnte zu Irritationen beitragen.

      „Mögen diese Männer einst aus einem Kampf als ‚Verlorene’ hervorgegangen sein, bezeugten sie mir bereits in der jüngeren Vergangenheit und euch Allen im letzten Kampf, hier an diesem Ort, dass sie zu keiner Zeit Feiglinge waren und sind! Vielleicht kämpften Geister der Vergangenheit an eurer Seite und erfochten mit euch diesen Sieg! Mögen sie Geister aus Fleisch und Blut sein, ist ihr Einsatz dann nicht noch höher zu bewerten?“

      Die Front der Legionäre von Gaurus Kohorte stand und wankte nicht. Vielleicht dachte der Eine oder Andere, dass ihm das gleiche Glück zu Teil werden könnte, sollte er selbst einmal in eine unwürdige Situation geraten… Dieser Legat aber zeigte mit seinem Auftritt, welche Macht er verkörperte und welche Gerechtigkeit ihn auszeichnete. Er achtete die Überlebenden, deutete auf den Willen der Götter und stellte sich vor die Front, die die Schuld dieser Verlorenen einfordern durfte. Er ergriff Partei und forderte alle Übrigen auf, ihm dabei zu folgen. Darüber hinaus wies er einen Weg im Umgang mit diesen einst Verlorenen, die er durch seine Auslegung zu ‚Geistern der Vergangenheit’ machte und so, zumindest zu einem Teil, von ihrer Last befreite.

      Das nachfolgende Schweigen schien entweder die volle Zustimmung zu finden oder auch zu lähmen…

      Es war Sexinius der das Besondere des Augenblickes empfand.

      „Gehen wir und bezeugen den Gefallenen den Teil unserer Schuld und die Ehrung ihrer Verdienste!“

      Und er ging, zuerst von Viator gefolgt, dann von Paratus. Auch Gerwin schloss sich an. Sexinius wählte den kürzesten Weg, und schritt von der Seite kommend, auf den Holzstoss des Freundes zu.

      Der Legat, der diese Bewegung am Rande seines Sichtfeldes bemerkte, griff nach des Pilus Priors Arm und gebot ihm damit Einhalt.

      Sexinius führte die ihm Folgenden vor den Legat, wartete bis alle Übrigen neben ihm standen, führte seine rechte Hand mit einem Schlag auf die linke Brust zum Herz. Es war, als wäre dies ein Schlag von drei Männern, denn Viator und Paratus ahnten wohl, was der Gefährte bezweckte und folgten im gleichen Atemzug seinem Willen.

      Gerwin zögerte nicht und dennoch kam seine Ehrerbietung gegenüber